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BOTTICELLI UND WERKSTATT,
Episode aus der Geschichte des Nastagio degli Onesti,
Ausschnitt, 1482/83 [Kat. 47c)

nmittelbar nach seiner Rückkehr aus Rom schuf Botticelli zusammen mit
Künstlern seiner Werkstatt vier Spalliera-Gemälde (siehe auch Kap. II und IV), die
eine der prominentesten Episoden aus dem »Dekameron« (5.8.) Giovanni Boccaccios
zum Gegenstand haben: die Geschichte von Nastagio degli Onesti (Abb. S. 103, 109,
110, 113). Für unser Verständnis der Kunst Botticellis und des Quattrocento über-
haupt sind diese Gemälde aus mehreren Gründen aufschlußreich. Zum einen geben
die lebhaften und zu dramatischer Übertreibung neigenden Bilder Auskunft über
die Geschlechterverhältnisse im Florentiner Bürgertum in der zweiten Hälfte des
15.Jahrhunderts, zum anderen zeigen sie die Art und Weise der Arbeitsteilung in der
Werkstatt Botticellis. Außerdem bezeugen die vier Tafeln zusammen mit anderen
Werken Botticellis den Aufschwung, den die Profanmalerei im allgemeinen und die
Spalliera-Bilder im besonderen damals erlebten. Tatsächlich weist das CEuvre Bot-
ticellis gleich mehrere bedeutende Beispiele dieser Bildgattung auf: Primavera
(Kat. 37), Minerva und der Kentaur (Kat. 38), das Bildpaar mit den Geschichten der
Lucrezia (Kat. 86) und der Virginia (Kat. 87), die insgesamt vier Tafeln mit den Wun-
dern des hl. Zenobius (88a-d) sowie das Gemälde mit Venus und Mars (Kat. 54).
Selbst ein so bedeutender Maler wie Botticelli, der die politischen Protagonisten sei-
ner Vaterstadt porträtiert (Kap. III) und mit seinen Fresken in der Sixtinischen
Kapelle an einem überregional bedeutenden Auftrag partizipiert hatte (Kap. V), pro-
duzierte somit mehrere wichtige Werke einer zunächst prominenten Gattung, die
dann im 16. Jahrhundert schnell an Gewicht verlieren sollte. Bedeutung und Bedeu-
tungsverlust dieser Gattung der Profanmalerei beschreibt Giorgio Vasari in der Vita
des Malers Dello Delli (1404-1470) folgendermaßen:
»Darüber hinaus bemalte man in dieser Weise nicht nur die Hochzeitstru-
hen, sondern auch die großen Ruhebetten (lettuci), Wandverkleidungen (spalliere)
und die umlaufenden Gesimse (cornici) sowie andere ähnliche Verzierungen der
Zimmer, die man damals sehr prachtvoll auszustatten pflegte. Dergleichen kann man
noch sehr häufig in unserer Stadt sehen. Eine lange Zeit war dieser Brauch so ver-
breitet, daß selbst die vorzüglichsten Meister sich in diesen Gattungen übten, ohne
sich zu schämen, während sie heutigen Tages solche Werke nicht einmal bemalen
oder vergolden würden. Unter anderen schönen Werken beweisen dies noch zu unse-
rer Zeit einige Bilder auf Truhen, Wandverkleidungen und Gesimsen in den Zimmern
des alten Lorenzo il Magnifico de' Medici, auf denen Maler, die nicht zu den
gewöhnlichen gehörten, sondern treffliche Meister genannt zu werden verdienen,
alle Gefechte, Turniere, Jagden und sonstige Lustbarkeiten [...] gemalt haben. Doch
nicht nur im Palast und im alten Hause der Medici, sondern in allen größeren Gebäu-
den der Stadt sieht man Überreste davon; ja es gibt viele, die an diesem alten, in
Wahrheit kostbaren Brauche festhalten und jene Dinge nicht haben entfernen lassen,
um sie mit modernem Schmuck zu vertauschen.«
Auch wenn die vier Tafeln mit der Geschichte Nastagio degli Onestis weit-
gehend Werkstattprodukte sind, darf man die Gesamtkomposition doch mit Botti-
celli in Verbindung bringen. Das gilt etwa für die Gestaltung des Bildraums, dessen

102 [Die Geschichte des Nastagio degli Onesti ]
 
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