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Ankunft der Venus, Ausschnitt, um 1490 (?). (Kat. 57]

Im 15. Jahrhundert erlebte die italienische Kunst einen enormen Aufschwung
profaner Sujets. Dies hing mit der zunehmenden Beliebtheit der Truhen- und Spal-
fem-Malerei, dem gestiegenen Bedürfnis nach häuslichem Bilderschmuck und den
Auswirkungen der städtischen Festkultur zusammen. Gegenstand profaner Kunst-
gattungen waren häufig die unterschiedlichen Verhaltensmuster für Mann und Frau
sowie deren Bewertung. Das belegen auch alle Beispiele der Profanmalerei Botti-
cellis: die Nastagio-Tafeln (siehe Kap. VI), die Darstellungen aus der römischen
Geschichte, die der Künstler gegen Ende seiner Karriere schuf (Kat. 87-88), und
schließlich die mythologischen Gemälde (siehe auch Kap. IV). Hierzu zählen auch
die heute im Louvre verwahrten und vermutlich im Umfeld der Hochzeit von Nanna
Tornabuoni und Matteo degli Albizzi entstandenen Fresken aus der Villa Lemmi
(Abb. rechts und S. 122/123). Unabhängig von einem konkreten Kontext wenden
sich die beiden Gemälde zunächst ganz dezidiert an eine Frau einerseits und einen
Mann andererseits. Die auf einen männlichen Betrachter abgestimmte Szene spielt
vor einem dunklen Wäldchen, dessen Baumstämme nur noch vage zu erkennen sind.
Im Vorder- und Mittelgrund gewahrt der Betrachter sieben Damen, die auf unter-
schiedlich hohen Positionen in einem Halbkreis sitzen und auf einen von links
nahenden jungen Mann warten. Dieser junge Mann, Matteo degli Albizzi, wird von
einer achten Frauengestalt herangeführt. Noch weiter zur linken Seite ist der Kopf
eines Putto zu erkennen. Aufgrund älterer Beschreibungen weiß man, daß die Putti
auf den Fresken einst Schilde mit den Wappen der beiden Familien Tornabuoni und
Albizzi in Händen hielten. Nur noch in einem Fall ist der Schild zu erkennen. Die
jungen Frauen tragen an antike Darstellungen erinnernde Gewänder, während Mat-
teo in einem blau getönten zeitgenössischen Kostüm und mit einem modischen roten
Barett erscheint. Im Gegensatz zu der neben ihm stehenden Frau trägt er festes
Schuhwerk, Botticelli charakterisierte ihn damit als eine zeitgenössische Person. Aus
der Gestaltung der gesamten Szene, vor allem aber aus den Attributen der jungen
Damen (hierzu s.u.) ist ersichtlich, daß der junge Mann hier in den Kreis der Sieben
Freien Künste eingeführt wird.
Schon in der Antike stellten die septem artes liberales jene Bildungszweige
dar, deren Ausübung im Gegensatz zu den Unfreien mechanischen Künsten, den artes
mechanicae, allein den freien Bürgern und nicht den niederen sozialen Klassen
gestattet war. Im 15. Jahrhundert galten die vornehmen artes liberales zudem als
Richtschnur zivilisierten Verhaltens, sie wurden oft in der Gestalt junger Frauen mit
entsprechenden Attributen dargestellt und in zwei Gruppen unterteilt. Die erste
Gruppe vereint in sich das trivium mit Grammatik, Dialektik (Logik) und Rhetorik,
die zweite das quadrivium mit Arithmetik, Geometrie, Astronomie und Musik. In
Botticellis Gemälde geleitet die weiß und braun-rot gewandete Personifikation der
Grammatik den jungen Mann an ihrer rechten Hand in den Kreis der anderen Kün-
ste. Erkennbar ist sie im Gegensatz zu ihren Schwestern nicht an einem Attribut,
sondern an ihrer führenden Rolle unter den artes liberales, wie sie beispielsweise der
Florentiner Dichter Burchiello im 15.Jahrhundert beschrieben hatte.

120 [Die späteren mythologischen Gemälde]
 
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