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Verleumdung des Apelles (Calumnia),
Ausschnitt, um 1491-1495 (?) (Kat. 67)

/ ie bis Mitte der 90er Jahre entstandenen großen Altarbilder lassen vermu-
ten, daß Botticelli eine gut funktionierende Werkstatt unterhielt. Diese Werkstatt
scheint auch profitabel gearbeitet zu haben, denn der Künstler war 1492 in der Lage,
in eine Immobilie zu investieren - wohl als eine Art Altersvorsorge. Zudem kann
man davon ausgehen, daß er größere Aufträge zum Teil an Gehilfen delegierte (siehe
Kap. VIII), während er wichtigere Gemälde für eine besondere Klientel eigenhändig
ausführte. Zu diesen wichtigen Gemälden zählte die auf circa 1491 bis 1495 zu datie-
rende Verleumdung des Apelles (Abb. rechts). Das querrechteckige und sehr detailge-
nau gemalte Bild eröffnet den Blick in eine Halle, deren hinterer Abschluß durch drei
große Arkaden gebildet wird und deren rechte Seite eine Art Podest mit einem
Thron zeigt. Im Vordergrund ist eine turbulente und daher auffällige Szene mit meh-
reren Figuren dargestellt. Bei näherem Hinsehen offenbart aber auch der Hinter-
grund eine sehr anspruchsvolle Gestaltung: Fingierte Nischen bergen mehrere Skulp-
turen, und in zahlreichen gemalten Reliefs illustrierte Botticelli Episoden aus der
antiken Mythologie, Geschichte und Literatur sowie Ereignisse aus der Bibel und
einige Szenen aus den Werken Giovanni Boccaccios und Dantes.
Die bewegte Szene im Vordergrund schildert ein Ereignis aus dem Leben des
antiken Malers Apelles, der in einem Gemälde die Verleumdung seiner Person durch
den Malerkollegen Antiphilos dargestellt hatte. Gegenstand der Intrige war die
Behauptung des Antiphilos, daß Apelles an einer Verschwörung gegen den ägypti-
schen König Ptolemäus I. beteiligt gewesen sei. Eine genaue Beschreibung des nicht
mehr erhaltenen allegorischen Gemäldes findet man bei Lukian, dessen Ekphrasis in
der Übersetzung Christoph Martin Wielands folgendermaßen lautet:
»Rechter Hand sitzt ein Mann, der so ansehnliche Ohren hat, daß ihnen nur
wenig zu den Ohren eines Midas fehlt, und der der schon von ferne auf ihn zukom-
menden Verleumdung die Hand entgegenreicht. Zu beiden Seiten stehen zwei Frau-
enspersonen neben ihm, die mir die Unwissenheit und das Mißtrauen vorzustellen
scheinen. Diesem nähert sich von der anderen Seite die Verleumdung in Gestalt eines
wunderschönen, aber etwas erhitzten Mädchens, deren Gesichtszüge Groll und
Ingrimm verraten; sie trägt in der linken Hand eine brennende Fackel und schleppt
mit der rechten einen jungen Menschen bei den Haaren herbei, der die Hände gen
Himmel streckt und die Götter als Zeugen seiner Unschuld anruft. Vor ihr geht ein
häßlicher, bleichsüchtiger, hohläugiger Mann, der so aussieht, als ob er von einer
langwierigen Krankheit ausgezehrt wäre und in dem man ohne Mühe den Neid
erkennt. Hinter der Verleumdung gehen zwei weitere Weibspersonen, die sie [die
Verleumdung] aufzuhetzen, zu unterstützen und aufzuputzen scheinen und deren
eine (wie mir der Vorweiser und Ausleger des Gemäldes sagte) die Arglist und die
andere die Täuschung darstellt. Noch weiter hinter ihnen folgt in einem schwarzen
und zerrissnen Traueraufzug die Reue: Sie weint und wendet das Gesicht beschämt
von der Wahrheit ab, die sich ihr nähert - als ob sie sich scheute, ihr in die Augen zu
sehen. Auf diese Weise suchte Apelles das Andenken der gefährlichen Lage, in die ihn
die Verleumdung gebracht hatte, durch ein Werle seiner Kunst zu erhalten.«

162 [Das Spätwerk: Zeitenende?]
 
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