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Zeitschrift für allgemeine Geschichte, Kultur-, Litteratur- und Kunstgeschichte — 2.1885

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Ritter, Moriz: Das deutsche Fürstentum in der Mitte des 16. Jahrhunderts, 1
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https://doi.org/10.11588/diglit.52690#0757
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Das deutſche Fürſtentum in der Mitte des 16. Jahrhunderts. 745

der großen Handelsſtädte wie aus den Kreiſen der kleinen Land—
leute: die fürſtliche Geſetzgebung, da ſie einmal die wirtſchaftliche
Entwickelung unter ihre Obhut genommen, mußte zu dieſer For—
derung vor allem Stellung nehmen. Aber nirgends ſah ſie ſich
zugleich in ein ſolches Gewirr von Verlegenheiten geführt. Denn
während ſie ſonſt ſich eng an die überlieferten Rechte und Grund—
ſätze anſchloß, drängte hier die Macht der Verhältniſſe auf neues
Recht und neue Anſchauungen. Nur zögernd und widerſtrebend
ließ ſie ſich denn auch vorwärts treiben. Am leichteſten geſtand ſie
dem Kaufmann diejenigen Formen des Kredits zu, welche er ſich
als Sonderrecht geſchaffen, und welche mit größerer Beweglichkeit.
im Abſchließen und Auflöſen die Ausſicht auf hohen Gewinn oder
Verluſt verbanden: ſo vor allem die offene und die ſtille Geſell—
ſchaft, den Wechſel und das hoch verzinsliche kaufmänniſche Dar—
lehen. Aber ſchon mußte man auch, wenngleich unter vielen
Kautelen gegen wucheriſche Ausbeutung, ſich herbeilaſſen, dem Bauer
die Aufnahme von Geld auf ſeine bevorſtehende Wein- oder Getreide—
ernte zu geſtatten,? und endlich, ſeit der Mitte des 16. Jahrhunderts,
wagte man es vielfach, bloß einen Maximalzins von 5 oder 6 Pro—
zent feſtzuſtellen, wobei es der Praxis der Gerichte und der Parteien
überlaſſen wurde, die Form des reinen zinsbaren Darlehens unter
dieſer Beſchränkung einzuführen.

Dieſe langſame Befreiung des Kredits war eine Maßregel,
welche, wie bemerkt, gleichmäßig auf alle Zweige wirtſchaftlicher
Thätigkeit einwirkte. Es könnte mit ihr dieſe Betrachtung über
den Geiſt und die Aufgaben der fürſtlichen Geſetzgebung beendet
werden, wenn nicht noch einige Verhältniſſe ſich der Aufmerk—
ſamkeit aufdrängten, die zwar nicht ausſchließlich wirtſchaftlicher
Natur waren, aber doch mit den wirtſchaftlichen Zuſtänden innig
zuſammenhingen und in den fürſtlichen Erlaſſen ſich einer ganz.
beſonderen Aufmerkſamkeit erfreuten: das waren die Fragen der
öffentlichen Sicherheit und die großen Gegenſätze von Luxus und
Armut, Müßiggang und Arbeit.

Die Störuͤng der öffentlichen Sicherheit durch eine fortlaufende
Reihe von Fehden und Raubkriegen war in der Mitte des 16. Jahr—
hunderts im weſentlichen überwunden; in dieſer Beziehung hatten
die langen Bemühungen um Landfrieden und Reichsgericht ihre
Früchte getragen. Allein zahlreich waren noch die Menſchenklaſſen,

UUeber letzteres (1200 geſtattet) ſ. 3. B. Codex Belgicus s. v. Woecker
S 6, 7.
2 So in Württemberg E-O. 1552. Reyſcher XII, S. 208), in Bayern
(P.-Q. 1553. III, S. 4, 5), in Oeſterreich Gucholtz VIII, S. 258).

Daß z. B. die ſächſiſchen Zinsgeſetze von 1550 (Schaffrath I, S. 31) und
1583 (I, S. 159) dieje Folge Hatten, entnehme ich aus der Stelle bei Wächter,
Württemberg. Privatrecht J S. 496, Anm. 8.
 
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