Zur franzöſiſchen Litteraturgeſchichte des 18. Jahrhunderts. 763
In den Reihen der gemäßigten Konſtitutionellen endlich erheben
ſich zwar ſchon ziemlich frühe Stimmen, die vor einer gänzlichen
Ignorierung des im Staat hiſtoriſch Gegebenen warnen, aber
dies waren doch nur Anwandlungen, und auch Mirabeau, bei dem
ſie am öfteſten wahrzunehmen ſind, und den ſein ſcharfer Blick für
die wahren Bedürfniſſe des Staates vor jeder doktrinären Ein—
ſeitigkeit bewahrte, ſteht mit ſeiner Staatslehre doch ganz auf dem
Boden ſeiner Zeit, geht in ſeinen theoretiſchen Anſichten nur von
Montesquieu und Rouſſeau aus.
Mallet du Pan, der immer noch den politiſchen Teil des
„Mercure“ redigierte, wurde freilich auch jetzt den Principien nicht
untreu, die er bis dahin bekannt hatte. Aber er iſt zunächſt doch
völlig eines Sinnes mit der Revolution, ſieht in ihr „eine denk—
würdige Umwälzung, die der Bewunderung von Jahrhunderten
würdig iſt;“ ſie habe, meint er, an die Stelle einer abſoluten
Monarchie, die lange ſchon in Fäulnis begriffen war, endlich ein
geordnetes Gemeinweſen geſetzt. Selbſt die Zerſtörung der Baſtille
macht ihn nur deshalb bedenklich, weil ſie eine gefährliche Schwäche
der Autorität verrate. Allmählich erſt ſieht er ſich gezwungen, zu
tadeln, zu warnen, zu verurteilen. Im ganzen ging er aber
auch hierbei nicht auf Principienfragen ein, und vollends ſpäter,
als er nach ſeiner Emigration mit den Staatsmännern von halb
Europa in Korreſpondenz getreten war, kam er nicht mehr dazu,
eine Theorie vom modernen Staat, wie er ihm anfangs durch die
Revolution erreichbar ſchien, zu formulieren;? ſeine berühmte
Schrift — die „GConsidérations sur la Nature de la Révolution
de France et sur les causes qui en prolongent la durée“ — die
übrigens erſt 1793 veröffentlicht und wohl auch in dieſem Jahre
geſchrieben wurde — iſt auch mehr eine publiziſtiſche Leiſtung als
ein Denkmal theoretiſch-politiſcher Auffaſſung.
Aber einen Schriftſteller gab es doch, der bereits im Sommer
1789, lange vor den Oktoberereigniſſen, die Revolution vom Stand—
punkt hiſtoriſch-politiſcher Bildung bekämpfte. Es war Antoine
Rivarol. Dieſer debütierte in dem „Journal politique national,“
das vom 15. Juli bis in die zweite Oktoberwoche erſchien und
deſſen einziger Mitarbeiter er war, zuerſt auf dem politiſchen Gebiet,
das er bald wieder verließ und erſt 1797 wieder gelegentlich be—
rührte. Er ſchrieb nicht wie Mallet du Pan in der lakoniſchen
Siehe namentlich eine Aeußerung Mouniers in der Sitzung vom 9. Juli
1789: „Nous n'oublierons pas que les Francais ne sont pas un peuple nou-
veau, sorti récemment du fond des foréts pour former une association.“
Guchez u. Roux II. S. 61.)
Wie Montégut in einer Studie über Mallet Revue des deux mondes
1851, Décembre S. 85ꝓ) ſehr gut ſagt: „On ne peut établir aucun corps
de doctrine sur les idées de X.“
In den Reihen der gemäßigten Konſtitutionellen endlich erheben
ſich zwar ſchon ziemlich frühe Stimmen, die vor einer gänzlichen
Ignorierung des im Staat hiſtoriſch Gegebenen warnen, aber
dies waren doch nur Anwandlungen, und auch Mirabeau, bei dem
ſie am öfteſten wahrzunehmen ſind, und den ſein ſcharfer Blick für
die wahren Bedürfniſſe des Staates vor jeder doktrinären Ein—
ſeitigkeit bewahrte, ſteht mit ſeiner Staatslehre doch ganz auf dem
Boden ſeiner Zeit, geht in ſeinen theoretiſchen Anſichten nur von
Montesquieu und Rouſſeau aus.
Mallet du Pan, der immer noch den politiſchen Teil des
„Mercure“ redigierte, wurde freilich auch jetzt den Principien nicht
untreu, die er bis dahin bekannt hatte. Aber er iſt zunächſt doch
völlig eines Sinnes mit der Revolution, ſieht in ihr „eine denk—
würdige Umwälzung, die der Bewunderung von Jahrhunderten
würdig iſt;“ ſie habe, meint er, an die Stelle einer abſoluten
Monarchie, die lange ſchon in Fäulnis begriffen war, endlich ein
geordnetes Gemeinweſen geſetzt. Selbſt die Zerſtörung der Baſtille
macht ihn nur deshalb bedenklich, weil ſie eine gefährliche Schwäche
der Autorität verrate. Allmählich erſt ſieht er ſich gezwungen, zu
tadeln, zu warnen, zu verurteilen. Im ganzen ging er aber
auch hierbei nicht auf Principienfragen ein, und vollends ſpäter,
als er nach ſeiner Emigration mit den Staatsmännern von halb
Europa in Korreſpondenz getreten war, kam er nicht mehr dazu,
eine Theorie vom modernen Staat, wie er ihm anfangs durch die
Revolution erreichbar ſchien, zu formulieren;? ſeine berühmte
Schrift — die „GConsidérations sur la Nature de la Révolution
de France et sur les causes qui en prolongent la durée“ — die
übrigens erſt 1793 veröffentlicht und wohl auch in dieſem Jahre
geſchrieben wurde — iſt auch mehr eine publiziſtiſche Leiſtung als
ein Denkmal theoretiſch-politiſcher Auffaſſung.
Aber einen Schriftſteller gab es doch, der bereits im Sommer
1789, lange vor den Oktoberereigniſſen, die Revolution vom Stand—
punkt hiſtoriſch-politiſcher Bildung bekämpfte. Es war Antoine
Rivarol. Dieſer debütierte in dem „Journal politique national,“
das vom 15. Juli bis in die zweite Oktoberwoche erſchien und
deſſen einziger Mitarbeiter er war, zuerſt auf dem politiſchen Gebiet,
das er bald wieder verließ und erſt 1797 wieder gelegentlich be—
rührte. Er ſchrieb nicht wie Mallet du Pan in der lakoniſchen
Siehe namentlich eine Aeußerung Mouniers in der Sitzung vom 9. Juli
1789: „Nous n'oublierons pas que les Francais ne sont pas un peuple nou-
veau, sorti récemment du fond des foréts pour former une association.“
Guchez u. Roux II. S. 61.)
Wie Montégut in einer Studie über Mallet Revue des deux mondes
1851, Décembre S. 85ꝓ) ſehr gut ſagt: „On ne peut établir aucun corps
de doctrine sur les idées de X.“