Einführung

Einführung zum Heidelberger Briefkorpus

In einem Schreiben von 1707 äußert sich die damals in Fontainebleau lebende Herzogin Elisabeth Charlotte (1652-1722) gegenüber ihrer Halbschwester, Raugräfin Amelie Elisabeth von Degenfeld, zu ihrer ureigensten Passion: „Freilich schreib ich mehr als einen Brief des Tages, es geht kein Tag vorbei, daß ich nicht auf wenigstens vier Briefe schreibe, des Sonntags oft zwölf.“ An anderer Stelle bekennt sie: „Schreiben ist meine große occupation, denn ich kan und mag nicht arbeytten, finde nichts langweiligers in der welt, alß eine nehennadel einzustecken und wieder herauszuziehen.“ Die erhaltenen Briefe sind zumeist an Adressaten in Deutschland gerichtet, z.B. an ihre Tante Sophie, Herzogin von Hannover, und an ihre Halbschwestern Luise und Amelie Elisabeth. Sie schildert darin zum Teil sehr direkt und unverblümt das Leben und die Verhältnisse am Hofe Ludwigs XIV. Briefe, die Liselotte empfangen hat, sind nicht erhalten, teilweise verbrannte Liselotte sie, nachdem sie die Briefe beantwortet hatte, ansonsten wurden die Briefe – wie es damals üblich war – nach Liselottes Tod 1722 vernichtet.

Von den etwa 6.000 erhaltenen Briefen werden 53 in der Historischen Sammlung der Universitätsbibliothek Heidelberg aufbewahrt und hier als digitale Edition präsentiert. Nur zwei der Briefe aus der Sammlung sind auf Deutsch, die restlichen 51 sind in französischer Sprache verfasst. Sie umfassen einen Zeitraum von 1687 bis 1722. Unter diesen Briefen befinden sich 47 Briefe an die Hofdame Madame de Ludre, die sich in ein lothringisches Kloster zurückgezogen hatte. In diesen äußert sich Liselotte u.a. über den Versailler Hof, Kriege, die Politik ihres Sohnes Philipp von Orléans, den Tod Ludwigs XIV. und über Fragen der Religion und Lebensphilosophie. Mehrfach behandelt Liselotte auch Krankheitsfragen und überliefert dabei Details über die Praxis der Medizin um 1700. Dieser Briefwechsel stellt somit eine wichtige Quelle zur Mentalitäts- und Kulturgeschichte des französischen Hofes dar.

Der letzte Brief des Konvolutes ist kurz vor dem Tod der Herzogin (8. Dezember 1722) diktiert. Nur die Anrede und die Unterschrift wurden eigenhändig ausgeführt.

Eingang in die historische Sammlung der Universitätsbibliothek

Die Briefe gelangten durch die Erwerbung auf Auktionen in die historische Sammlung.

  • Heid. Hs. 3834_1: Brief an Louis Joseph, Herzog von Vendôme, 11.05.1711. Acc. Nr. 75 So 68. Auktion Stargard, Marburg, Februar 1975.
  • Heid. Hs. 3834_2: Brief an eine Dame des französischen Hofes [Madame de Ludres?], 07.06.1703. Acc. Nr. 77 So 220. Hartung u. Karl, Auktion 22, Nov. 1977.
  • Heid. Hs. 3834_3: Brief an die Marquise von Maintenon, 14.02.1707. Acc. Nr. 91 St 3940; Antiquariat Dr. Wolfgang Wiemann, Heidelberg, 23.12.1991.
  • Heid. Hs. 3903: Das Konvolut umfasst 47 Briefe an Marie-Isabelle de Ludre und wurde am 30. Mai 1979 mit Mitteln des Landes aus dem Privatbesitz des Grafen Gudenus, Paris, gekauft.
  • Heid. Hs. 3924: Brief an Madame Amelie Elisabeth Raugräfin zu Pfalz, 16.03.1702: Erworben im Mai 1980 aus der „Sammlung Adam“ (Auktion bei Fa. Tenner) Nr. 259/2. Acc. Nr. 80 St 1632.
  • Heid. Hs. 4155,6: Brief an Madame de Puidebar. Erworben aus dem Besitz von Graf Gudenus, Paris, 2000, Nr. 1703.