Transkriptions- und Editionsrichtlinien Minnereden

A. Allgemeine Richtlinien für die Transkription der handschriftlichen Textzeugen

  1. Abbreviaturen (insbesondere Nasalstriche und er-Haken) werden aufgelöst. Dass es sich um aufgelöste Abkürzungen handelt, wird durch runde Klammern angezeigt; die Textdarstellung lässt sich so einstellen, dass die Klammern verborgen werden.
  2. Es wird ein Ausgleich von u/v und i/j nach ihrem vokalischen oder konsonantischen Lautwert durchgeführt.
  3. Diakritische Zeichen bzw. superskribierte Buchstaben über Vokalen werden folgendermaßen vereinheitlicht:
    • Ohne (angenommenen) Lautwert: Wenn ein diakritisches Zeichen (unabhängig von seiner konkreten Form) nur die Funktion hat, anzuzeigen, dass ein Vokal gemeint ist (insbes. bei u), oder die Vokalquantität zu markieren, wird es nicht transkribiert.
    • Mit (angenommenem) Lautwert: Ein übergeschriebenes e sowie die verschiedenen Realisierungen als (einzelne oder doppelte, vertikal oder horizontal angeordnete) Punkte, miteinander nicht mehr verbundene Halbbögen, übereinanderstehende Striche oder diagonale Haken – Erscheinungsbilder, die allesamt genetisch auf das e zurückgehen und aus dem ,Degenerationsprozess‘ von dessen Vereinfachung und schneller Ausführung hervorgegangen sind – werden als kleines e über dem jeweiligen Vokal vereinheitlichend wiedergegeben. Nur in den Fällen, in denen eindeutig ein anderer Vokal superskribiert ist (vor allem das kleine o), wird dieser Vokal abgebildet.
  4. Es wird zwischen Schaft-ſ und rundem s differenziert. Außerdem transkribieren wir ſz als ß (nicht: ſz). Weitere Differenzierungen, z.B. verschiedene r-Allographe, werden nicht berücksichtigt.
  5. y und ij werden einheitlich als y transkribiert.
  6. Die Schreibweisen der dentalen Affrikate z, cz, tz, zt usw. werden wie in der Handschrift wiedergegeben; lediglich wenn uneindeutig ist, ob die Handschrift cz oder tz schreibt, wird regelmäßig tz transkribiert.
  7. Am Versanfang steht immer ein Großbuchstabe. Im Versinnern wird alles klein geschrieben. Ausnahme: Eigennamen, Personifikationen u.Ä. werden nur dann großgeschrieben, wenn sie auch die Handschrift großschreibt.
  8. Die verschiedenen Größen des Spatiums werden nicht nachgebildet. Die Zusammenschreibung wird möglichst vereinheitlicht; insbesondere werden Präpositionaladverbien, Verbalsuffixe (sowohl untrennbare als auch trennbare) sowie (eindeutig als solche erkennbare bzw. von Genitivkonstruktionen unterscheidbare) Komposita zusammengeschrieben.

B. Richtlinien für das Erstellen von Lesefassungen

  1. Es gelten alle „Allgemeinen Richtlinien für die Transkription“ (Abschnitt A.).
  2. In der Handschrift getilgte, durchgestrichene etc. Verse, Worte oder Buchstaben werden nicht angezeigt, der Textkonstitution wird die letzte Textschicht bzw. die ‚Fassung letzter Hand‘ zugrunde gelegt
  3. Allographe werden folgendermaßen weiter vereinheitlicht:
    • y wird als i wiedergegeben.
    • Schaft-ſ wird als rundes s wiedergegeben, ß und ss bleiben als Grapheme bestehen.
    • cz und tz werden als tz wiedergegeben. Im Wort- und Silbenanlaut wird die dentale Affrikate ausschließlich als z notiert.
  4. Diakritika, die nach der binären funktionalen Differenzierung (vgl. A.3) aufgrund ihres (angenommenen) bestehenden Lautwerts in der Transkription wiedergegeben wurden (vgl. A.3.b), werden unter Berücksichtigung der Lautgeschichte des betroffenen Wortes einzeln disambiguiert:
    • Wenn sie für einen Diphthongteil stehen, wird der Diphthong ausgeschrieben (z.B. muͦt als muot).
    • Wenn sie für einen Umlaut stehen, wird der Umlaut durch Trema wiedergegeben (gedruͤcket als gedrücket).
    • Gelegentlich muss, z.B. bei alemannischer Schreibsprache (so in He10), in der keine Monophthongierung stattfindet, eine Doppelfunktion zugelassen werden, dass ein und dasselbe Diakritikon sowohl für den zweiten Diphthongteil als auch für den Umlaut steht (z.B. suͤße als süeße).
    Eine funktionale Spezialisierung der Diakritika lässt sich bekanntlich nicht nachweisen – davon zeugen insbesondere das in seiner Form nicht gleichbleibende Diakritikon in verschiedenen Vorkommen ein und desselben Wortes (z.B. Nebeneinander von muͦt[e] und muͤt[e] [B480 in He10, V. 1/97]) und jene Fälle, in denen ein übergeschriebenes o unmissverständlich den Umlaut bezeichnet (z.B. luͦstern [B480 in He10, V. 116]).
    An jenen Stellen, an denen laut- und formgeschichtlich ein Diphthong und/oder ein Umlaut zu erwarten wäre, aber kein Diakritikon zu lesen ist, wird auf seine Wiederherstellung verzichtet.
  5. An den Stellen, an denen w vokalische Qualität hat, wird es als u wiedergegeben, d.h. insbesondere die Schreibweisen aw und ew für die Diphthonge au und eu werden zugunsten der letzteren vereinheitlicht.
  6. Konsonantenvereinfachung wird im Wortinneren vorgenommen, wenn eine Verbindung von zwei verschiedenen Konsonanten vorliegt, von denen einer auch seinerseits verdoppelt wird:
    vertte (B223 in He10, V. 309) wird als verte, lüfften (B223 in He10, V. 237) als lüften wiedergegeben. Als eine solche Konsonantendoppelung fassen wir auch -gk im Auslaut auf: Daher wird dingk (B480 in He10, V. 461) als ding wiedergegeben. Gleiches gilt für -ck im Anschluss an einen Konsonanten: dancken wird zu danken graphisch vereinfacht.
    Die Regel wird außer Kraft gesetzt, sofern es sich um eine morphologische Grenze handelt (kauff-man-schaft [B223 in He10, V. 93]).
    Im Wortauslaut wird die häufige Doppelkonsonanz von Flexionsendungen ebenfalls vereinfacht: hann [B223 in He10, V. 6] wird als han wiedergegeben.
  7. Die verschiedenen handschriftlichen Schreib- und Lautformen ein und desselben Wortes werden abgebildet, es wird keine graphische Vereinheitlichung durchgeführt.
  8. Es wird eine Interpunktion eingeführt, für die – soweit sinnvoll und möglich – moderne Interpunktionsregeln zugrunde gelegt werden.
  9. Vor Resumptiva (wiederaufnehmenden Pronomina) steht kein Komma, sofern sie sich auf ein Einzelwort beziehen, z.B. min sin der waz verirret (B480 in He10, V. 4) oder ir blicke die machten mir tauen (B480 in He10, V. 54). Damit wird nicht nur eine typographische Überfrachtung mit Interpunktionszeichen vermieden, sondern im Sinne einer funktionalsyntaktischen Differenzierung auch eine Abgrenzung von Relativpronomina vorgenommen (der knauff, | der mir in die augen slauff [B480 in He10, V. 31f.]).
  10. Nur Satzanfänge (keine Versanfänge, vgl. A.7) und Eigennamen (auch Personifikationen) beginnen mit Großbuchstaben.
  11. Direkte Rede steht in einfachen Anführungszeichen und beginnt mit einem Großbuchstaben.
  12. Unreiner Reim, ob vokalisch und/oder konsonantisch, ist zwar im Minneredenkorpus nicht üblich, kommt jedoch immer wieder vor und bietet daher – anders als z.B. ein fehlender Vers eines Reimpaares – keinen hinreichenden Anlass zum editorischen Eingriff (vgl. lit : bite [B223 in He10, V. 19f.], hort : porte [B223 in He10, V. 337f.], frauwenbild : wilde [B223 inHe10, V. 165f.]; exemplarisch umgesetzt bei slufet : gußet [B223 in He10, V. 63f.], loben : geben [B223 in He10, V. 363f.]). In den seltenen Fällen aber, in denen aus anderen (semantischen, morphologischen oder syntaktischen) Gründen in ein Reimwort eingegriffen wird, wird reiner Reim hergestellt (lüften : güften [B223 in He10, V. 237f.]).

Weitere spezifische Hinweise und Entscheidungen für die Transkription aus einer bestimmten Handschrift werden nach und nach ebenfalls veröffentlicht.