B430: Der Kittel

Umfangreiche Traumerzählung von einer Aventiurefahrt in das Reich von Frau Venus mit Liebesszene, Tugendkatalogen, Edelstein- und Farballegorese und einem derben Bericht von der falschen neuen Minne

Verfasser: Meister Altswert

Datierung: früheste Überlieferung vor 1410 (He10)

Überlieferung:

He3 160r–191v; 1890 V.
He9 33v–74v; 1901 V.
He10 6v–39v; 1893 V.

Edition:

Mone 1834b, Sp. 22–24 (Teiledition nach He9); Holland/Keller 1850, 11–69 (krit.); Meyer, K. 1889, 32–34 (Korrekturen zu Holland/Keller)

Literatur:

Meyer, K. 1889; McCormick 1960; Blank 1970, 176–179; Glier 1971, 216–225; Wittmann-Klemm 1977, 115; Glier 2VL 1 (1978), 319f.; Wallmann 1985, 304–306; Speckenbach 1991a, 48–51; Janota 2004, 344; Kiening 2Killy 1 (2008), 113

Beschreibung der Überlieferung:

Überliefert im Konvoi mit drei anderen Texten Meister Altswerts in der Reihenfolge B429, B430, B431, B223. Nur in B429 nennt sich der Autor Meister Altswert, die anderen Texte werden ihm aufgrund von Stil und Überlieferungsgemeinschaft zugewiesen. Die Altswert-Autorsammlung ist in He10 als ursprünglich selbständiger Faszikel überliefert. In He9 eröffnet sie die Minnereden-Sammlung, in He3 folgt sie auf die Großformen B232 und B439, welche die Hs. eröffnen, sowie auf zwei Texte Hermanns von Sachsenheim (B465 und B226). Obwohl der Text insgesamt sehr einheitlich überliefert ist, gibt es mehre signifikante Varianten, z.B.: Die geliebte Dame des Sprechers wird nur in He3 und He9 mit der Initiale g benannt (V. 701 und 1586). In He10 fehlt sie durchgehend. Auch wenn in der Edition ergänzt, taucht die Initiale noch nicht in V. 392 auf. He3 schreibt hier min we. In 809 und 846 haben He3/He9 sechzehen und drissig gegenüber sehzig und zwenzig in He10. He3 und He9 verwenden in mehreren Versen weniger obszöne Begriffe als He10: in 1342 beschalken gegenüber beschissen; in 1366 beschniten und beschmissen gegenüber beschiessen; in 1415 ein kropffstos gegenüber ein grozes schoz; in 1416 dunckt in der mynn genoz gegenüber dunkt mich der minnen proz; in 1425 verhite hur und verhitü hur gegenüber verforteniu hur; in 1434 jn der seitten und in den sitten gegenüber im schlitten.

Überschrift:

Daz h[aiße]t der kittel (He10)

Inhalt:

(Zitate nach der Edition von Holland/Keller 1850, deren Zeilen neu durchnummeriert wurden) . A Prolog (1–45): In einer Anrufung Gottes bittet der Sprecher um Verstand und Meisterschaft, damit er in schlichten und angemessenen Worten die keusche Dame, die er als Vorbild erwählt habe und auf die sich sein ganzes Sinnen richte, preisen könne (Inspirationsbitte). Er hofft auf die Gnade seiner Dame, beklagt sein Liebesleid und versichert ihr seinen beständigen Dienst (verwundetes Herz, Minnerost, Leibeigenschaft).

B Traumerscheinung (46–95): Der Sprecher denkt an einem frühen Morgen an seine Geliebte und sehnt sich nach einem Land der vollkommenen Freude. Im Zustand zwischen Schlafen und Wachen hört er die Stimme eines Boten, die ihn fragt, ob er in das Land der Venus reisen wolle, in dem alle seine Wünsche erfüllt würden. Als der Sprecher voller Glück aufsteht, ist der Bote weg. Doch angeregt durch dessen Verheißung entschließt sich der Sprecher, ihn überall auf der Welt zu suchen: in Apulien, in der Lombardei, in Frankreich, in Naverne (85), in Spanien, England, Preußen, Litauen, Reußen, Ungarn sowie in Ländern jenseits des Meeres. Er scheue weder die Mühen der Reise noch die Gefahr kriegerischer Auseinandersetzung.

C Reise nach Schottland (96–239): Auf der Suche nach dem Land der Venus bereisen der Sprecher und sein Knecht zunächst Schottland. Sie reiten durch die Maiennatur (Wald, Vogelgesang) und verirren sich schließlich in einem einsamen Gebirge. Der Sprecher klettert auf eine Linde, sieht jedoch keine Straße. Seinen besorgten Knecht fordert er auf, dennoch zuversichtlich zu sein, da sich schon oft das Glücksrad (131: der Selden schibe) zu seinen Gunsten gedreht habe. Jesus Christus werde ihnen den Weg weisen. Auf einer steilen Felswand werden sie von einem riesigen Bären angegriffen, er ist zwölf Fuß (167: schuohe) hoch, zwanzig lang und sehr hungrig. Er nimmt eines der Pferde unter seinen Arm und verfüttert es an seine Jungen. Der Sprecher und sein Knecht kommen an einen Locus amoenus (Quelle, Blumen, Vogelgesang, Bäume), von wo sie zu einer noch höher gelegenen Heide weitergehen. Sie verlieren auch das zweite Pferd (es stürzt in einen Felsspalt), der Knecht ist verzweifelt. In einem Tal voller Tiere beobachten sie einen wilden Mann, der mithilfe einer ausgerissenen Tanne ein Wildschwein im Kampf besiegt. Als sie nach fünf Tagen Irrfahrt in einen furchteinflößenden Wald gelangen, beklagt der Knecht seine Verzweiflung und seinen Hunger: Er gäbe alles für ein Brot. Erschöpft legen sie sich nieder und schlafen ein.

D Traum / Der wunderbare Garten (240–368): Der nun folgende Traum geht bis V. 1808: Erneut wird der Sprecher im Traum von dem Boten gerufen. Diesmal folgt er dem Boten, der eine nebelkappe (249; Tarnmantel) trägt, überglücklich in das Land der Venus. Sie kommen in einen Garten in einem wunderschönen Tal, wo der Sprecher an einem Brunnen warten solle, weil der Bote den Sprecher bei Frau Venus anmelde. Der Sprecher sieht sich um: Der Springbrunnen aus Marmor, Elfenbein, Gold und Silber hat zwanzig Rohre aus denen Wasser emporspringt, das nach Balsam schmeckt. Der Brunnen ist mit wunderbaren Bildern bemalt, auf denen ziborien (299; Hostienkelche) dargestellt sind. Die Bäume des Gartens kommen aus dem Paradies, blühen und tragen Früchte gleichzeitig: Obst, das wie himelbrot (305; Manna) schmeckt. Die Vögel singen. Galander und Nachtigal nisten in einem Gartenhaus (318f.: sal, | Der was in den garten gebuwen), das sogar den Wohnsitz des Königs von Frankreich übertreffe: Ein Maler aus Griechenland hat die eine Wand mit lebendig scheinenden tugendhaften Frauen, die andere mit Darstellungen von Wappen, Schildern und Helmen ausgemalt, die dem Sprecher von zahlreichen Turnierplätzen bekannt sind.

E Traum / Die Botin von Frau Venus (369–798): Der Sprecher geht weiter in den Garten hinein und kommt an einen wunderbaren Fischweiher. Hier begegnet er der Rosen pflückenden Botin der Venus, die er mit dem Sonnenschein und dem Morgenstern (386: tagsterne) vergleicht. Er hält die Botin für seine Geliebte (392: ez wer min G), vergleicht sie mit einem Engel und einer Rose im Mai; 1000 Jahre lang sei keine schönere Frau gesehen worden. Sie trägt nur einen kittel (419; d. h. einen leichten Überhang) aus glänzender Seide und eine Lilie in der Hand. Die Schönheitsbeschreibung nach dem A capite ad calcem-Schema beginnt mit einer wiederholt ansetzenden Beschreibung ihres offen getragenen (432: entflochten) blonden, lockigen Haars (432, 441, 452), auf dem sie einen Kranz aus Rosen trägt. Unter ihrem Kleid zeichnet sich ihr Körper ab (dessen Glanz der Sprecher mit der ersten Apfelblüte vergleicht). Reihenfolge (452–486): Haar, Stirn, Augen (wie Falken), Brauen, Nase, Ohren, Wangen, Mund (wie Rubin), Zähne (wie Elfenbein), Kinn, Hals (weiß-rot wie ein Palast), Schultern, Brüste (472: Die stigen fast zuo berge hin), Arme, Hände, Finger, Oberkörper, Taille, Beine und Füße. – Die Botin grüßt und umarmt den Sprecher und verspricht ihm die Erfüllung all seines Begehrens. Ihre Augen blicken in sein Herz, und ihr beider Minnefeuer entflammt heftig (533f.: Ez begunde flammen dümpfen, | Sunder allez argez rumpfen). Mit fomelhaften Wendungen (z.B. 542: Wan ich bin du und du bist ich) versichern sie sich ihre Liebe und geben sich dem körperlichen Liebesspiel (Umarmungen, Küsse usw.) hin, wobei der Sprecher mehrmals betont, nur an die Bewahrung ihrer Ehre zu denken (Bekenntnis zu ehrenhafter Minneerfüllung). Erst durch den Ruf des Wächters werden sie gestört (Anspielung auf die Tagelied-Situation). Die Dame offenbart sich nun als Botin der Venus und nennt ihm die anderen fünf Königinnen – Ehre, Treue, Beständigkeit, Liebe und Maß – die ihn sehen möchten.  Er fragt, woran er die Königinnen erkennen könne.  Die Botin ordnet jeder Königin die Farbe ihrer Kleider zu (erneut katalogartig in je vier Versen): Venus = Gold, Treue = Schwarz, Beständigkeit = Saphirblau, Liebe = Grün, Maß = Weiß.  Der Sprecher fragt die Botin nach den im Gartenhaus gemalten Figuren.  Sie sagt, die dort gemalten Damen und Herren, von denen niemand mehr lebe, seien von den Königinnen ausgewählt worden. Würdig, in dem Saal verewigt zu werden, seien nur diejenigen, die über die zwölf Regeln der Tugend verfügten: Beständigkeit, Treue, Freigebigkeit, Verständigkeit (651: bescheidenheit), gute Taten, Ehre, Scham, Wohlerzogenheit, Mäßigung, Verschwiegenheit, Liebe und Geselligkeit. Nur wer sich an diese halte, erlange die Gnade der Venus, den Lohn der Welt und könne frei vor Gott treten.  Der Sprecher gelobt, ihren Rat zu befolgen.  Sie fragt ihn, ob ihm ihr Name bekannt sei.  Er bejaht, sei sie doch seine geliebte Dame (Dienstversicherung): Ich weiz wol, daz du bist min G. (701). Nur ihretwegen habe er die weite Reise auf sich genommen.  Die Botin lacht und erwidert, er habe sich selbst betrogen. Sie sei nicht seine Minnedame, obwohl sie dieser hinsichtlich ihrer Tugenden vollkommen gleiche; außerdem würden Venus und die Königinnen seine Geliebte zu ihrem Hofstaat zählen. Schließlich stellt sich die Botin selbst vor: Sie sei die höchste Jungfrau der Venus und solle ihn trösten. Es folgt ein umfangreicher hyperbolischer Lobpreis der geliebten Dame durch die Botin (743–768): Alle Geschöpfe sollten ihr Untertan sein; sie sei ein Engel der Tugend; brenne auf der Glut der Ehre wie ein Salamander, der sich vom Feuer ernähre; sie besitze den Hafen der Ehre (764: der eren port) usw.  Der Sprecher realisiert nun, dass er seine Geliebte gar nicht gefunden hat, und beklagt seine Verlassenheit.  Die Botin verspricht, Vermittlerin zu sein und seine Geliebte zu ermahnen, von ihrer Liebe nicht abzulassen.

F Traum / Der Palast der Venus (799–1182): Die Botin führt den Sprecher zum Palast der Venus. Als sie an die Zugbrücke (hundert Klafter lang über einem sechzig Klafter tiefen Abgrund) gelangen, ruft der Wächter, dass ein lang erwarteter Gast komme. Der Sprecher preist die Vollkommenheit der Burg (errichtet auf diamanthartem Felsen; hohe Burgmauern aus Stahl; dreißig Türme, zwölf Klafter hoch; goldener Palast; Dächer aus Silber; Spitzen der Türme aus arabischem Gold usw.). Das Tor wird von einem zehn Klafter großen Riesen bewacht, der den erschrockenen Sprecher beruhigt: Er sei ihm gewogen, weil der Sprecher tugendhaft sei; nur wer Böses beabsichtige, den töte er. Die Botin führt den Sprecher in einen Saal, der mit zahlreichen Heldenbildern ausgemalt ist (Artus, Gahmuret, Wigalois, Parzival, Wilhelm von Orlens und Lanzelet). An der Decke hängt ein Kronleuchter mit folgenden Tag und Nacht leuchtenden Edelsteinen (z.T. werden die Wirkungen angegeben): ein Karfunkel von Kurianz (904); ein Karneol aus Zypern (Freude, wenn man ihn anblickt); ein Amethyst aus dem Heidenland (Tugendhaftigkeit); ein rosa Sardin, der den Sprecher an den Mund seiner geliebten Dame erinnert; ein blaugrüner Türkis (Tapferkeit); ein gelbgrüner Chrysolith aus Griechenland (Befreiung von Sorgen); ein rotweißer Jaspis, gleich dem Nacken der geliebten Dame; ein Granat (ewige Jugend); zwanzig in verschiedenen Farben leuchtende Kameen (963: gamhü), bearbeitet zu Abbildern zahmer und wilder Tiere; ein weißer und roter winkel (972) aus dem Land von Cusart (974) (bewahrt vor Lastern); ein heller indischer Rubin aus der Krone König Salomons (bewahrt vor Leid). – Als der Sprecher den süßen Gesang der Königinnen vernimmt, meint er, er sei im Paradies. Er beschreibt zunächst die Kleider der Königinnen: Frau Venus mit Kleid aus arabischem Gold, Topasen aus Karthago (die beim Anblick glücklich machen) und einer Krone aus Frankreich, die 100.000 Mark wert ist; Frau Ehre mit rosenrotem Kleid aus englischem Stoff und orientalischen Rubinen (machen sorgenfrei); Frau Treue mit schwarzem Seidenkleid (1071: baldekin), besetzt mit funkelnden Diamanten aus dem Land des Priesters Johannes (bewirken Treue); Frau Beständigkeit mit lasurblauem Kleid (der Stoff aus Flandern) leuchtend wie ein Pfauenhals, besetzt mit Saphiren des Königs von Troja (bewirken ewige Beständigkeit); Frau Liebe, deren Kopf im Schoß der Venus liegt, mit grünem Seidenkleid, besetzt mit Smaragden (die ein Zwerg einem König gestohlen hat; Smaragd bewirkt Liebe und zeigt durch Zerbrechen sündhaftes Verlangen an); Frau Maß mit einem perlenweißen Kleid, besetzt mit Kalzedon (1151: katzedenigen), Geschenk des Kaisers von Nickatet (1147; ?). Der gesamte Palast ist mit Edelsteinen verziert und mit allen Lebewesen der Welt ausgemalt.

G Traum / Bericht von der Neuen Minne im Elsass (1183–1510): Frau Venus und die fünf Königinnen heißen den Sprecher willkommen.  Er bedankt sich und kniet nieder.  Frau Venus gebietet ihm aufzustehen und verspricht, dass er hier von seinem Liebesleid befreit werde. Wenn seine geliebte Dame hart bleibe, würde sie die Ungunst der Venus und der Königinnen erfahren. Auf Geheiß der Venus setzt er sich zu ihnen.  Alle Königinnen nennen seinen Namen und betonen, dass sie schon lange auf ihn warteten.  Frau Venus fordert ihn auf, vom Leben im Elsass zu berichten.  Der Sprecher antwortet mehrmals ausweichend und zieht dadurch den Zorn der Venus auf sich: Sie verlangt Auskunft über das Treiben der falschen neuen Minne (1234); andernfalls werde sie ihn bestrafen.  Unter der massiven Drohgebärde der Venus beugt sich der Sprecher schließlich ihrem Befehl und erzählt von der schändlichen Neuen Minne: Die Frauen trügen fremde Locken am Saum (? 1303: An die zeune) ihrer Kleider; ihre Ausschnitt seien so tief, dass man ihre Schultern, Achselhöhlen und ihre Brüste (1308: buoben) drei Finger breit sehen könne; auf die Busen könne man Kerzenständer stellen. Die Frauen seien hoffärtig und verlangten nach immer neuen kostbaren Röcken, würden sich künstlich Locken flechten und damit viele Männer betören. Diese nenne man wechseler (1324; Frauen, die viele Buhlen haben). Manche Frau habe mit vier Liebhabern nicht genug und wolle dem fünften hold sein. Jedem verspreche sie ihre Treue und erzähle alles ihren Freundinnen weiter. Die jungen Männer handelten entsprechend: Sie hielten denjenigen für den besten Liebhaber, der es verstehe, andere zu betrügen (1342: wer den andern beschissen kann). Wer einen Gänsehals mache, punkte bei den Frauen, könne aber kaum kämpfen. Eine Tjost könne ein solcher nur ausgepolstert mit Baumwolle bestehen. Er sei träge wie eine Kuh und trage enganliegende Kleider und einen so kurzen Rock, dass man zur Belustigung der Damen seine beschissene und zerrissene Unterhose und seinen Schwanz sehen könne (1364–1366: Da schouwet man den lieben swanz, | Der henget an dem rouch, | Und ist gelich einem gouch). Der Sprecher erwähnt weitere Kleidungsstücke: krumme Schuhe (1371), Narrenkappe (1373: kugelhuot), hoher Hut mit Straußenfeder. Auch wenn er sich nie weit von seinem Haus entferne, präsentiere er sich vor den Frauen als großer Krieger usw. Damit will der Sprecher enden.  Venus aber ermahnt ihn fortzufahren und droht ihm erneut.  Der Sprecher fährt fort und berichtet von den Geselligkeiten dieser Leute: Den lauten Furz (1413: grozen scheiz) eines Mannes hielten sie für Minnesang (1414: für der minne leis) und einen großen Scheißhaufen für eine Knospe der Minne. Die Männer würden die Frauen auf unanständige Weise berühren (1421f.: Er schlecht sie hinden an den ars, | Des spilt er mit ir alter pars). Wenn die Frau sich wehre, beschimpfe der Mann sie als ängstliche Hure und drohe, Lügen über sie zu verbreiten. Wie ein Metzger (1430) prüfe er, ob die Frau auch schön fett sei und greife ihr wie bei einem Kalb zwischen die Hinterbeine. Wenn ein ehrbarer Mann zu diesen Leuten komme, würde er als zu fromm (1443: Er sol rauchfas umb kirchen tragen) oder zu jung (1448: ein betzeler) verspottet.  Venus und die Königinnen drücken gemeinschaftlich ihren Ekel gegenüber der Neuen Minne aus und verfluchen ihre Anhänger: sie solle das Leid der ganzen Welt und der Hass Gottes und der Christenheit treffen. Ihnen sei der Zugang in das Reich der Venus verwehrt.  Der Sprecher wünscht, in den Regeln der wahren Minne unterwiesen zu werden (1498: Das mir üwer orden werd kunt). In das Land, das er wegen des schändlichen Benehmens seiner Bewohner verlassen musste, könne er aus Angst vor Vergeltung nicht mehr zurück.

H Traum / Minneregeln (1511–1760): Frau Venus belehrt den Sprecher ausführlich über verschiedene Tugenden (Maßhalten; Bevorzugung von Männern mittleren Alters vor jungen Toren; Vorsicht vor Klaffern).  Der Sprecher fragt, mit welchem Alter sich Frauen zur Minne eignen.  Venus gibt das konkrete Alter von zwanzig Jahren an: Erst in jenem Alter würden Frauen über die Eigenschaften Güte, Klugheit, Wohlerzogenheit und Keuschheit verfügen. Jüngere Frauen kämen viel eher vom Weg ab, wollten stets ihren Willen haben und würden oft untreu. Solche ehrlose Frauen gehörten dem Teufel und der Hölle.  Der Sprecher preist seine Gesprächspartnerinnen und meint, dass er niemals diesen Ort verließe, wenn er nur endlich seine geliebte G bei sich hätte.  Venus formuliert einen umfangreichen Regelkatalog über das richtige Minneverhalten (vgl. die 12 Regeln der Botin unter E) (1599–1652): Gottesliebe, Beständigkeit, heimliche Liebe, Ehre, Treue, Maß halten, Wohlerzogenheit, Verständigkeit, Scham, keinen Meineid leisten, Dienstbereitschaft, keine üble Nachrede, freundliches Grüßen, Verschwiegenheit, nicht klaffen, Güte, Versöhnlichkeit, von Zeit zu Zeit leiden, Freigebigkeit, nicht träge, nicht wankelmütig sein, Hilfsbereitschaft, Demut, Wahrhaftigkeit, schlechte Gesellschaft fliehen, Geselligkeit, Rechtschaffenheit, Stärke, Tapferkeit, Standhaftigkeit, gute Gesinnung, Mut, Liebe. – Venus droht: Wer wie ein Narr beabsichtige, sich der Neuen Minne zuzuwenden, dem werde unverzüglich jede Ehre genommen.  Der Sprecher preist die Vollkommenheit des Regelkatalogs der Venus: Herren, Ritter und Knechte sowie alle würdevollen Damen sollten den Regeln folgen. Die Würde und Ehre einer tugendhaften Frau seien kostbarer als Mandeln und griechisches Gold. Der Sprecher fragt nun nach den Wirkungen der Minne.  Venus antwortet zunächst mit einer erneuten Ablehnung der Neuen Minne. Was die rechte Minne bewirke, zählt sie dann in einer anaphorisch Reihe von genau 30 Versen auf, die je mit Sie tuot, Sie macht oder ähnlich beginnen (1707–1736). Minne erscheint hier als Urgrund der Ritterschaft (Fahrten nach Preußen, Reußen, Spanien, Kämpfe, Turniere usw.), höfischer Vergnügungen (Tanzen, Springen Freude) und ritterlicher Tugenden (die oben schon mehrfach erwähnten wie Freigebigkeit, Scham usw.). Habe die Minne sich einmal in die Kammer des Herzens geschlichen, entfalte sie ihre Kraft und mache ihn zu einem Gefährten des Kaisers, sodass er das Kleid der Ehre anziehe. Die Minne könne eine solche zwüschenliebe (1747) bewirken, dass es zur Einheit, Vereinigung zweier Menschen komme.

I Traum / Schatzkammer (1761–1808): Frau Venus nimmt den Sprecher an die Hand und führt ihn in ihre Schatzkammer mit Perlen, Gold und Edelsteinen. Da der Sprecher die Regeln und das Leben der Venus achte, solle er sich als Geschenk aussuchen, was ihm gefalle.  Der Sprecher dankt, doch wünsche er sich weniger materielle Schätze als vielmehr, dass ihm seine geliebte G in dem kittel (1784) gewogen sei. Zudem schäme er sich, Gaben anzunehmen; er wisse nicht, wie er das vor der Geliebten verantworten solle und fürchte ihren Zorn.  Frau Venus meint, er solle dennoch zuversichtlich sein, und überreicht ihm für den Notfall einen Diamanten (Treue), einen Saphir (Beständigkeit), einen Rubin (Ehre) und einen grünen Smaragd, mit dem er die Huld seiner Geliebten erlangen werde. Der Sprecher nimmt überglücklich die Steine an sich und nimmt von der Kaiserin Venus und den Königinnen Abschied.

J Erwachen und Schluss (1809–1894): Dieser Teil ist abgesehen von letzten zwei Versen durchgehend in Dreireimen gedichtet. Der Hahn kräht, und der Sprecher empfindet einen Schlag gegen sein Herz. Doch das will er nicht weiter kommentieren (1811: Das lan wir ligen, als es lag!). Stattdessen schließt er die Rede mit einem Lob seiner Geliebten, einem Liebesbekenntnis und einer Bitte um Erhöhung, zuerst in Form einer Baumallegorie (aus ihm sprössen junge Minnetriebe; sein Herz pflücke ihren Trost; ihr Stamm wurzele in ihm; ihr Zweig des Glücks gehe in ihm mit voller Blüte auf usw.), dann in einer Apostrophe seiner Dame mit verschiedenen Namen an (je zu Beginn eines Dreireims), die als Attribute zum einen ihre Tugenden, zum anderen aber auch seine Wünsche und Verpflichtungen ihr gegenüber bezeichnen (1827–1889): Frau frölich, Frau trut, Frau wirdig usw. Darin finden sich bekannte, aber auch neue Metaphern und Gedanken (Zweig des Heils; die Geliebte im Haus seines Herzens; Schlüssel zum Schrein seines Herzens; Leibeigenschaft usw.). Wegen der Dame möchte er in Blau gekleidet gehen. Es folgt noch ein Ausruf des Sprechers: Ach got, künt ich das mittel! (1893) und die Titelnennung: Diz buch daz heizet der kittel (1894). Der anfangs ausführlich entworfene narrative Rahmen wird nicht geschlossen.

Parallelen:

Zahlreiche Ähnlichkeiten in Struktur, Wortschatz und Argumentation bestehen mit den anderen Minnereden von Altswert, vor allem B429 und B431, Einzelnes findet sich auch in B479 wieder. Ähnliche Regelkataloge findet man z.B. in B251.

[Die Informationen stammen aus: Jacob Klingner/Ludger Lieb: Handbuch Minnereden. Berlin, Boston: de Gruyter 2013, Band 1. - Korrekturen, Aktualisierungen und Ergänzungen werden stillschweigend vorgenommen.]