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llsm daltkcken vruttcdtum

Das Baltenlanü war kein deutsches Land, es war eine deutsche Nolonie.
Siebenhundert Iahre hat sie bestanden und ist dann plötzlich untergegan-
gen. Lrst im Augenblick ihres Untergangs hat das Mutterland seine älteste,
längft vergessene Rolonie wieder kennengelernt.

Ls gibt und gab in Europa keine englischcn, italienischen, französischen
Lolonicn, nur deutsche. Die große Zeit der deutschen Nolonisationstätig-
keit ist das XIII. Iahrhundert. Die Oslsee wurde erreicht und mit einem
Aranz von Ansiedelungen umsäumt, von tvst-Holstein bis zum 8innischen
Meerbusen. Untcr ihnen ist die livländische räumlich die am weitesten vor-
geschobene, nicht die zeitlich späteste; Riga und Reval sind nicht wesentlich
jünger als Lübeck und älter als Rönigsberg. Aus gleichartigen Anfängen
entwickelten sich aber ungleichartige Folgen. während in Mecklenburg,
pommern, preußen die undeutsche Urbevölkerung nach und nach teils aus-
gerottct, teils eingedeutscht wurde, übrigens in einer keineswegs sich sehr
schnell vollziehenden Umwandelung: währenddessen ist im livländischen
Baltenlande die Urbevölkerung fortbestehen geblieben, und zwar in streng-
ster Scheidung von den deutschen Einwanderern. Diese letzteren waren
und blieben eine kleine Minderheit, und diese Minderheit hatte unbcdingt
die Herrschaft. Damit ist die crste und grundlegende Bedingung genannt.
Sie mußte notwendig auch im Lharakter und in der Denkweise dcs Herren-
volkes sich auswirken. Oft und im Tone dcs Vorwurfs ist die Frage gestcllt
wordcn: Warum wurde nicht germanisiert? Die Antwort ist sehr einfach:
Weil es unmöglich war. Der livländischcn Lolonie fehlte von Anfang an
und immersort das bäuerliche Element. Oeutsch waren allein die Ritter,
die Geistlichen und dic Stadtbürger. Dazu nehme man die sehr große Aus-
dehnung des Landes und dcn verhältnismäßig spärlichen Nachschub aus
dem Mutterlande. Äolonialtcchnisch bleibt es einc erstaunliche Leistung,
üaß die kleine deutschc Minderheit die Zügel der Hcrrschaft, wenn auch
unter anstrengenden Aämpfen, fest in der Hand behielt. Hier sehen wir eine
zweite Grundtatsache: Das baltische Deutschtum war ständisch bedingt
und begrenzt. Das Deutschtum konnte sich nur behaupten, wenn cs der
Unterlcgenheit seiner (Quantität Ueberlegenhcit seiner (Uualität entgegen-
setzte.

Aus dicser in 8leisch und Blut übcrgegangenen Ucbcrzeugung entsprang
die schroffe nationale Exklusivität: Hcrren im Lande konnten die Deutschen

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