Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
2» knde

Mögen die Italiener bei ihrem Dante sich danach umsehen, welchen
<vrt in der Hölle er L>en großen Verrätern, den Iudas, Brutus und Lassius
anweist: — für uns ist es keine Schande, einzugcstehen, daß dicser Dolchstoß
uns weher tut als alle anderen; deshalb wcher tut, wcil wir Italien
wirklich geliebt haben.

Von den zur Zeit im Vordergrund stchenden militärischcn und politischen
Zolgen des Verrats soll hier nicht gesprochen wcrden. Sie sind wahrlich
keinc Alcinigkeit, aber doch nicht die Hauptsache. Ltwas weit Größeres als
das diplomatische Bündnis der letztcn dreiunddreißig Iahre, etwas Aelteres
und Unersetzliches ist in den Abgrund versunkcn, aus dcm es nie zurück-
kehren wird: eine lange Epoche der deutschen Geistesgeschichte geht in
diesem Augenblick zu Lnde. Sie begann mit unserem Aufstieg im acht-
zehnten Iahrhundert. V)ir haben viel und willig auch von den Aulturen
andcrer Länder gclernt, aber unser Vcrhältnis zu Italien, dem geistigen
Italicn, war einzigartig.

wir Deutschcn sind uns von jeher bewußt gewesen — und es crniedrigt
uns nichr —, daß wir der Lrgänzung unseres eigenen wesens bedürfen.
Die Schnsucht nach der Formenklarheit des Südens, nach sener „Sonne",
von der Albrecht Dürer in Vcnedig im Gedenken an die nordische Hcimat
klagte, wie sehr es ihn nach ihr frieren wcrdc, sie ist ein uraltes Lrbstück
unsercs wesens. In der polarität lag cine unvcrgänglichc Anziehungskraft.
Sehr vicles im italienischen wescn war uns von jeher mißfällig oder un-
verständlich, und doch liebten wir es, fast widerwillig. Italien war uns
ein Inbcgriff von Ideen und Idealen gcworden, die wir aus unserer
Lultur der letzten hundcrtfünfzig Iahre nicht wegdenken können, ohne daß
ein großcs Stück unseres eigenen Sclbst uns fehlen würde. Ia, in gewissem
Sinne war dics ideale Italien unserc eigcnc Schöpfung. winckelmann und
Goethe, Niebuhr und Mommsen, Gregorovius, Burckhardt und Hehn, die
lange Reihe der Lünstler von Larstens und Lornclius bis auf Böcklin und
Hildebrand, die deutschen Forschungsinstitute in Rom, Neapel und ^lorenz,
die Ungezählten aus vielen Generationen, dic im Anschauen südlichen Lan-
des und südlichen Menschentums eine reine Bildungs- und Lebcnsquclle
fanden — sie sind die Aeugen der dcutschen Liebe zu Italien; freilich einep
nicht einfach sich hingebenden und applaudierenden, sondern einer urteilenden
und schaffenden. Dies alles wird in Aukunft sich nicht mehr fortsetzen. Ls

32
 
Annotationen