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Heutigentags.
Sie ging und kam in ein Kontor. „Ich kann die doppelte
Buchführung", erklärte sie — „auch Englisch, französisch und
Italienisch!"
„Weiter nichts?" srug sie der Buchhalter. „Ein Glück für
Sie, daß ein fräulein erkrankt ist! So können Sie für dreißig
Mark im Monat..."
Sie ließ ihn nicht ausreden, sondern wandte ihm entrüstet
den Rücken. Er lachte.
Da kam sie in eine Redaktion.
„Ich habe Philosophie und Literatur studiert!" meinte sie
schüchtern. „Ich schreibe auch, wie man sagt, nicht übel — Verse
und Prosa. . ."
„Sind Sie musikalisch, so daß Sie auch Konzertkritik machen
können?"
„Ja," rief sie hoffnungsfreudig, „gewiß!"
„Telephonstenographin? Sportskundig? Des Photographie-
rens mächtig? Zeichnerin?" — Sie nickte.
„Gut! Sie können bleiben — monatlich vierzig Mark. . ."
„Wie?" stotterte sie blaß.
„Ja!" lächelte er kühl, „frauenarbeit!"
Mit Tränen in den Augen kam sie auf die Straße.
Da stand in einer Zeitung, daß eine feine frau eine Vor-
leserin suche. Sie ging hin.
Nachdem sie ein eingehendes Examen über ihr Vorleben be-
standen und noch auf fragen versichert hatte, daß sie Klavier
spielen, brandmalen, Spitzen klöppeln und in Seide sticken könne,
erklärte ihr die Dame, daß sie jeden Abend auf drei bis vier
Stunden kommen dürfe — den Abend für fünfzig Pfennig.
„fünfzig Pfennig?!" stotterte Else entgeistigt.
„Wie meinen Sie das?" frug die feine frau scharf. „Ich
hatte bisher ein älteres, adeliges fräulein, die es nicht brauchte,
aber des Taschengeldes halber die Sache mituahm... sie bekain
dreißig Pfennig und den Abendtee. . . leider ist sie krank!"
„Aber wie soll ich davon leben?" stammelte das Mädchen.
„Wie?" rief die Dame empört. „Leben wollen Sie davon?!
Fi donc!" Sie schellte dem Diener und sagte mit Noblesse: „Be-
gleiten Sie das - Mädchen hinaus!"
Else ging vor die Stadt, setzte sich auf eine Bank und weinte.
Da fuhr eine gütige fee in ihrem Aut vorbei.
„Else," rief sie ihr freundlich zu, „Du kannst ja auch kochen
und verstehst Hausarbeit — geh' doch einmal in ein Verding-
bureau und versuch's damit — Servus!"
Else horchte erstaunt auf. Allerdings hatte ihre selige
Mutter sie auch in diesen Dingen unterrichtet. Aber damit war
nichts zu machen. Doch ging sie der gütigen fee zuliebe in ein
Bureau.
Da standen vierzig bis fünfzig Damen mit ängstlich harren-
den Gesichtern. — „Suchen Sie Stelle?" rief man.
„Ja", flüsterte das Mädchen mutlos. „Als Köchin!.. Ich
verstehe auch Hausarbeit..."
„Dreißig Mark!"
„vierzig!"
„fünfzig!"
„Sechzig und einen Theaterplatz I"
„Und ein Monat Urlaub dazu!"
„Und zu Weihnachten ein fahrrad!"
„Achtzig Mark und ein Schnaufer! I"
„Hundert Mark mit familienanschluß I"
So rief, schrie, lärmte, girrte, flötete es von allen Seiten
- sich immer steigernd — auf das arme, erstaunte, verwirrte,
von Dutzenden von Händen hin und her gezogene Mädchen ein,
und sie wäre schließlich vielleicht noch zerrissen worden, wenn nicht
plötzlich ein wohlgenährter, eleganter Herr hastig die Türe ge-
öffnet und gerufen hätte: „Ulan hat mir erzählt, hier sei eine
gute Köchin zu haben! ... Ah! Da ist sie ja!" sprach er ent-
zückt, als er das Mädchen gewahrte. . . „Nee," sagte er dann zu
den Damen, „das ist nichts für Sie, meine Gnädigen — die
wird geheiratet!"
Damit hob er Else in sein sechzigpferdiges Aut und ent-
führte sie glückstrahlend auf sein Schloß.
ÖS\. Pessimistisch, /so
Rechnung über zweihundert Mark vom Geschirr-
händler! . . . Seid Ihr denn nicht glücklich ver-
heiratet?"
P rote st.
„Du sollst ja aus Deinem Klub herausgeschmissen
worden sein?"
„Im Gegenteil — ich bin der einzige, der noch
drin ist — alle andern sind ausgetreten!"
Im Seebad.
Tochter: „Ich habe meinem Manu geschrieben,
daß er mir Geld schicken muß! Wenn er kein's auf-
treiben kann, fahr' ich eben wieder nach Hause!"
Mutter (bedenklich): „Du. . wenn er da nur nicht
Wucherern in die Hände fällt!"
Schwiegermama (auf Besuch): „Da finde ich eben eine
Heutigentags.
Sie ging und kam in ein Kontor. „Ich kann die doppelte
Buchführung", erklärte sie — „auch Englisch, französisch und
Italienisch!"
„Weiter nichts?" srug sie der Buchhalter. „Ein Glück für
Sie, daß ein fräulein erkrankt ist! So können Sie für dreißig
Mark im Monat..."
Sie ließ ihn nicht ausreden, sondern wandte ihm entrüstet
den Rücken. Er lachte.
Da kam sie in eine Redaktion.
„Ich habe Philosophie und Literatur studiert!" meinte sie
schüchtern. „Ich schreibe auch, wie man sagt, nicht übel — Verse
und Prosa. . ."
„Sind Sie musikalisch, so daß Sie auch Konzertkritik machen
können?"
„Ja," rief sie hoffnungsfreudig, „gewiß!"
„Telephonstenographin? Sportskundig? Des Photographie-
rens mächtig? Zeichnerin?" — Sie nickte.
„Gut! Sie können bleiben — monatlich vierzig Mark. . ."
„Wie?" stotterte sie blaß.
„Ja!" lächelte er kühl, „frauenarbeit!"
Mit Tränen in den Augen kam sie auf die Straße.
Da stand in einer Zeitung, daß eine feine frau eine Vor-
leserin suche. Sie ging hin.
Nachdem sie ein eingehendes Examen über ihr Vorleben be-
standen und noch auf fragen versichert hatte, daß sie Klavier
spielen, brandmalen, Spitzen klöppeln und in Seide sticken könne,
erklärte ihr die Dame, daß sie jeden Abend auf drei bis vier
Stunden kommen dürfe — den Abend für fünfzig Pfennig.
„fünfzig Pfennig?!" stotterte Else entgeistigt.
„Wie meinen Sie das?" frug die feine frau scharf. „Ich
hatte bisher ein älteres, adeliges fräulein, die es nicht brauchte,
aber des Taschengeldes halber die Sache mituahm... sie bekain
dreißig Pfennig und den Abendtee. . . leider ist sie krank!"
„Aber wie soll ich davon leben?" stammelte das Mädchen.
„Wie?" rief die Dame empört. „Leben wollen Sie davon?!
Fi donc!" Sie schellte dem Diener und sagte mit Noblesse: „Be-
gleiten Sie das - Mädchen hinaus!"
Else ging vor die Stadt, setzte sich auf eine Bank und weinte.
Da fuhr eine gütige fee in ihrem Aut vorbei.
„Else," rief sie ihr freundlich zu, „Du kannst ja auch kochen
und verstehst Hausarbeit — geh' doch einmal in ein Verding-
bureau und versuch's damit — Servus!"
Else horchte erstaunt auf. Allerdings hatte ihre selige
Mutter sie auch in diesen Dingen unterrichtet. Aber damit war
nichts zu machen. Doch ging sie der gütigen fee zuliebe in ein
Bureau.
Da standen vierzig bis fünfzig Damen mit ängstlich harren-
den Gesichtern. — „Suchen Sie Stelle?" rief man.
„Ja", flüsterte das Mädchen mutlos. „Als Köchin!.. Ich
verstehe auch Hausarbeit..."
„Dreißig Mark!"
„vierzig!"
„fünfzig!"
„Sechzig und einen Theaterplatz I"
„Und ein Monat Urlaub dazu!"
„Und zu Weihnachten ein fahrrad!"
„Achtzig Mark und ein Schnaufer! I"
„Hundert Mark mit familienanschluß I"
So rief, schrie, lärmte, girrte, flötete es von allen Seiten
- sich immer steigernd — auf das arme, erstaunte, verwirrte,
von Dutzenden von Händen hin und her gezogene Mädchen ein,
und sie wäre schließlich vielleicht noch zerrissen worden, wenn nicht
plötzlich ein wohlgenährter, eleganter Herr hastig die Türe ge-
öffnet und gerufen hätte: „Ulan hat mir erzählt, hier sei eine
gute Köchin zu haben! ... Ah! Da ist sie ja!" sprach er ent-
zückt, als er das Mädchen gewahrte. . . „Nee," sagte er dann zu
den Damen, „das ist nichts für Sie, meine Gnädigen — die
wird geheiratet!"
Damit hob er Else in sein sechzigpferdiges Aut und ent-
führte sie glückstrahlend auf sein Schloß.
ÖS\. Pessimistisch, /so
Rechnung über zweihundert Mark vom Geschirr-
händler! . . . Seid Ihr denn nicht glücklich ver-
heiratet?"
P rote st.
„Du sollst ja aus Deinem Klub herausgeschmissen
worden sein?"
„Im Gegenteil — ich bin der einzige, der noch
drin ist — alle andern sind ausgetreten!"
Im Seebad.
Tochter: „Ich habe meinem Manu geschrieben,
daß er mir Geld schicken muß! Wenn er kein's auf-
treiben kann, fahr' ich eben wieder nach Hause!"
Mutter (bedenklich): „Du. . wenn er da nur nicht
Wucherern in die Hände fällt!"
Schwiegermama (auf Besuch): „Da finde ich eben eine
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Pessimistisch"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum
um 1906
Entstehungsdatum (normiert)
1901 - 1911
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 125.1906, Nr. 3184, S. 58
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg