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Dora' s Schnurrbart.
sie unterdrückte sie zwar, da eben ein paar Freundinnen zuin
Gratulieren kamen .... aber sie sprach fast gar nichts .... und
als nachmittags Lotte in's Stübchen trat, lag Dora an ihrem
Geburtstag schluchzend und weinend aus ihrem Sofa und war
nicht zu beruhigen. Die Freundin versuchte alles Mögliche — es
half nichts. Schließlich sing sie von der Gesellschaft zu plaudern
an und von Assessor Schmitt — .... aber da schrie Dora mit
empörter Stimme wild auf: „Schweig mir nur von ihm — ich
hasse ihn! Ich hasse ihn! Namenlos Haffe ich ihn!"
Das war auch für die kluge Lotte zuviel und sie nahm sich
vor, den Assessor selbst zu fragen.
Aber er war so verblüfft wie sie und sann ratlos und sprach-
los über den Grund des Unheils nach.
Wie er auch dachte und dachte — er fand nichts. Er konnte
sich auch keinen Vorwurf machen. Aber er mußte der Sache auf
den Grund kommen! Er inachte Visite .... man nahin ihn nicht
an. Er versuchte Dora in Gesellschaften zu treffen.... sie sagte
stets ab. Er schnitt auf der Eisbahn einen kühnen Bogen, der
ihn direkt vor sie führte — aber sie drehte sich mit einem hoheits-
vollen Blick weg. Er rannte, als das Frühjahr kam, verzweifelt
am Fluß hin und her, wo stets ihr Lieblingsspaziergang gewesen
war. Auch da traf er sie nicht.
Endlich eines Abends entdeckte er sie in der hintersten Ecke
des Stadtparkes auf einer Bank. Jetzt gab es kein Entrinnen
mehr, wenn sie auch zu fliehen versuchte. Stürmisch sprudelte
alles heraus, was er auf dem Herzen hatte. Immer und immer
wiederholte er die eine Frage, was er ihr denn zuleide getan.
Da kain es endlich zagend über ihre zuckenden Lippen: „Ihr
Brief . . . ."
„Mein Brief? Das harmlose kleine Gedicht . . . ."
t„Gedicht ....?" wiederholte sie.
„Nun ja," stammelte er entschuldigend, „nennen Sie es meinet-
wegen auch Reimerei — jedenfalls war es aus tiefstem Verzen
gemeint und sollte sür mich sprechen, da ich selbst doch nicht gleich
sprechen konnte —".
Sie sah ihn starr und fassungslos einen Augenblick an, holte
dann aus ihrem Portemonnaie einen zusammengesalteten Zeitungs-
ausschnitt, den sie ihm mit strafendem Blick reichte, und schlug
verschämt die Hände schluchzend vor das hübsche Gesicht.
Er las:
„Der Frauenbart
wird am sichersten und schmerzlos entfernt
durch Dr. Haushalts weltberühmte Erfin-
dung mittels elektrischen Verfahrens."....
(Er starrte verständnislos auf das Blatt, wandte es krampf-
haft um und .... begann zu lachen, lustig zu lachen, unauf-
hörlich zu lachen, hielt ihr den Zettel nun so vor die Augen und
rief mit fröhlichem Jauchzen in der Stimme: „Sieh doch, sieh doch
hier, Liebste, auf der anderen Seite steht ja mein Gedicht:
Dein must ich denken, muß wissen,
Worüber ich ruhelos sann —
Gb wohl Dein Mund auch so küssen
Eüß, wie er plaudern kann? ....
Nun lachten sie alle Beide und ihre Lippen fanden sich im ersten
Ruß. Und zwischen den liebeglühenden Rüssen flüsterte er:
„Aber Du hast ja gar keinen Schnurrbart —
Errötend senkte sie das Röpfchen und lispelte: „Ich bin auch
erst gestern von Dr. Haushalt als geheilt entlassen worden I"
Georg Hollstein.
—«-> Tempora mutantur. *
Bei der Verlobung:
Die Verlobung ihrer Tochter Emma mit dem Herrn
Friseur, Coiffeur naib Parfümeur Emil Wuttke beehren sich
ergebenst anzuzeigen Inspektor Müller und Frau.
Nach einem halben Jahr:
Die Verlobung unserer Tochter Emma mit dem Barbier
Emil Wuttke ist aufgehoben.
Inspektor Müller und Frau.
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Dora' s Schnurrbart.
sie unterdrückte sie zwar, da eben ein paar Freundinnen zuin
Gratulieren kamen .... aber sie sprach fast gar nichts .... und
als nachmittags Lotte in's Stübchen trat, lag Dora an ihrem
Geburtstag schluchzend und weinend aus ihrem Sofa und war
nicht zu beruhigen. Die Freundin versuchte alles Mögliche — es
half nichts. Schließlich sing sie von der Gesellschaft zu plaudern
an und von Assessor Schmitt — .... aber da schrie Dora mit
empörter Stimme wild auf: „Schweig mir nur von ihm — ich
hasse ihn! Ich hasse ihn! Namenlos Haffe ich ihn!"
Das war auch für die kluge Lotte zuviel und sie nahm sich
vor, den Assessor selbst zu fragen.
Aber er war so verblüfft wie sie und sann ratlos und sprach-
los über den Grund des Unheils nach.
Wie er auch dachte und dachte — er fand nichts. Er konnte
sich auch keinen Vorwurf machen. Aber er mußte der Sache auf
den Grund kommen! Er inachte Visite .... man nahin ihn nicht
an. Er versuchte Dora in Gesellschaften zu treffen.... sie sagte
stets ab. Er schnitt auf der Eisbahn einen kühnen Bogen, der
ihn direkt vor sie führte — aber sie drehte sich mit einem hoheits-
vollen Blick weg. Er rannte, als das Frühjahr kam, verzweifelt
am Fluß hin und her, wo stets ihr Lieblingsspaziergang gewesen
war. Auch da traf er sie nicht.
Endlich eines Abends entdeckte er sie in der hintersten Ecke
des Stadtparkes auf einer Bank. Jetzt gab es kein Entrinnen
mehr, wenn sie auch zu fliehen versuchte. Stürmisch sprudelte
alles heraus, was er auf dem Herzen hatte. Immer und immer
wiederholte er die eine Frage, was er ihr denn zuleide getan.
Da kain es endlich zagend über ihre zuckenden Lippen: „Ihr
Brief . . . ."
„Mein Brief? Das harmlose kleine Gedicht . . . ."
t„Gedicht ....?" wiederholte sie.
„Nun ja," stammelte er entschuldigend, „nennen Sie es meinet-
wegen auch Reimerei — jedenfalls war es aus tiefstem Verzen
gemeint und sollte sür mich sprechen, da ich selbst doch nicht gleich
sprechen konnte —".
Sie sah ihn starr und fassungslos einen Augenblick an, holte
dann aus ihrem Portemonnaie einen zusammengesalteten Zeitungs-
ausschnitt, den sie ihm mit strafendem Blick reichte, und schlug
verschämt die Hände schluchzend vor das hübsche Gesicht.
Er las:
„Der Frauenbart
wird am sichersten und schmerzlos entfernt
durch Dr. Haushalts weltberühmte Erfin-
dung mittels elektrischen Verfahrens."....
(Er starrte verständnislos auf das Blatt, wandte es krampf-
haft um und .... begann zu lachen, lustig zu lachen, unauf-
hörlich zu lachen, hielt ihr den Zettel nun so vor die Augen und
rief mit fröhlichem Jauchzen in der Stimme: „Sieh doch, sieh doch
hier, Liebste, auf der anderen Seite steht ja mein Gedicht:
Dein must ich denken, muß wissen,
Worüber ich ruhelos sann —
Gb wohl Dein Mund auch so küssen
Eüß, wie er plaudern kann? ....
Nun lachten sie alle Beide und ihre Lippen fanden sich im ersten
Ruß. Und zwischen den liebeglühenden Rüssen flüsterte er:
„Aber Du hast ja gar keinen Schnurrbart —
Errötend senkte sie das Röpfchen und lispelte: „Ich bin auch
erst gestern von Dr. Haushalt als geheilt entlassen worden I"
Georg Hollstein.
—«-> Tempora mutantur. *
Bei der Verlobung:
Die Verlobung ihrer Tochter Emma mit dem Herrn
Friseur, Coiffeur naib Parfümeur Emil Wuttke beehren sich
ergebenst anzuzeigen Inspektor Müller und Frau.
Nach einem halben Jahr:
Die Verlobung unserer Tochter Emma mit dem Barbier
Emil Wuttke ist aufgehoben.
Inspektor Müller und Frau.
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Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Dora's Schnurrbart"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum
um 1907
Entstehungsdatum (normiert)
1902 - 1912
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 126.1907, Nr. 3221, S. 183
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg