ungefiihrli ch.
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Handwerksbursche: . . Wir können ruhig überall um
Arbeit ansragen! Jetzt ist ja stille Zeit in unserem Geschäft!"
Die verlorenen Gcblüssel.
#s war am heiligen Abend. Ich trat aus dein Tore, um ein
Gasthaus auszusuchen. Der Schnee fiel ruhig, in schweren
nassen flocken; es ging sich wie auf einem Perserteppiche. Da
stieß inein Fuß an etwas partes; ich hörte ein schwaches Klirren,
bückte mich und hob ein Schlüsselpaar auf, das mit Spagat zu-
sammengehängt war. — Die Schlüssel hat wer verloren! sagte
ich mit nicht gewöhnlichem Scharfsinn. — Aber wer? — Dreißig
Schritte vor mir gingen zwei Dienstmädchen, eifrig plaudernd.
Kein Zweifel, eine von den zweien ist es I — Rasch hatte ich sie
eingeholt und stellte die Frage: „paben Sie keine Schlüssel ver-
loren?" Bestürzt öffnete eines der Mädchen die Faust und
streckte mir ein Schlüsselpaar entgegen. Das zweite suchte hastig
und lange in den Falten des Kleides und kain schließlich auch
mit einem Schlüssel zum Vorschein. Also nichts! — Ich spähte
weiter die Gasse hinaus und hinab — kein anderes Lebewesen
war zu sehen. „Ich werde die Schlüssel dein Wachmann an der
Ecke geben!" sagte ich zu den Mädchen, „vielleicht fragt wer
nach ihnen!" — Und so tat ich auch. — Der Wachmann nahm sie
nur ungern. „Mein perr," sagte er, „wir haben schon einen
Berg von gefundenen Schlüsseln aus der Wachstube; aber überall
suchen die Leute, nur bei uns nicht!" — Damit war die Sache
zu Ende — — Nein, noch lange nicht.
Da ich als Junggeselle ohne Familienanschluß heute doppelt
vereinsamt war, so schenkte ich dem Erlebnis mehr Interesse, als
ihm gebührte, und sing darüber zu spinnen an wie ein alter
Kater, „wie, wenn du in die Gasse zurückgingest und warten
Die verlorenen Schlüssel. 275
würdest! vielleicht käme eine hübsche Dame atemlos hingestürzt,
nach den Schlüsseln suchend. Sie hat zu Pause den Weihnachts-
tisch bereitet und erwartet den Mann, der liebe Gäste bringt.
Sie muß noch schnell eine Flasche Punschessenz holen, verliert
die Schlüssel, kann nicht in die Wohnung. Sie ist in Ver-
zweiflung; denn der eine Schlüssel sperrt ein Vorhängeschloß, das
selbst der Schlosser nicht aufbringt. Da trittst du als rettender
Engel auf und bringst ihr die Schlüssel. Aus Dankbarkeit ladet
man dich zu Tische. Du lernst dort ein wunderschönes, edles,
reiches Fräulein kennen, das sich sofort in dich verliebt. Du
liebst sie wieder" — — — usw.
Damit war ich umgekehrt und in die Gasse zurückgeschritten.
Ich ging eine Viertelstunde, zwei, drei, vier Viertelstunden wartend
aus und ab; aber die Dame kam nicht. Erschrocken eilte ich nach
meinem ziemlich entfernten Stammbeisel, um nicht mit den Über-
resten des Abendmenüs vorlieb nehmen zu müssen.
Doch auch beim Essen gingen mir die Schlüssel nicht aus
dein Kopfe — das heißt die Schlüssel weniger, als vielmehr das
wunderschöne, reiche Mädchen. Ich träumte, schloß die Augen
und mochte wohl endlich eingeschlafen sein, plötzlich sagte eine
rauhe Stimme neben mir: „perr Meier! Zehne ist's! Schlafen
können S' zu paus' auch! Der letzte wagen kommt gleich — nix
für ungut!" — Ich hob den Kopf, erfaßte die Situation und
den winterrock, fuhr zur Türe hinaus, in den letzten wagen
hinein und mit ihm nach Pause. Es fröstelte mich. Der paus-
meister brauchte sehr lange, bis er aufsxerrte. Schnell eilte ich
die vier Stockwerke empor, um nur rasch ins Bett zu kommen.
Als ich in die Tasche nach meinen Schlüsseln greife, fährt
meine pand durch ein Loch ins Leere.-„Ieffas",
zuckte es mir durch's pirn, „du hast vielleicht deine eigenen
Schlüssel gefunden!" — Und so war es auch. Sie waren durch
den aufgetrennten Sack gerutscht, auf meine Zehen gefallen und
hatten geklirrt.Die hämischen Gesichter der Wachleute
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Handwerksbursche: . . Wir können ruhig überall um
Arbeit ansragen! Jetzt ist ja stille Zeit in unserem Geschäft!"
Die verlorenen Gcblüssel.
#s war am heiligen Abend. Ich trat aus dein Tore, um ein
Gasthaus auszusuchen. Der Schnee fiel ruhig, in schweren
nassen flocken; es ging sich wie auf einem Perserteppiche. Da
stieß inein Fuß an etwas partes; ich hörte ein schwaches Klirren,
bückte mich und hob ein Schlüsselpaar auf, das mit Spagat zu-
sammengehängt war. — Die Schlüssel hat wer verloren! sagte
ich mit nicht gewöhnlichem Scharfsinn. — Aber wer? — Dreißig
Schritte vor mir gingen zwei Dienstmädchen, eifrig plaudernd.
Kein Zweifel, eine von den zweien ist es I — Rasch hatte ich sie
eingeholt und stellte die Frage: „paben Sie keine Schlüssel ver-
loren?" Bestürzt öffnete eines der Mädchen die Faust und
streckte mir ein Schlüsselpaar entgegen. Das zweite suchte hastig
und lange in den Falten des Kleides und kain schließlich auch
mit einem Schlüssel zum Vorschein. Also nichts! — Ich spähte
weiter die Gasse hinaus und hinab — kein anderes Lebewesen
war zu sehen. „Ich werde die Schlüssel dein Wachmann an der
Ecke geben!" sagte ich zu den Mädchen, „vielleicht fragt wer
nach ihnen!" — Und so tat ich auch. — Der Wachmann nahm sie
nur ungern. „Mein perr," sagte er, „wir haben schon einen
Berg von gefundenen Schlüsseln aus der Wachstube; aber überall
suchen die Leute, nur bei uns nicht!" — Damit war die Sache
zu Ende — — Nein, noch lange nicht.
Da ich als Junggeselle ohne Familienanschluß heute doppelt
vereinsamt war, so schenkte ich dem Erlebnis mehr Interesse, als
ihm gebührte, und sing darüber zu spinnen an wie ein alter
Kater, „wie, wenn du in die Gasse zurückgingest und warten
Die verlorenen Schlüssel. 275
würdest! vielleicht käme eine hübsche Dame atemlos hingestürzt,
nach den Schlüsseln suchend. Sie hat zu Pause den Weihnachts-
tisch bereitet und erwartet den Mann, der liebe Gäste bringt.
Sie muß noch schnell eine Flasche Punschessenz holen, verliert
die Schlüssel, kann nicht in die Wohnung. Sie ist in Ver-
zweiflung; denn der eine Schlüssel sperrt ein Vorhängeschloß, das
selbst der Schlosser nicht aufbringt. Da trittst du als rettender
Engel auf und bringst ihr die Schlüssel. Aus Dankbarkeit ladet
man dich zu Tische. Du lernst dort ein wunderschönes, edles,
reiches Fräulein kennen, das sich sofort in dich verliebt. Du
liebst sie wieder" — — — usw.
Damit war ich umgekehrt und in die Gasse zurückgeschritten.
Ich ging eine Viertelstunde, zwei, drei, vier Viertelstunden wartend
aus und ab; aber die Dame kam nicht. Erschrocken eilte ich nach
meinem ziemlich entfernten Stammbeisel, um nicht mit den Über-
resten des Abendmenüs vorlieb nehmen zu müssen.
Doch auch beim Essen gingen mir die Schlüssel nicht aus
dein Kopfe — das heißt die Schlüssel weniger, als vielmehr das
wunderschöne, reiche Mädchen. Ich träumte, schloß die Augen
und mochte wohl endlich eingeschlafen sein, plötzlich sagte eine
rauhe Stimme neben mir: „perr Meier! Zehne ist's! Schlafen
können S' zu paus' auch! Der letzte wagen kommt gleich — nix
für ungut!" — Ich hob den Kopf, erfaßte die Situation und
den winterrock, fuhr zur Türe hinaus, in den letzten wagen
hinein und mit ihm nach Pause. Es fröstelte mich. Der paus-
meister brauchte sehr lange, bis er aufsxerrte. Schnell eilte ich
die vier Stockwerke empor, um nur rasch ins Bett zu kommen.
Als ich in die Tasche nach meinen Schlüsseln greife, fährt
meine pand durch ein Loch ins Leere.-„Ieffas",
zuckte es mir durch's pirn, „du hast vielleicht deine eigenen
Schlüssel gefunden!" — Und so war es auch. Sie waren durch
den aufgetrennten Sack gerutscht, auf meine Zehen gefallen und
hatten geklirrt.Die hämischen Gesichter der Wachleute
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Ungefährlich" "Der verlorene Schlüssel"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum (normiert)
1907 - 1907
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 127.1907, Nr. 3254, S. 275
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg