Er jagte hin durch dick und dünn.
Durch Vorngestrüpp und Hecken,
Nichts tat in seinem wilden Sinn
Den kecken Recken schrecken . . .
Da, eines Abends hörten sie
Im finstern Wald das pfnausen
von einem jener Drachen, die
In grausen Rlausen hausen.
Hei! wie sie bald mit Lust und Lärm
von hüben und von drüben
Dem Biest die Schwerter ins Gedärm
Mit sieben Hieben trieben!
Das Salzbüchsl.
wir sitzen uns jeden Tag in der „Blauen Augel" beim Mittag-
essen gegenüber: Der alte perr und ich. Er kommt eine Viertel-
stunde vor mir und liest — bis das Essen da ist - das Mittags-
blatt. Dazu schnullt er an einem kalten Tobakspfeifchen und schluckelt
an einem Achtel weißen Pfälzer.
Schnurgerade ausgerichtet liegt links neben dem Suppenteller
das Besteck, rechts, im gelblichen Nickelring, das Mundtuch, auf den,
man gegen Wochenende allerhand Speisekarte lesen kann.
wenn ich mich hingesetzt habe, nickt er mir über die Stahl-
brille weg grüßend zu, legt das Blatt beiseite, das alte, gutmütig
bärbeißige Aorporalsgesicht wendet sich zur Rüche und die Nase
schnuppert schon angeregt den ersten Duft.
„Sie!" sagt der alte perr, „Sie! Lcberknödel gibt's heut'I" —
Und ein Weilchen Seligkeit geht über das zerknitterte Gesicht.
Dann aber erinnert er sich plötzlich an seine Verpflichtung zum
Bärbeißigsein und brummt: „Ach was! Leberknödl! Mei'I peut-
zutag' LeberknödlI Sie, die hätten S' amal Anno 75 im Sternbräu
essen soll'nl Sie, das war'n Leberknödl!" — Mit liebevoller
kenntnis winden Mund und pände beweglich und bewegt ein Stück
Leberknödlvergangenhcit zurecht. — „Mei', solche können s' heut' gar
nimnier machen!"
Dann trägt die Zilli die Suppe auf und der alte perr visiert
sie haarscharf über die Brillengläser weg nach Fettaucen.
Dann greift die knochige, braune, ein bißchen zittrige pand
nach dem Salzbüchsl — es ist jeden Tag derselbe Griff — und
schickt sich an, die Suppe zu salzen.
Fünf, sechsmal schüttelt er das Salzbüchsl heftig über den,
Teller — indes, wir wissen schon, nichts geht heraus. Die Löcher
im Deckel sind seit Generationen verstopft und der Wirt in der
„Blauen Augel" ist nicht für gewagte Betriebsneuerungcn.
Der alte perr blickt mich an. Jeden Mittag mit demselben
angenehm enipörten — bitter triumphierenden Blick und sagt:
„Skandal! So ein Salzbüchsl! Ein Skandal ist das! finden Sie
nicht?" — Dann schraubt er umständlich und gewissenhaft den Deckel
vom Gewinde, nimmt mit der Messerspitze ein prischen, schraubt
den Deckel an und stellt das Büchsl mit grimmiger Befriedigung
an seinen Platz. — „Skandal!"
Nach fünf Minuten salze ich die Suppe, schüttle vergebens das
Büchsl über dem Teller, schraube den Deckel ab — an. Der alte
perr sieht mir zu — nicht ohne Wohlgefallen und sagt kopfschüttelnd:
„Ein solches Salzbüchsl! Da hört sich alles auf! Es ist wirklich
skandalös!" — So geht das nun schon ein halbes Jahr und würzt
uns Mahl und Unterhaltung.
Eines Tages sitzt ein Fremder an unserm Tisch.
„A Fremder!" sagt der alte perr, als der Mann ein Weilchen
am Zeitungsständer sucht. — „Js a Kreuz mit die Fremd'nl was
er für a g'spassige Sprach' hat! Bringen nix Guat's die Fremd'n!
San viel Bolschewiki dabei!" — Mißtrauisch äugt der alte perr
den Gast von der Seite an. — Es kommt die Suppe.
„Jestatten!" sagt der Fremde und greift nach unserm Salz-
büchsl. — Schüttelt. Schüttelt das Büchsl — schüttelt den Kopf —
Und — ja fällt denn der Pimmel nicht über dem Frevler ein? —
Er sticht mit der Gabel in die Deckellöcher und macht ihnen Luft . . .
wir trauen unfern Augen kaum. — Am pals des alten perrn
sind alle Sehnen gespannt.
Fröhlich rieselt das Salz aus den Löchern. . .
Der alte perr geht daran, seine Suppe zu salzen. Er hat schon
„Skan . . ." gesagt — das „dal" bleibt ihm im pals. Das Büchsl
streut wirklich Salz. Es geht. — Er stellt es mir mißmutig hin.
Den fremden Gast trifft ein Blick l
Als der gegangen ist, sagt der alte perr grollend: ,,pab' i's
net g'sagt, a Fremderl Glei' am Red'n Hab' i's g'merkt! Glci'
tun, als ob's bei uns daheim wär'n l I' hab's dick, die Fremd'n ..!"
Und die Augen des alten perrn sind scharf und voll Bitterkeit und
Wehmut auf das Salzbüchsl gerichtet. . .
Unser Mittag hat etwas von seinen« Reiz verloren.
Julius Areis.
70
Durch Vorngestrüpp und Hecken,
Nichts tat in seinem wilden Sinn
Den kecken Recken schrecken . . .
Da, eines Abends hörten sie
Im finstern Wald das pfnausen
von einem jener Drachen, die
In grausen Rlausen hausen.
Hei! wie sie bald mit Lust und Lärm
von hüben und von drüben
Dem Biest die Schwerter ins Gedärm
Mit sieben Hieben trieben!
Das Salzbüchsl.
wir sitzen uns jeden Tag in der „Blauen Augel" beim Mittag-
essen gegenüber: Der alte perr und ich. Er kommt eine Viertel-
stunde vor mir und liest — bis das Essen da ist - das Mittags-
blatt. Dazu schnullt er an einem kalten Tobakspfeifchen und schluckelt
an einem Achtel weißen Pfälzer.
Schnurgerade ausgerichtet liegt links neben dem Suppenteller
das Besteck, rechts, im gelblichen Nickelring, das Mundtuch, auf den,
man gegen Wochenende allerhand Speisekarte lesen kann.
wenn ich mich hingesetzt habe, nickt er mir über die Stahl-
brille weg grüßend zu, legt das Blatt beiseite, das alte, gutmütig
bärbeißige Aorporalsgesicht wendet sich zur Rüche und die Nase
schnuppert schon angeregt den ersten Duft.
„Sie!" sagt der alte perr, „Sie! Lcberknödel gibt's heut'I" —
Und ein Weilchen Seligkeit geht über das zerknitterte Gesicht.
Dann aber erinnert er sich plötzlich an seine Verpflichtung zum
Bärbeißigsein und brummt: „Ach was! Leberknödl! Mei'I peut-
zutag' LeberknödlI Sie, die hätten S' amal Anno 75 im Sternbräu
essen soll'nl Sie, das war'n Leberknödl!" — Mit liebevoller
kenntnis winden Mund und pände beweglich und bewegt ein Stück
Leberknödlvergangenhcit zurecht. — „Mei', solche können s' heut' gar
nimnier machen!"
Dann trägt die Zilli die Suppe auf und der alte perr visiert
sie haarscharf über die Brillengläser weg nach Fettaucen.
Dann greift die knochige, braune, ein bißchen zittrige pand
nach dem Salzbüchsl — es ist jeden Tag derselbe Griff — und
schickt sich an, die Suppe zu salzen.
Fünf, sechsmal schüttelt er das Salzbüchsl heftig über den,
Teller — indes, wir wissen schon, nichts geht heraus. Die Löcher
im Deckel sind seit Generationen verstopft und der Wirt in der
„Blauen Augel" ist nicht für gewagte Betriebsneuerungcn.
Der alte perr blickt mich an. Jeden Mittag mit demselben
angenehm enipörten — bitter triumphierenden Blick und sagt:
„Skandal! So ein Salzbüchsl! Ein Skandal ist das! finden Sie
nicht?" — Dann schraubt er umständlich und gewissenhaft den Deckel
vom Gewinde, nimmt mit der Messerspitze ein prischen, schraubt
den Deckel an und stellt das Büchsl mit grimmiger Befriedigung
an seinen Platz. — „Skandal!"
Nach fünf Minuten salze ich die Suppe, schüttle vergebens das
Büchsl über dem Teller, schraube den Deckel ab — an. Der alte
perr sieht mir zu — nicht ohne Wohlgefallen und sagt kopfschüttelnd:
„Ein solches Salzbüchsl! Da hört sich alles auf! Es ist wirklich
skandalös!" — So geht das nun schon ein halbes Jahr und würzt
uns Mahl und Unterhaltung.
Eines Tages sitzt ein Fremder an unserm Tisch.
„A Fremder!" sagt der alte perr, als der Mann ein Weilchen
am Zeitungsständer sucht. — „Js a Kreuz mit die Fremd'nl was
er für a g'spassige Sprach' hat! Bringen nix Guat's die Fremd'n!
San viel Bolschewiki dabei!" — Mißtrauisch äugt der alte perr
den Gast von der Seite an. — Es kommt die Suppe.
„Jestatten!" sagt der Fremde und greift nach unserm Salz-
büchsl. — Schüttelt. Schüttelt das Büchsl — schüttelt den Kopf —
Und — ja fällt denn der Pimmel nicht über dem Frevler ein? —
Er sticht mit der Gabel in die Deckellöcher und macht ihnen Luft . . .
wir trauen unfern Augen kaum. — Am pals des alten perrn
sind alle Sehnen gespannt.
Fröhlich rieselt das Salz aus den Löchern. . .
Der alte perr geht daran, seine Suppe zu salzen. Er hat schon
„Skan . . ." gesagt — das „dal" bleibt ihm im pals. Das Büchsl
streut wirklich Salz. Es geht. — Er stellt es mir mißmutig hin.
Den fremden Gast trifft ein Blick l
Als der gegangen ist, sagt der alte perr grollend: ,,pab' i's
net g'sagt, a Fremderl Glei' am Red'n Hab' i's g'merkt! Glci'
tun, als ob's bei uns daheim wär'n l I' hab's dick, die Fremd'n ..!"
Und die Augen des alten perrn sind scharf und voll Bitterkeit und
Wehmut auf das Salzbüchsl gerichtet. . .
Unser Mittag hat etwas von seinen« Reiz verloren.
Julius Areis.
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Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Der entseelte Drache oder die verfehlte Rache"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum
um 1922
Entstehungsdatum (normiert)
1917 - 1927
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 156.1922, Nr. 3996, S. 70
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg