I
Harun al Raschid und die Pferdediebe.
Gricntalischc kegende von Hans Reiter.
Harun cl Raschids Leibstallmeister trat zitternd vor seinen Herrn
und sprach: „Erhabener Kalif, zürne nicht Deinem gehorsamen
Sklaven, der unschuldig ist. . . In der frühesten Morgenstunde ist
Dein Leibpferd auf unerklärliche weise verschwunden!"
Das Leibpferd des Sultans aber war ein herrlicher, schnee-
weißer Araberhengst.
„Was sind das für Redensarten? I" sprach der Sultan, „wer
hatte die wache?"
„Hasan und Kamar!" entgegnete der Stallmeister.
„Bringe sie vor mein Angesicht I" sprach der Sultan zum Schwert-
meister Mesrur. Und Mesrur machte sich mit einigen Mamelucken
auf und brachte die beiden vor den Sultan.
„Der Ältere von Luch soll mir den Vorgang erzählen!" befahl
der Kalif.
„Erhabener Kalif, Sonne des Weltalls, sprach der Stallwärter,
siehe, Kamar und ich hatten in der Stunde des Sonnenaufgangs
die wache. Auf einmal bemerkten wir eine schneeweiße Schwalbe,
die schnell zum offenen Lenster hinausflog, wir entdeckten aber auch
gleichzeitig mit Entsetzen, daß die Stelle, wo Dein herrlicher Hengst
gestanden hatte, leer war!"
Und der andere Wärter beteuerte knieend: „CD gnadenreicher
Gebieter, Hasan sprach wahr!"
„Dschaafar, was sagst Du dazu?!" fragte Harun seinen Wesir.
Großmächtigster Kalif, entgegnete Dschaafar, aus alten und
neuen Tagen sind uns ähnliche Wunder glaubhaft überliefert worden!"
„Und was ist Deine Meinung?" fragte der Sultan seinen
Schwertmeister.
„(D Fürst der Gläubigen, antwortete Mesrur, die beiden lvärter
stehen seit zehn Jahren in Deinen Diensten; bis jetzt ist nichts Un-
günstiges über sie bekannt geworden. Da nun der heilige Koran
ähnliche wundrr in Fülle berichtet, so erscheint mir die überein-
stimmende Aussage der lvärter nicht unglaubwürdig I"
Harun al Raschid versank in Nachdenken; dann sprach er:
„Mesrur, führe Kamar zur linken Tür hinaus!"
Als dies geschehen war, wandte er sich an Hasan und sprach:
„Deine Geschichte ist wunderbar; jedoch die Macht der bösen Geister
ist groß, wenn sie einen Menschen verderben wollen, erfinden sie
tausend Listen und Schliche. Um Dich an den Galgen zu bringen,
haben sie also das Pferd in eine Schwalbe verwandelt. Aber obwohl
scheinbar eine Schwalbe, so blieb das Tier dennoch ein Pferd. Nicht
wahr, die Schwalbe wieherte, als sie zum Fenster hiuausflog?!"
„Allwissender Kalif, Du sagst es!" entgegnete der Wärter. „Als
die Schwalbe davonflog, wieherte sic so laut wie ein brünstiger Hengst!"
„Mesrur, führe ihn zur rechten Tür hinaus und hole Kamar
herein!" befahl Harun.
Als Kamar vor ihm stand, sprach Harun: „Gott ist allniächtig,
aber auch die bösen Geister haben große Macht, wenn sic einen
Menschen ins verderben stürzen wollen, sind sic um Schliche und
Ränke nicht verlegen. Dich wollen sie an dcn Galgen bringen,
deshalb verwandelten sie mein Leibpferd in eine Schwalbe! . . .
Kamar, das Pferd war also nun eine Schwalbe
und hatte so alle Eigenschaften einer solchen.
Nicht wahr, als die Schwalbe zum Fenster
hinausflog, zwitscherte sie zart und lieblich?"
„Allwissender Kalif, entgegnete der Wär-
ter, Du sagst es. Die schneeweiße Schwalbe
zwitscherte so lieblich und zart, daß mein Kame-
ter an.
Und derpferdewärtcr
rad und ich ganz entzückt
waren." . . .
„Dschaafar und Mcs-
rur, Ihr habt cs gehört I"
rief Harun. „Der eine
sagt, die Schwalbe wie-
herte wie ein brünstiger
Hengst, der andere, sie
zwitscherte lieblich und
zart wie eine richtige
Schwalbe!.. . Gestehe!"
donnerte er den wär-
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Harun al Raschid und die Pferdediebe.
Gricntalischc kegende von Hans Reiter.
Harun cl Raschids Leibstallmeister trat zitternd vor seinen Herrn
und sprach: „Erhabener Kalif, zürne nicht Deinem gehorsamen
Sklaven, der unschuldig ist. . . In der frühesten Morgenstunde ist
Dein Leibpferd auf unerklärliche weise verschwunden!"
Das Leibpferd des Sultans aber war ein herrlicher, schnee-
weißer Araberhengst.
„Was sind das für Redensarten? I" sprach der Sultan, „wer
hatte die wache?"
„Hasan und Kamar!" entgegnete der Stallmeister.
„Bringe sie vor mein Angesicht I" sprach der Sultan zum Schwert-
meister Mesrur. Und Mesrur machte sich mit einigen Mamelucken
auf und brachte die beiden vor den Sultan.
„Der Ältere von Luch soll mir den Vorgang erzählen!" befahl
der Kalif.
„Erhabener Kalif, Sonne des Weltalls, sprach der Stallwärter,
siehe, Kamar und ich hatten in der Stunde des Sonnenaufgangs
die wache. Auf einmal bemerkten wir eine schneeweiße Schwalbe,
die schnell zum offenen Lenster hinausflog, wir entdeckten aber auch
gleichzeitig mit Entsetzen, daß die Stelle, wo Dein herrlicher Hengst
gestanden hatte, leer war!"
Und der andere Wärter beteuerte knieend: „CD gnadenreicher
Gebieter, Hasan sprach wahr!"
„Dschaafar, was sagst Du dazu?!" fragte Harun seinen Wesir.
Großmächtigster Kalif, entgegnete Dschaafar, aus alten und
neuen Tagen sind uns ähnliche Wunder glaubhaft überliefert worden!"
„Und was ist Deine Meinung?" fragte der Sultan seinen
Schwertmeister.
„(D Fürst der Gläubigen, antwortete Mesrur, die beiden lvärter
stehen seit zehn Jahren in Deinen Diensten; bis jetzt ist nichts Un-
günstiges über sie bekannt geworden. Da nun der heilige Koran
ähnliche wundrr in Fülle berichtet, so erscheint mir die überein-
stimmende Aussage der lvärter nicht unglaubwürdig I"
Harun al Raschid versank in Nachdenken; dann sprach er:
„Mesrur, führe Kamar zur linken Tür hinaus!"
Als dies geschehen war, wandte er sich an Hasan und sprach:
„Deine Geschichte ist wunderbar; jedoch die Macht der bösen Geister
ist groß, wenn sie einen Menschen verderben wollen, erfinden sie
tausend Listen und Schliche. Um Dich an den Galgen zu bringen,
haben sie also das Pferd in eine Schwalbe verwandelt. Aber obwohl
scheinbar eine Schwalbe, so blieb das Tier dennoch ein Pferd. Nicht
wahr, die Schwalbe wieherte, als sie zum Fenster hiuausflog?!"
„Allwissender Kalif, Du sagst es!" entgegnete der Wärter. „Als
die Schwalbe davonflog, wieherte sic so laut wie ein brünstiger Hengst!"
„Mesrur, führe ihn zur rechten Tür hinaus und hole Kamar
herein!" befahl Harun.
Als Kamar vor ihm stand, sprach Harun: „Gott ist allniächtig,
aber auch die bösen Geister haben große Macht, wenn sic einen
Menschen ins verderben stürzen wollen, sind sic um Schliche und
Ränke nicht verlegen. Dich wollen sie an dcn Galgen bringen,
deshalb verwandelten sie mein Leibpferd in eine Schwalbe! . . .
Kamar, das Pferd war also nun eine Schwalbe
und hatte so alle Eigenschaften einer solchen.
Nicht wahr, als die Schwalbe zum Fenster
hinausflog, zwitscherte sie zart und lieblich?"
„Allwissender Kalif, entgegnete der Wär-
ter, Du sagst es. Die schneeweiße Schwalbe
zwitscherte so lieblich und zart, daß mein Kame-
ter an.
Und derpferdewärtcr
rad und ich ganz entzückt
waren." . . .
„Dschaafar und Mcs-
rur, Ihr habt cs gehört I"
rief Harun. „Der eine
sagt, die Schwalbe wie-
herte wie ein brünstiger
Hengst, der andere, sie
zwitscherte lieblich und
zart wie eine richtige
Schwalbe!.. . Gestehe!"
donnerte er den wär-
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Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Harun al Raschid und die Pferdediebe"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum
um 1922
Entstehungsdatum (normiert)
1917 - 1927
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 156.1922, Nr. 4006, S. 154
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg