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Ich mochte nicht mehr in der Großstadt sein. Also tat ich
einen Wohnungstausch nach Ipfenhausen. »Tausch ist Tausch/
sagte ich mir, »und was ich hier an Räumen gebe, werde ich
dort nehmen." Frau Schmidhubcr jedoch fand, daß die Giebel-
stube, welche mein Vorgänger mit innegehabt hatte, vorteilhafter
an Sommerfrischler zu vermieten sei.

Die Möbclpacker hoben stillschweigend alle Zwischcntüren aus
den Angeln, trugen den Hausrat der Vorgänger vom Oberstock
herab und meinen hinauf. Frau Schmidhuber rasselte bebend
vor Wut mit ihrem Schlüsselbund neben den ausgcbängten
Türen.

Als alles verstaut war, hängtcn die Möbclpacker schweigend
alle Türen wieder ein und verabschiedeten sich trinkgeldkeisckcnd.

Der Schmidhuberin Schlüssel klirrten zornig in die Schlösser.

Jene Giebelstube sollte Annas Schlafzimmer sein. Ich zeigte
freundlich der Witwe Schmidhuber das amtliche Schreiben und
versuchte, ihr zu erklären, wie ein »Tausch" sei.

»Was die in der Stadt drin schreib'», geht ml' an Dreck an,"
sagte sie, »hat cbba der Stölzl unterschrieben?"

»Wer ist Stölzl?"

Die Schmidhuberin lackte verächtlich über meine Unkenntnis
und warf die letzte Tür vor mir zu.

In solchen Fällen geht man aufs Wohnungsamt.

Ich betrat das Dicnstzimmcr im Gemeindehaus und schlug
jenen unterwürfigen und vorsichti-
gen Ton an, der mich immer an
solchen Stellen überkommt.

»Entschuldigen Sic, ist Kier das
Wohnungsamt?'

»Dös bin i", sagte ein Mann.

Ich zeigte ihm den Schrieb des
städtischen Wohnungsamtes und
bat mir den Tausch, „betreffend
3 partcrrezimmer, Küche, Giebel-
stube", untcrschristlich zu bestätigen.

»Da wcrd gar nix unterschrieb'»',
sagte er grob.

»Entschuldigen Sic, könnte ich
vielleicht Herrn Stölzl sprechen?"

»Dös bin i", knurrte er und wandte mir den Rücken, zum
Reichen, daß auch unter dieser Flagge nichts für mich zu er-
warten sei.

»Entschuldigen Sie, wo wohnt der Bürgermeister?" frug icb
gekränkt.

»Dös bin !", schrie er.

»Also, nun bleibt nichts, alö mich beim nächsten Micteinigungs-
amt zu beschweren."

»Dös bin i", er haute die Faust auf den Tisch.

Da ging ich. # +

Anna wollte in ihre Kammer.

Jede Kammer hat Tür und Fenster.

Wir nahmen eine lange Obstleiter und Anna begab sich
durch das Fenster in den für sie gemie-
teten Raum. Anna ist unternehmend
und schwindelfrei. Außerdem besitzt sie
stramme Waden, und ihre Beine sind
bis unters Knie mit lachenden himmel-
blauen Strümpfen bekleidet.

Sepp, der junge Bachbar, stellte dies
alles beim Holzhacken voll Befriedigung
fest. Eines Abends stieg er den stram-
men Waden nach, unsere Leiter hinauf,
die man gar nicht erst anlcgcn braucktc.

Zum Arger der Schmidhuberin war
Anna bald an den nicht ungefährlichen
Luftverkehr gewöhnt.

Den Stölzl hatte icb beinahe ver-
gessen, als ich ihm eines Bachmittags Aug in Aug gcgenüber-
trat. Er stand auf seinem Misthaufen und war beschäftigt,

' Jauche in eine fahrbare Tonne zu löffeln.

Als ich vorübcrging, sagte er „Grüaß Gott" und rückte an
einem schmierigen Hütl. Aber dann erkannte er mich, spuckte
aus, drehte mir den Rücken und odeltc nach der anderen Rich-
tung weiter.

Wie war es möglich, staunte ich, daß der gewaltige Stölzl,
selbst wenn er mich im ersten Augenblick für eine bei ihm cin-
gemietetc Sommerfrischlerin gebalten haben mochte, zuerst
grüßte? Sollte ich im Amt nicht Deit richtigen Ton gesunden
haben? » »

Der Sommer ging. Kalter Scptcmberregcn prasselte durch
die finstere Bqcht, als wieder einmal ein Schatten draußen an
der glitschigen Leiter emporklcttcrtc. Dann ein Krach, ein Fluch,

poltern und wieder Stille und
nichts als Regen.

Am andern Morgen finde ich
die Leiter umgestürzt auf der Erde.
Aus der Fcnstcrlukc schimpft Anna
wie eine zornig gackernde Leghenne,
der man den Steig wcggczogen hat.
»Das is kci' Zustand", zankt sie.
»Das ijt kein Zustand", sage ich
und befreie sie aus ihrer Lage.

Sepp, der heute ein Bein nach-
zog, meint auch, als er mir begeg-
net: „Dös is koa Zustand »et für
Enk. Feh' kimmt scho' der Herbst,
und da möcht jcho' a jeder da eini,
wo der Zimmermann 's Loch g'macht hat."

^ »Wenn halt der Stölzl unterschreiben tät, müßt' die giftige
Schmidhuberin den Schlüssel hergcbcn."

»Bal s weiter nix is," sagt der Sepp, »na geh' i zum Stölzl
mit dem Schreibats."

»Eö wird mchts nützen," seufze ich, »schon weil die Schmid--
buberin dem Stölzl allerhand zugestcckt haben soll auS ihrem
Laden."

199
Bildbeschreibung

Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"Der Stölzl"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

Inschrift/Wasserzeichen

Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
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Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES

Objektbeschreibung

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Hentrich, Gerhard
Entstehungsdatum
um 1924
Entstehungsdatum (normiert)
1919 - 1929
Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Karikatur
Satirische Zeitschrift

Literaturangabe

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Aufnahmen/Reproduktionen

Künstler/Urheber (GND)
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Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
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Fliegende Blätter, 160.1924, Nr. 4111, S. 199

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