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Der rettende Engel.

Sie schwuren sich feierlichst, nicht mehr bei Nacht zu
reisen, nicht mehr ihr Leben und Gut in eine so eminente
Gefahr zu bringen, und wenn es schon unausweichlich wäre,
wenigstens den betreffenden Reisegefährten sogleich anzusprechen,
um über seine Person und Absichten im Klaren zu sein. In
Graz langten sie gegen 2 Uhr Nachts, schon auf's Aeußerste
erschöpft und verzagt, an, und nur mit heroischem Aufwande
aller ihrer moralischen Kräfte konnten sic sich noch wach er-
halten. Dabei hatten sie sich noch gegen die Furcht und gegen
die Ausbrüche einer stillen, aber nagenden Verzweiflung zu
wehren und mußten, ohne nur zu seufzen, sich ruhig in ihr
Schicksal ergeben. Da erschien ihnen der rettende Engel.

„Bitte, hier!" rief der Conductcur und riß die Waggon-
thüre aus, einen Reisenden in das Coupo treten zu lassen.

Und er trat ein und grüßte höflich. Die Beiden athmeten
auf, und eine ungeheure Last hob sich von ihrer bewegten Brust.
Sie wären dem neuen Ankömmlinge am liebsten um den Hals
gefallen, wären sie nicht so müde und schläfrig gewesen, daher
murmelten sie nur etwas Unverständliches auf seinen Gruß.
Sie waren nun vollkommen beruhigt und jubelten über den
rettenden Engel. „Jetzt kann er seine Anschläge doch nicht
mehr wagen! Soweit kann seine Tollkühnheit doch nicht
gehen, in Anwesenheit eines Dritten einen Mord oder Raub
zu begehen! Endlich von dieser Pein erlöst, kann ich ruhig
schlafen!"

So sprach Jeder zu sich und mit diesem kaum mehr ge-
lallten Gedanken versanken sie in einen festen, schweren, aber

auch unendlich erquickenden Schlaf.

* *

*

Als die Beiden des Morgens gleichzeitig erwachten, war
es schon ganz hell. Sie rieben sich die Augen und guckten

durch's Fenster, das aber eisbelegt keinen Ausblick gewährte.
Hierauf, sich der nächtlichen Besorgniß und Pein erinnernd,
sahen sie sich gegenseitig ziemlich neugierig an — und stießen
im nächsten Augenblicke, wie aus einer Kehle, einen Freudenruf
aus, denn sie hatten sich als befreundete Kaufleute erkannt.
Nach der herzlichsten Begrüßung theilten sie sich ihre Reisezwecke
mit, freuten sich über das unerwartete Zusammentreffen und
rückten allmälig mit ihrer ungerechtfertigten Besorgniß, mit ihrem
lächerlichen Verdachte, mit der ganzen Pein der verflossenen
Nacht, aus der sie erst der reitende Engel erlöste, heraus. Sie
lachten herzlich darüber, herzlicher, als lange schon. Der selt-
same Einklang ihrer beiderseitigen Gedanken und Empfindungen,
die sie sich mit gemüthlichcr Breite und rückhaltsloser Aus-
führlichkeit hererzählten, steigerte um ein nicht Geringes ihr
heiteres Behagen, und das Gefühl, sich in Gesellschaft des
Freundes ungenirt über sich lustig machen zu können, versetzte
sie in die beste, angenehmste Stimmung.

Ihr Lachen und Plaudern nahm erst ein Ende, als der
Conducteur das Ziel ihrer Reise ankündete. Sie standen
Jeder auf, uni ihre Taschen von den Ständern zu holen —
doch im Augenblicke wandten sich zwei entsetzte Gesichter gegen-
einander.

Ihre Taschen waren fort, spurlos verschwunden! Jetzt
erst sähen sie auch suchenden Blick's nach dem rettenden Engel,
der aber gleichfalls verschwunden war. Der Ausdruck des Ent-
setzens wandelte sich bald in den wehmiithiger Verlegenheit, und
mit tragi-komischem Ernste drückten sie sich stumm die Hände.

Endlich fanden sie die Sprache wieder, und das Erste,
was sie mit rührendem, verständnißinnigen Tone sagten, war:
„Der rettende Engel!"

Eduard Mingcr.
Bildbeschreibung

Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"Der rettende Engel"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

Inschrift/Wasserzeichen

Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES

Objektbeschreibung

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Harburger, Edmund
Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Karikatur
Satirische Zeitschrift

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Künstler/Urheber (GND)
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Digitales Bild
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Fliegende Blätter, 71.1879, Nr. 1774, S. 26

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