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Münsterbau-Verein <Freiburg, Breisgau> [Hrsg.]
Freiburger Münsterblätter: Halbjahrsschrift für die Geschichte und Kunst des Freiburger Münsters — 10.1914

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Münzel, Gustav: Der Mutter Anna-Altar im Freiburger Münster und sein Meister
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https://doi.org/10.11588/diglit.2546#0072

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Münzel, Der Mutter Anna-Altar im Freiburger Münster und sein Meister

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Meisters zu sehen hätte, eine viel größere Wahr-
scheinlichkeit für sich. Es stehen ihr wenigstens
nicht die großen chronologischen Schwierigkeiten
entgegen, die bei der eben erörterten umgekehrten
Annahme bestehen. Allein auch diese Annahme von
zwei Meistern in einem solchen Schülerverhältnis
muss zurücktreten gegenüber der noch größeren
Wahrscheinlichkeit, dass die drei Werke von einer
Hand geschaffen sind. Die Übereinstimmung in
diesen Arbeiten, wie sie im vorhergehenden dar-
gelegt wurde, ist nach dem künstlerischen Naturell,
nach der Formauffassung und nach der Technik zu
groß, um zwei verschiedene Meister an diesen Ar-
beiten annehmen zu dürfen. Anderseits gibt uns die
Datierung der Werke die Möglichkeit, die Ver-
schiedenheiten der Werke zwanglos aus der Ent-
wicklung eines Meisters zu erklären. Schon im Anna-
Altar haben wir einen Meister vor uns, der gekenn-
zeichnet ist durch die Kraft physiognomischer Cha-
rakterisierung, wie sie in den Köpfen von Joseph
und Joachim erscheint, durch ein ganz besonderes, am
Porträt erarbeitetes Schönheitsideal, wie es die Ma-
donna zeigt, und durch die Lust an spielerischen
Formen, wie sie in Haar- und Gewandbehandlung
hervortritt Während diese charakterisierende Kraft
und das weibliche Schönheitsideal auch in den spä-
teren Werken in gleicher Weise bleiben, nimmt das
krause Spiel mit den Formen eine immer größere
Stellung in diesen ein. Das spielende phantastische
Element ist in der frühen Arbeit noch nicht Grund-
element der Darstellung, sondern hat mehr die Rolle
des Beiwerks. Der Meister verwendet seine im
Laufe der Jahre sich zu absoluter Virtuosität ent-
wickelnde Technik zu einer Phantastik der For-
men, die alles durchdringt, der die Bildung des
Gewandes in der oben geschilderten Weise völlig
ausgeliefert ist, und die auch ihren Einfluss bei der
physiognomischen Durcharbeitung, bei der Form der
Körper und der Bewegung seiner Gestalten geltend
macht. Diese phantastische Richtung in Verbindung
mit der Leichtigkeit seiner Technik bestimmen die
Arbeit des Meisters bei den späteren Altären, und
zwar so weitgehend, dass er die Leichtigkeit seines
technischen Schaffens missbraucht und der Gefahr
einer unkünstlerischen Veräußerlichung stellenweise
unterliegt. Im Gegensatz zu diesen späteren Werken
ist beim Anna-Altar der auch hier deutlich in die
Erscheinung tretende spielende phantastische Zug
noch nicht absolut herrschend in der künstlerischen
Form, sondern in Schranken gehalten durch die
andern Gestaltungsprinzipien, die sich äußern in der
scharfen Charakterisierung der Köpfe und der Er-
fassung einfacher Bewegungsvorgänge, wie sie in der
Mittelgruppe dargestellt sind. Das phantastische Ele-

ment zeigt sich erst in Ansätzen bei der Haarbehand-
lung und im stärkeren Maße, wenn auch gegenüber
den späteren Werken noch gezügelt in der Behand-
lung der Gewänder. Diese Richtung in der künstle-
rischen Natur des Meisters trägt hier noch das
Merkmal einer, wenn auch äußerlichen Belebung
des Gewandes, einer bloßen Begleitfigur gleichsam,
die noch nicht die Substanz der Gestaltung ergreift.
Diese Gesamthaltung des Künstlers im Anna-Altar
ist wohl weniger dadurch bestimmt, dass seine Tech-
nik, die schon entwickelt genug ist, noch nicht die
Höhe der späteren Zeit erreicht hat, sondern dass in
seiner geistigen Verfassung die Kräfte der Tradition
noch mächtiger waren und dass in ihm die kühleren
künstlerischen Funktionen noch nicht zu Gunsten
einer zügellosen Phantastik zurückgedrängt sind. —
Diesen Arbeiten des Meisters können noch
einige weitere angegliedert werden. Zunächst sei
hingewiesen auf die beiden Holzfiguren des Evange-
listen Johannes und Johannes des Täufers im Ger-
manischen Nationalmuseum1. Bezold datiert diese
beiden Figuren um 1525—1540. Ich möchte sie, die
ganz zweifellos dem späteren Stil des Meisters ange-
hören, zeitlich in die Nähe des Rotweiler Altars,
jedoch später wie diesen ansetzen. Jedenfalls sind
die stilistischen Übereinstimmungen mit diesem Werk
am größten. Fast identisch ist die plissierte Fälte-
lung und die eigenartige Raffung der Mäntel, wie sie
bei der Madonna in Rotweil und bei dem Johannes
Evangelista vorkommen, ein Motiv, das sich übrigens
ganz ähnlich auch noch auf den Flügeln in Rotweil
bei dem Engelkampf am Engel mit dem Schlachtbeil
vorfindet. Weder in früheren, noch in späteren Ar-
beiten des Meisters ist dieses eigenartige Motiv der
Gewandbehandlung in solcher Ausprägung anzutreffen.
Weiter ist die Bildung des unteren Mantelzipfels
bei Johannes dem Täufer ganz entsprechend in der
Fälielung der gleichen Gewandpartie bei Christus
in Rotweil. Die beiden Figuren zeigen außerdem
auch wieder die besondere Vorliebe des Meisters für
Schleifen- und Knotenbildung, so die gedrehte ver-
knotete Schärpe bei dem Evangelisten und bei dem
Täufer den großen Gürtelknoten wie die wegen
ihrer auffallenden Stelle auf der Schulter charakteri-
stische Schleife, die eine Parallele bei Johannes dem
Täufer in Rotweil hat. Der ungemein virtuosen und
zugleich bizarren Gewandanordnung wie der vor-
züglichen Durchbildung der beiden Köpfe nach, sind
diese beiden Figuren ganz besonders charakteristisch

1 Vgl. darüber G. von Bezold im Anzeiger des Germani-
schen Nationalmuseums 1913 S. 6 f. mit Abbildungen. Die
Zuweisung dieser Figuren an den Breisacher Meister rührt
danach von Theodor Demmler her. — Die Figuren sind an-
nähernd lebensgroß.
 
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