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Münsterbau-Verein <Freiburg, Breisgau> [Hrsg.]
Freiburger Münsterblätter: Halbjahrsschrift für die Geschichte und Kunst des Freiburger Münsters — 10.1914

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Münzel, Gustav: Der Mutter Anna-Altar im Freiburger Münster und sein Meister
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https://doi.org/10.11588/diglit.2546#0071
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Münzel, Der Mutter Anna-Altar im Freiburger Münster und sein Meister

vorgehen. Aus dem Anna-Altar sei in Bezug auf
die Schlingen hervorgehoben bei Maria der von der
Schulter quer vorn über den Körper nach der Seite
gezogene und in einer aufgebauschten Schlinge frei
endende Schleier, der sein stärkstes Analogon hat
auf dem Breisacher Altar in dem Schleier der Auf-
satzfigur der hl. Valeria. In der gleichen Richtung
liegen die an den Seiten herabfallenden Endigungen
des Kopftuchs der Mutter Anna und der Kopfbe-
deckung des Joachim und der schlingenartige Wulst
über der rechten Hand des hl. Joseph. Diese Ge-
bilde wiederholen sich an einer ganzen Reihe von
Figuren in Rotweil und Breisach, von denen hervor-
gehoben seien auf dem Rotweiler Altar die schlingen-
artig angeordnete plissierte Schleppe der Madonna,
bei den Figuren der Predella der Mantel Christi und
des Judas Thaddäus und die weite Ausbauschung
des Gewandes am Hals des Judas Ischariot. Auf den
Flügeln dieses Altars finden sich diese Schlingen
namentlich am Gewände des Johannes bei der Taufe
Christi, und zwar zweimal in dem von der linken
Schulter über den Körper herabfliegenden und in
dem am rechten Fußende schneckenartig gewundenen,
weit vorspringenden Gewandzipfel. Von ähnlicher
Wirkung ist auf der Darstellung des Engelkampfes
der Gewandbausch an der Hüfte des Erzengels mit
dem Dreizack. In Breisach sind diese Formen so
ausgesprochen vorhanden, dass man jede Figur als
Beispiel heranziehen kann. Die für diesen Meister
signifikanteste Besonderheit unter diesen Formen
sind die mit größter Vorliebe gebildeten Knoten-
schlingen. So hat der Joachim im Anna-Altar eine
Schärpe umgeschlungen in der Art, wie sie der Joa-
chim auf dem Flügel von Dürers Jabach-Altar in
München trägt, aber in grotesker Vergrößerung des
Knotens und der Enden. Den gleichen ungewöhn-
lich großen Gürtelknoten zeigt das Gewand Gott-
vaters in Breisach. Ebenso hat Maria nicht nur
einen vorn zum Knoten geschürzten Gürtel um die
Hüfte, sondern unterhalb davon noch eine aus dem
Gewandstoff' gebildete Schleife mit riesigen Flügeln.
In Rotweil findet sich ein solcher Schleifenknoten
am Gewand des Michael und auf den Flügeln ex-
zelliert die Vorliebe für große Knotenbildung auf
dem Relief der Taufe Christi sowohl am Gewände
Christi wie an dem des Täufers. Der merkwürdigste
und lustigste Knoten aber zeigt sich auf der Pre-
della in Rotweil bei dem Apostel rechts neben Chri-
stus, der um den Arm einen großen Knoten mit
enormen Zipfeln, ähnlich einem zusammengebundenen
Schnupftuch, trägt.

Diese Übereinstimmungen zeigen zur Genüge,
dass die verglichenen Werke in einer engen stilisti-
schen Verbindung miteinander stehen, deren ge-

nauere Art noch zu prüfen ist. Wie bei dem Ver-
gleich des Rotweiler Altars mit dem Breisacher her-
vorgehoben wurde, zeigt der Rotweiler eine viel
größere künstlerische Mäßigung und Zurückhaltung
als der Breisacher, weshalb ihm chronologisch eine
frühere Stelle vor diesem angewiesen wurde. Der
Anna-Altar zeigt nun seinerseits eine noch größere
Ruhe als das Rotweiler Altarwerk. Es sind dieselben
künstlerischen Gestaltungsprinzipien bei ihm wirksam
wie -bei den beiden andern Altären, so die Lust an
krauser Verschlingung, die Tendenz zur virtuosen
Behandlung des Materials, die charakterisierende
Kraft in den Köpfen, aber alles dieses noch ge-
mäßigt, zurückgehalten, wie in den Anfangen befind-
lich. Greifen wir nun darauf zurück, dass für die
Datierung des Anna-Altars die Jahre 1514—1515
gefunden wurden und dass für den Breisacher Altar
das Datum 1526 überliefert ist, so erklären sich diese
stilistischen Unterschiede, und die Frage nach der
Art der Verbindung dieser unterschiedenen und doch
so verwandten Werke wird gelöst. Es fragt sich:
ist die Verwandtschaft dieser Werke so zu erklären,
dass verschiedene Meister anzunehmen sind, die
einen dritten als gemeinschaftlichen Lehrer haben,
durch den das Verwandte ihrer Werke zu erklären
ist, oder ist der Meister des einen Altars der Schüler
des andern oder rühren alle drei von einem Meister
her. Die Annahme, dass wir in dem Meister des
Anna-Altars und dem des Breisacher, dem auch bei
dieser Hypothese wohl der Rotweiler zugewiesen
werden müsste, Schüler eines gemeinschaftlichen
Lehrers zu sehen hätten, so dass die Übereinstim-
mungen in ihren Werken als Schul- oder Werkstatt-
eigentümlichkeiten aufzufassen wären, scheidet allein
schon dadurch aus, dass keine Werke eines solchen
gemeinschaftlichen Lehrmeisters aus der Zeit vor
1515 bekannt sind, die die Eigentümlichkeiten der
drei Altäre zeigen. Gegen die Möglichkeit, dass der
Anna-Altar-Meister Schüler des Breisacher Meisters
sei, spricht die Tatsache, dass der Anna-Altar das
früheste der in Betracht kommenden Werke ist und
dabei eine Reife zeigt, die das Schülerstadium weit
hinter sich lässt. Auch wäre die große Mäßigung
und Zurückhaltung gegenüber dem krausen Spiel
der Formen, wie sie die beiden andern Altäre auf-
weisen, nicht zu erklären, da der Anna-Altar-Meister
ganz gewiss diese Eigentümlichkeiten aus früheren,
vor 1515 liegenden, heute nicht mehr vorhandenen
Werken des Breisacher Meisters, die wir bei der
Erörterung dieser Möglichkeit voraussetzen müssen,
nachgeahmt hätte. Ist diese Konstruktion allein
schon wegen des Fehlens solcher Werke abzulehnen,
so hat die andere Möglichkeit, dass man in dem
Breisacher Meister einen Schüler des Anna-Altar-
 
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