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Gesellschaft für Vervielfältigende Kunst [Hrsg.]
Die Graphischen Künste — 36.1913

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Redon, Odilon; Henkel, Max D.: Odilon Redon
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https://doi.org/10.11588/diglit.3752#0053
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die Richtung, die Redon einschlagen sollte, gewirkt hat, ist Delacroix, und durch ihn hängt Redon mit der großen
Bewegung im europäischen Geistesleben zusammen, die man die Romantik nennt.

Die Verwandtschaft, die zwischen Delacroix und Redon besteht, ist keine äußere, die sofort in die Augen
fällt. Scheinbar sind es sogar entgegengesetzte Pole. Delacroix ein Maler der Bewegung und leidenschaftlichen
Lebens, Redon ein Bildner der Ruhe und des Schweigens; bei Delacroix" Menschen von Fleisch und Blut, die ganz
Aktion sind; bei Redon Gebilde des Traumes, die nur Empfindungen und Leiden sind. Und doch, der Quell, aus
dem beide schöpfen, und die Kunstmittel, deren sie sich bedienen, sind die gleichen. Beide schaffen mit der Phantasie
und die Wirklichkeit dient ihnen nur als Material, als Rohstoff, den sie mit ihrem Geistesfunken beleben und je
nach den Wirkungen, die sie erstreben, umbilden und umformen — bis zur Mißbildung. Nur geht Redon hier viel
weiter als Delacroix, ist konsequenter und einseitiger. Was bei Delacroix nur gelegentlich vorkommt, absichtliche
Formveränderungen — die fluchende Hand des Vaters der Desdemona — das wird bei Redon zum Grundprinzip
seiner Kunst.

In diesem Vorherrschen des subjektiven Elementes liegt auch der Zusammenhang mit der Romantik. Wenn
als das Kennzeichen des Romantischen ein Überwiegen des Gefühles über den Verstand, eine bis zum äußersten
gesteigerte Empfindlichkeit und Reizbarkeit betrachtet werden muß, wenn ferner das Unbewußte, das Halbbewußte, die
Dämmerung der Seele, die Welt der Ahnungen, das Reich des Unbestimmten sein eigenstes Gebiet ist und die hieraus
geborene Kunst in erster Linie Stimmungskunst ist, mit einem stets vernehmlichen Unterton von Trauer und Sehnsucht
darin, dann gehört Redon unstreitig zu den charakteristischesten Vertretern der Romantik, in eine Reihe mit Geistern
wie Novalis und Wackenroder, wie Brentano und Arnim, und es lohnte wohl die Mühe, die Fäden, die von diesen
zu Redon hinüberlaufen, einmal aufzuzeigen: nicht als ob hier an eine direkte Einwirkung gedacht werden könnte;
es sind Stimmungen und Empfindungen, die gleichsam in der Luft lagen.

Ein Wort des Dankes gebührt an dieser Stelle Herrn A. Bonger in Amsterdam, der, ein glühender Verehrer
Redons und seiner Kunst, mir in der liberalsten Weise das Studium seiner Sammlung Redonscher Zeichnungen,
Lithographien und Gemälde gestattete. Ihm bin ich auch für wertvolle Hinweise und Winke bei dieser Übersetzung
verpflichtet, und seiner Bemühung verdanke ich die gütige Erlaubnis des Autors, diese Aufzeichnungen, die derselbe
Herrn Bonger als Zeichen seiner Freundschaft gewidmet hat, an dieser Stelle veröffentlichen zu dürfen. Der Voll-
ständigkeit halber sei noch erwähnt, daß Herr Bonger selbst den französischen Text vor einigen Jahren in einer
kleinen holländischen Zeitschrift (Van onzen tyd 1909) publiziert hat; aber diese Veröffentlichung ging bei der
geringen Verbreitung des Blattes unbemerkt vorüber. M. D. Henkel.

Ich habe eine Kunst aus mir selbst geschaffen. Ich habe sie mit Augen geschaffen, die auf die
Wunder der sichtbaren Welt gerichtet waren, und was man auch darüber sagen mag, mit dem
beständigen Bestreben, den Gesetzen der Natur und des Lebens zu genügen. Ich habe sie auch mit
der Liebe zu einigen Meistern geschaffen, die mich in den Kultus der Schönheit eingeführt haben.
Die Kunst ist die höchste Kraft, gewaltig, heilsam und geheiligt; sie erzeugt bei dem Dilettanten
nur ein köstliches Wohlbehagen, aber bei dem Künstler schafft sie mühsam das neue Korn
für die kommende Saat. Ich glaube, daß ich mich gelehrig den geheimen Gesetzen gefügt habe, die
mich dazu geführt haben, wohl oder übel nach meinem Können und meinen Träumen Dinge zu
gestalten, in die ich mein ganzes Selbst hineingelegt habe. Wenn diese Kunst der Kunst der
andern entgegengesetzt ist (was ich nicht glaube), so hat sie mir doch ein Publikum gewonnen,
das die Zeit erhält, und sogar wertvolle und wohltätige Freundschaften, die mir lieb sind und
mich belohnen. — Die Notizen, die ich hier zusammengestellt habe, werden besser zum Verständnis
meiner Kunst beitragen als alles, was ich über meine Vorstellungen und die Technik sagen könnte.
Die Kunst hat auch Anteil an den Ereignissen des Lebens. Dies sei die einzige Entschuldigung,
daß ich hier einzig und allein von mir spreche.

Mein Vater sagte mir oft: Sieh diese Wolken, unterscheidest du bei ihnen wie ich wechselnde
Formen? Und er zeigte mir dann am unbeständigen Himmel Erscheinungen von seltsamen chimä-
rischen und wunderbaren Wesen. Er liebte die Natur und erzählte mir oft, welche Freude er in den

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