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Kulturanalyse und aufrechter Gang

Kulturals Verkörperung

Im Strom gelebter Erfahrung sind die Grenzen zwischen Körper-Haben
und Körper-Sein fließend. Doch im Verhältnis zu andern, zu Dingen
und Personen, »bin ich« - schon rein physikalisch gesehen - »Körper«,
im Verhältnis zu mir selbst »habe ich« - schon rein physiologisch gesehen
- »meinen Leib«. Diese Begriffe, mit denen die Grenzen markiert und be-
nannt werden, sind wissenschaftlicher Natur, und damit gehören sie jenem
Diskurs an, dessen Disziplin in der dualistischen Scheidung zwischen ge-
lebter und reflektierter Erfahrung besteht. Auch dieser Diskurs bedarf aber
der Anschauung, und diese holt er sich nicht selten aus solchen Bildern, de-
ren symbolischer Gehalt analytische Deduktionen nicht verwehrt. In der
Sprache der Humanwissenschaften erfüllt diesen Anspruch das Bild vom
aufrechten Gang, unter dessen Oberfläche die anatomische Organisation
des menschlichen Leibes der exakten Beschreibung harrt.

Mit einer solchen Beschreibung gibt sich der anthropologische Blick
jedoch nicht zufrieden. Ihm erscheint der aufrechte Gang vielmehr, was
im einzelnen noch auszufuhren ist, als ein Schlüsselsymbol der Kultur.
Wie aber ist das zu verstehen: Ist die aufrechte Körperhaltung und da-
von abhängige Leibesorganisation des Menschen eine notwendige Bedin-
gung seiner Kultur? Muß, wird diese Frage bejaht, die materielle Kultur
als Verkörperung und daher als Vergegenständlichung dieser organischen
Konstitution begriffen werden? Und berühren diese Fragen nicht die me-
thodischen Voraussetzungen der Kulturanalyse?

Ein einfacher Gedanke legt die Bejahung der letzten Frage nahe, wenn
man die These von der Verkörperungsfunktion der materiellen Kultur ein-
mal probehalber akzeptiert. Selbst wenn nicht alles von Menschenhand
Hergestellte unter diese These fallen sollte, so besteht dennoch ein un-
leugbares Band zwischen dem Körperhabitus des Produzenten und dem,
was seine Hand in Verbindung mit dem von dieser geführten Werkzeug
hervorbringt. Ja selbst das Werkzeug ist, als ein Produkt der Hand, de-
ren besonderer Organisation angemessen. Es erscheint mir unter dieser
Voraussetzung selbstverständlich, die Angleichung des rohen Materials an
eine Form, die das Kriterium der Handlichkeit erfüllt, als ein kardinales
Merkmal der Kultur anzuerkennen. Nicht erst das Dekor, sondern bereits
die Formgebung bezeugt einen Entwurf, der die kognitive Unterscheidung

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