Kulturelle Ressourcen
historiographischen Erzählens.
Eine Skizzensammlung
Geschichte schreiben heißt also Geschichte
zitieren.
Walter Benjamin*
Der Rahmen
Nach dem linguistic turn hat sich hier und da auch in der Geschichtswissen-
schaft, die bekanntlich gewaltige Textmassen bewegen muß, die Aufmerk-
samkeit den sprachlich-literarischen Produktionsbedingungen der Ge-
schichtsbücher zugewandt. Früher, das heißt in den ersten Blütezeiten
des Historismus, hießen die Hauptstraßen in dieser Wissensprovinz »For-
schen« und »Darstellen«, und man hielt sich wie selbstverständlich - wenn
auch widerwillig - an rhetorische Verkehrsregeln. Heute rekonstruieren er-
kenntniskritische Analysten die epistemologischen und/oder ideologischen
Tiefenstrukturen der in dieser Tradition verorteten Geschichtsbücher mit
den Mitteln der Sprach- und Literaturbeschreibung. Die dem zugrundelie-
gende archäologische Neugier sucht die Art und Weise aufzudecken, nach
der die historiographischen Klassiker ihre Geschichtsbilder ausgemalt ha-
ben. Ihr Interesse gilt weniger dem, was einst unter anderen Bedingun-
gen »historische Wahrheit« hieß. Denn die Voraussetzungen dieser Wahr-
heit und ihrer Relativität liegen - so lautet die neue Wahrheit der lingui-
stisch und diskurstheoretisch geschulten Relativisten - in den sprachlichen
Usancen und formalen Verfahren der Textproduktion, kurz: in der >Poe-
tik< bzw. >Rhetorik< des Schreibens und der damit verbundenen schriftlich-
kulturellen Verfahren: von der sog. Quellenkritik und konstitutiven Bild-
lichkeit der Texte bis zur philologisch-hermeneutischen Parallelstellenme-
thode und narrativen Kohärenzbildung.2 Geschichte ist demnach nichts
anderes als ein hybrides Konglomerat von Texten, will sagen: das Produkt
einer weitläufigen, schriftzentrierten Sprachhandlung namens >historiogra-
phisches Erzählern.
Erzählungen - mündliche und schriftliche, fiktive und historische -
werden vom Forscherverstand gern auf formale und kommunikative Kon-
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historiographischen Erzählens.
Eine Skizzensammlung
Geschichte schreiben heißt also Geschichte
zitieren.
Walter Benjamin*
Der Rahmen
Nach dem linguistic turn hat sich hier und da auch in der Geschichtswissen-
schaft, die bekanntlich gewaltige Textmassen bewegen muß, die Aufmerk-
samkeit den sprachlich-literarischen Produktionsbedingungen der Ge-
schichtsbücher zugewandt. Früher, das heißt in den ersten Blütezeiten
des Historismus, hießen die Hauptstraßen in dieser Wissensprovinz »For-
schen« und »Darstellen«, und man hielt sich wie selbstverständlich - wenn
auch widerwillig - an rhetorische Verkehrsregeln. Heute rekonstruieren er-
kenntniskritische Analysten die epistemologischen und/oder ideologischen
Tiefenstrukturen der in dieser Tradition verorteten Geschichtsbücher mit
den Mitteln der Sprach- und Literaturbeschreibung. Die dem zugrundelie-
gende archäologische Neugier sucht die Art und Weise aufzudecken, nach
der die historiographischen Klassiker ihre Geschichtsbilder ausgemalt ha-
ben. Ihr Interesse gilt weniger dem, was einst unter anderen Bedingun-
gen »historische Wahrheit« hieß. Denn die Voraussetzungen dieser Wahr-
heit und ihrer Relativität liegen - so lautet die neue Wahrheit der lingui-
stisch und diskurstheoretisch geschulten Relativisten - in den sprachlichen
Usancen und formalen Verfahren der Textproduktion, kurz: in der >Poe-
tik< bzw. >Rhetorik< des Schreibens und der damit verbundenen schriftlich-
kulturellen Verfahren: von der sog. Quellenkritik und konstitutiven Bild-
lichkeit der Texte bis zur philologisch-hermeneutischen Parallelstellenme-
thode und narrativen Kohärenzbildung.2 Geschichte ist demnach nichts
anderes als ein hybrides Konglomerat von Texten, will sagen: das Produkt
einer weitläufigen, schriftzentrierten Sprachhandlung namens >historiogra-
phisches Erzählern.
Erzählungen - mündliche und schriftliche, fiktive und historische -
werden vom Forscherverstand gern auf formale und kommunikative Kon-
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