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Nr. i i

1897

Erinnerung; was öorbem war, nämlich Fritz,
war traurig, was nachdem kommt, ist schaurig!"

„Wieso? Thu' Dir keinen Zwang an, rede
nngenirt!"

„Slein, nein, die Lientenantsgeschichte ist zu
frivol zum Erzählen im Familienkreis. Ich bitte
Dich, Lieutenants sind immer frivol, das weist
schon jeder Backfisch — und das gerade reizt!
Aber am Aschermittwoch machte ich reumüthig
dem Fastnachtsscherz ein Ende, erstens ans Moral
und zweitens hatte mich Plötzlich eine andere
Leidenschaft gepackt, eine sündige Leidenschaft
— O, das ist der schwarze Fleck meiner Ver-
gangenheit!" Sie schlug beide Hände vor's Ge-
sicht und stöhnte.

Heinz sprang aus mic ein gereizter Tiger,
er vergast jede Würde und Besonnenheit, so das;
er seine sämmtlicheu Werke vom Tisch stiest und
!!!! Liebcsstudien ans der Erde kollerten. — Ach,
was war seine Vergangenheit gegen die seiner
Frau? 200 Seiten Druckpapier, ein bischen
Dampf und Seisenblase— sie dagegen, die blonde
Circe mit dem scheinheiligen Madonnenlächeln,
sic Halle eine sündige Leidenschaft erlebt, eine groste
Leidenschaft — etwas, das er, der moderne
Windmühlcnritter, noch gar nicht kannte. Be-
neiden hülle er sie drum mögen, aber auch hassen.

„Sprich! Aber alles will ich wissen, alles!"

„Fa, das war so!" Die kleine Frau schien
ganz zerschmettert. „Meine Cousine Gisa kam
mit ihrem Gatten aus Besuch. Ei» schöner Mann
oder mehr noch, ein interessanterMaim! Schivarz,
rabenschtvarz, Angen, Haare, Bart, alles! Das
Blonde hatte ich inzivischen als sade abgetha». Der
ignorirte alle Frauen nutzer seiner eignen; die
betete er an. lind doch lvar sie lveder besonders
hübsch, noch klug, sogar etlvas kränklich. Aber
vielleicht gerade darum! Wusste ich doch ans
Ersahrnng, ivie Mitleid Liebe erweckt, höchste
Liebe! — Du als moderner Mensch kannst das
nicht so verstehen! — Aber mir ward er Ideal.
Diesen Mann oder keinen! Ein Verbrechen hätte
ich gewagt ihn zu erringen! Die Sünde, die Sünde
schlug mir ihre Flammenlohe über Haupt und
Herz, ich musste den Brand löschen, eine Abküh-
lung, ein Sturzbad um jeden Preis — Gott sei
Dank! und da kamst Du!"

„Gott sei Dank, ja, das; ich nun endlich noch
einmal an die Reihe komme! Also als Ab-
kühlung? Und das sagt mir die Frau, welche
meine einzige wahre Liebe ausmacht?"

„Aber sei doch nicht so altmodisch! Heiratet
ihr Männer doch zumeist zur Abkühlung eurer
Leidenschasten!"

„Run lies mal die Stelle vor, tvv ich auf
der Bildslächc erscheine! Ich fordere cs, Dein
Gatte!"

„Ach, von Dir schrieb ich gar nichts ein, Du
warst doch das Reelle, der Ehemann; Du ge-
hörtest nicht, in meine romantische Traumwelt,
sondern ins Ausgabebuch zu den Aussteuer-
rechnungen."

„Oh, oh!" knirschte Heinz. Er raste sich eine
Weile im Zimmer müde, dann warf er sich
schiver auf de>l Sttihl an; Schreibtisch. „Da
heiratet man eine achtzehnjährige Unschuld, glaubt
dein frommen Blick und naiven Lächeln — und
dann entdeckt man sich als Nummer 5 oder 35!
Was weist ich, >vas Du gestehst, was Du ver-
schweigst !"

„Freilich", seufzte sie mit dem srommcnAngen-
ansschlag aus der Tanzstunde, „der Glaube allein
thnt's in der Religion, wie auch in der Ehe.
Auch komml's bei uns Frauen aufs Alter gar
nicht an. Der Eine macht seine Kinderkrankheiten
rascher ab, der And're laborirt sein ganzes Leben
lang daran. Ich glaube, zu der Sorte gehörst
Du! D'runt schlage ich Friedeusschlust vor, oder
meinelhalb auch nur Wasfenstillstand ans Lebens-
zeit !" Sie schritt aus die andere Seite des Schreib-

JUGEND •

H. Eichrodt (München).

tlsches und hielt ihm die Hand über die Marmor-
platte entgegen. „Ich für mein Theil verzeihe Dir
sämmtliche Zöpfe, sogar Deinen eigenen! Heber-
Haupt,warum ihr Männer nur so furchtbar stolz
auf eure Erinnerungelt seid und so gern damit
prahlt? . Wir Frauen belächeln die unfern und
verschweigen sie. Wenn ich heute diesem Grundsatz
untreu geworden — sichst Du, so ist das das
andere Ende von Deinem Zopf!" —

Heinz murmelte unverständliche Worte vor
sich hin, halb Wüthcrich, halb Besiegter. Bertha
aber trippelte ivieder von ihm weg und setzte
sich ulit ihrer Stickerei aus die Ottomane. Kichernd
schielte sic nach i()iu: „Jetzt must er zuerst kom-
men, da er meine Versöhnungshand nicht nahm!
Er must kommen — er must kommen —!" So
summte sie nach einer alten Kindermelvdie immerzu
vor sich hin, bis ihr blonder Kopf schlastrunken
ans daS Plüschkissen zurückficl. — lind da kam
er wirklich!-

Maxi Sontonef.

Zehn Einzelheiten

Es gibt jetzt eine Vornehmheitsmanie,
die ebenso blind für das Unscheinbare
schwärmt, wie die Menge für das Glän-
zende. Allein es ist doch nicht alles Gold,
was nicht glänzt.

Es ist höchst unsittlich, den Einzelnen
zu lieben, den man verachtet; es ist höchst
sittlich, die Menschheit zu lieben, die man
verachtet.

Mit dem Skeptizismus, der jetzt so
Vielen als der Befreier und Führer des
Lebens erscheint, geht es wie mit den
Freikugeln. Neunmal können wir damit
treffen, was wir wollen, die zehnte führt
der Teufel wohin er will, oft in’s Herz
des Liebsten.

Man muss erst eine Kritik über ein
schlechtes Buch geschrieben haben, um
zu wissen, wie schwer es ist, immer vor-
nehm zu bleiben.

Die geistige Produktion vereinigt in
sich die Wonnen der Zeugung und die
Schmerzen der Geburt.

Bei niedrigeren Frauen führt die Liebe
über das Sinnliche zum Idealen, bei höheren
über das Ideale zum Sinnlichen.

Man kann zu stolz sein, um Verzeih-
ung zu bitten, — man kann aber auch zu
stolz sein, es nicht zu thun.

Den Frauen gegenüber räth uns der
Sittliche: Thu’ nur, was du nicht lassen
kannst; der Unsittliche: Lasse nur, was
du nicht thun kannst.

Zu hohen Menschen reicht man um
so eher hinauf, je tiefer man sich vor
ihnen beugt.

Die erste Pflicht der Liebe' ist, kein
Recht aus ihr zu machen. g. s.

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G. S.: Zehn Einzelheiten
Hellmut Eichrodt: März
 
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