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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 21,4.1908

DOI Heft:
Heft 20 (Zweites Juliheft 1908)
DOI Artikel:
Toussaint, Elisabeth: Vom Frauenkleide
DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.7707#0091

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Iahrg. 21 Zweites Iuliheft 1908 tzest 20

Vom Frauenkleide

^^-^ei allem ernsten Dilettantismus führt die Beschäftigung mit
^R'Hdem Schmuck und der Pflege des Dinges zur Erkenntnis des
Dinges selbst und zur Erkenntnis dessen, was ihm gesund und
natürlich ist und seine Schönheit hebt. Deshalb ist der ernste Dilet--
tantismus eine sehr nützliche Sache. Aber ihm sind Grenzen ge-
steckt. Vor allen Dingen läßt uns unsre Hauptarbeit meist nicht
allzuviel Zeit dafür. Außerdem fehlt uns oft das technische Können.
Deshalb müssen wir uns häufig darauf beschränken, den Gedanken
zu denken, die Gesichtspunkte zu bestimmen, die Richtung zu weisen —
die Arbeit selbst aber müssen wir dem Berufsarbeiter überlassen.

Wir können wohl erdenken und bestimmen, wie unsre Möbel,
unsre Wohnung sein sollen; aber über den allgemeinen Entwurf
hinaus geht das Vermögen des Laien nicht.

Wenn nun auch in bezug auf das Frauenkleid die Dinge in--
sofern günstiger liegen, als jede Frau sich in wenigen Monaten
die Fähigkeit aneignen kann, ihre eigne Schneiderin zu sein, so
fehlt doch in unsrer arbeitsreichen Zeit auch vielen Frauen die
Muße, mehr zu geben als höchstens Erfindung und Vervollkomm-
nung des Kleides im Entwurf. Wir können also auch auf dem
Gebiete der Schneiderei der Berufsarbeiterin selten entraten. Aber
diese Eigenarbeit, dies Erfinden und Entwerfen, sollten wir nicht
unterlassen, wenn wir durch das Kleid, das wir tragen, Kultur-
arbeit leisten wollen. Denn, um diese Kulturarbeit zu leisten, muß
das Kleid in lebendiger Entwicklung bleiben, muß es geschützt werden
vor dem Erstarren, dem alles verfällt, was dem Berufsarbeiter allein
überlassen bleibt, dem die Arbeit der Nicht-Fachleute nicht dauernd
neue Anregungen zuführt.

Aber der gute Dilettantismus fördert noch etwas anderes. Er
erhöht auch den Sinn für den Wert der Dinge. Die Wohnung,
die wir uns selber zweckmäßig und schön eingeteilt und eingerichtet
haben, wird uns festhalten mit tieferem Heimatsgefühl. Der un-
ruhige Sinn des ewigen Verlangens nach dem Neuen, das die Mode
bringt, findet keine Stätte da, wo jedes Stück von eigner Arbeit,
von liebevollem Versenken spricht. — Und je mehr wir uns dessen
bewußt werden, um so mehr werden wir einer bodenständigen Heim-
kultur zusteuern und die kraft- und glückrüubende Heimatlosigkeit
unjrer Zeit bekämpfen. Um so dauerhafter, sorgsamer und schöner
in Arbeit und Material werden wir die Dinge, die uns umgeben
sollen, herstellen oder herstellen lassen.

Ie mehr eigne Arbeit in dem Kleide liegt, das wir tragen, um
so mehr wird es unsrer Eigenart entsprechen, um so lieber werden
wir es tragen, um so weniger werden wir uns nach fortwährender
Abwechslung sehnen und um so tapferer werden wir der Anschauung
entgegentreten, unter deren Zwang gedankenlose oder schwache Frauen

^ 2. Iuliheft M8 65
 
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