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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 21,4.1908

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Heft 19 (Erstes Juliheft 1908)
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Rundschau
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Unsre Bilder und Noten
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https://doi.org/10.11588/diglit.7707#0071

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brüdern sich absondert, im eigenen
Hause kneipt und singt und paukt,
vereinigen sich die freien Studen-
ten ganz ungebunden heute hier
zu einer Hörerschaft, die einem mo-
dernen Pokitiker über eine aktuelle
Lagesfrage lauscht, morgen dort zu
einer andern, die sich wechselscitig
in freier Rede und Widerrede übt,
nnd übermorgen nehmen sie viel-
leicht an einer Führung durch eine
Ausstcllung, einen ausgedehnten
technischen Betrieb teil. Die Berliner
Organisation hat sechs derartige
Arbeits-Abteilungen gebildet, zn
denen noch sechs weitere für aller-
hand Sport hinzukommen. Ieder
Student ist geladen, sich zu be-
teiligen, ohne besondcre Formali-
täten, ohne andere Kosten, als die
Sache selbst, also z. B. die Be-
teiligung am Fechten oder Turnen
erfordert. Auch über den Semestcr-
schluß hinaus ist für gemeinsame
Gelegenheiten zur Weitcrarbeit ge-
sorgt: so entwickclt die Berliner
Abteilung für freie und angewandte
Kunst das Programm einer akade-
mischen Ferienreise in die Länder
am Rhein und nach München.

Die freien Studentenschaften er-
zeigen sich mit solchen und ähn-
lichen Bestrebungen als rechte Kin-

der unsrer sozialisierenden Zeit.
Sehr im Gegensatz zu den Llteren
und exklusiven Verbindungen, die
die Grenzen betonen und dadurch
den leidigen gesellschaftlichen Stan-
desdünkel verschärfen helfen, an
dem unser völkisches Leben beson-
ders im preußischen Deutschland so
unheilvoll krankt. Gewiß nicht nur
aus diesem Grunde, aber schon aus
diesem Grunde wäre die freie Stu-
dentenschaft in allen ihren Formen
willkommen zu heißen; denn da°
durch, daß sie mit dem geistigen
und praktischen Leben des Tages
Fühlung sucht, wird sie manchen
jungen Kopf freimachen von über-
lieferten Vorurteilen, wird sie sozial
ausgleichend im guten Sinne wirken
können. Dann aber kann eine Er-
ziehung zu vielseitigen Interessen
für die jungen Geister auch positiv
höchst nützlich werden. And damit
förderlich für unsre Gesellschaft
überhaupt, die ja immer noch an
Spezialistentum krankt. Möge es
ihr gelingen, den deutschen Bil-
dungsphilister zu modeln, der gegen
Neues hieb- und stichfest ist, weil
er im Abglanze seiner akademischen
Examensbildung dergleichen Dumm-
heiten nicht mehr nötig zu haben
glaubt.

Unsre Bilder und Noten

>^^^ax Klingers Wagncrbüste, die gegenwärtig in Arnolds Kunst-
/ A salon in Dresden ausgestellt ist, wo sie unter vielen sehr schönen
^Sachen gegenwärtig den größten Anziehungspunkt bildet, zeigt
wieder einmal, wie lange Zeit oft vergeht, bis für eine scheinbar ganz
einfache Aufgabe der rechte Mann kommt. Wahrscheinlich: weil er
meistens gar nicht eher kommen kann. Wir haben als Wagner-
bildnisse vortreffliche Photographien, interessante, ja bedeutende Gemälde
und gute und sehr gute Büsten. Aber erst Klinger zeigt uns den
Wagner, der über seine Lebenszeit hinausragt, wie der Schwimmer über
das Wasser, das er zwingt, ihn zu tragen, und das er beherrscht. Viel-
leicht, daß der Zeitgenosse gar nicht imstande ist, so zu bilden, einerseits,

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