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Pan <Berlin> — 1.1895-96 (Heft I und II)

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https://doi.org/10.11588/diglit.3164#0046
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ANFORDERUNGEN AN DIE
AUSSTATTUNG EINER ILLUSTRIERTEN KUNSTZEITSCHRIFT

NSER Zeitalter der Erfindungen hat auch die Mittel zur Wiedergabe von
Kunstwerken ausserordentlich vermehrt. Zum Holzschnitt und Kupferstich,
den Techniken, welche die Renaissance gleichzeitig mit dem Buchdruck erfand
und welche in den folgenden Jahrhunderten in ihrer Weise entwickelt aber nicht
durch eigentlich neue Reproduktionsweisen bereichert wurden, hat unser Jahr-
hundert den Stahlstich, die Lithographie und in neuester Zeit, als wichtigste
Erfindung, die Photographie mit ihren verschiedenen Druckverfahren: der Helio-
gravüre, dem Lichtdruck, der Hochätzung u. s. f. hinzugefügt. Ein Werk mit künstlerischer Aus-
stattung, das heute erscheint, hat also gegenüber einem ähnlichen Werke, das etwa vor vierhundert
Jahren in den Offizinen von Venedig oder Basel gedruckt worden ist, viel reichere und sehr vervoll-
kommnete Hülfsmittel. Die Leistungen müssen also auch dementsprechend heutzutage sehr viel
bedeutender sein — so sollte man denken und so wird dem grossen Publikum in der Regel vor-
geredet. Wer einigermassen Bescheid weiss und ehrlich seine Meinung sagt, kann aber nur denen
recht geben, die behaupten, das Illustrationswesen und die künstlerische Ausstattung der Bücher und
Zeitschriften seien wohl zu keiner Zeit so stillos und im Allgemeinen so verwildert gewesen wie gerade
jetzt. Freilich stehen heute der künstlerische Charakter der Illustrationen wie die Mannichfaltigkeit
und die technische Vollendung in der Herstellung zweifellos meist auf einer sehr viel höheren Stufe
als vor etwa einem halben Jahrhundert, als der Steindruck und der Stahlstich die beliebtesten
Reproduktionsarten waren. Die hausbackene Nüchternheit, der unkünstlerische Sinn und das mangel-
hafte Können in den illustrierten Büchern jener Zeit machen uns heute die grosse Mehrzahl von
ihnen fast ungeniessbar. Aber wenn wir sie mit heutigen Werken verwandter Art ver-
gleichen, so werden wir ihnen den einen Vorzug einer ruhigen, einheitlichen Wirkung regelmässig
zugestehen müssen; und wenn ausnahmsweise ein wirklich genialer Künstler einmal der Illustration
seine volle Aufmerksamkeit zuwandte, wenn wir Werke wie die Ludwig Richter's, wie Menzel's
„Friedrich den Grossen" oder Rethel's Totentanz vor uns haben, so wird es uns schwer werden,
solchen Leistungen etwas Gleichwertiges aus unserer Zeit- an die Seite zu stellen. Jene Künstler
haben bei aller Einfachheit ihre wenigen Mittel noch ganz stilvoll und gross zu handhaben gewusst,
während namentlich im letzten Jahrzehnt die neuen Mittel in solcher Fülle sich dargeboten haben,
dass die künstlerische Kraft unserer Zeit nicht im Stande war, sie richtig anzuwenden und stilvoll
auszubilden; sie haben vielmehr noch zu einer Verwilderung der guten alten Techniken geführt.

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