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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 28.1918

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Heft 3/4
DOI Artikel:
Fischer, Max: Adalbert Stifter: (zu seinem 50. Todestage - 28. Januar 1918)
DOI Artikel:
Hausdorff, Otto: Das Werk August Halms
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https://doi.org/10.11588/diglit.26488#0079

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Ädalbert Etister.

nacy einer Aeit Wasser zum Trinken." Alleö Geschehen
muß berichtet werden, denn alle diese kleinsten Dinge
geben in ihrer geruhigten Summierung das Wesen deS
menschlichen Handelns wieder. Es wäre, so mußte Stifter
empfinden, Willkür und Hochmut, zu sagen, die Fütterung
des Pferdes sei nicht „wichtig". Jedes Körnchen Sand,
so würde er solcher Einwendung begegnen, hat denselben
Wert, jede Welle hat den gleichen Anspruch auf Beachtung.
„Wenn wir die Menschheit in der Geschichte wie einen
ruhigen Silberstrom einem großen Aiele entgegengehen
sehen, so empfinden wir das Erhabene, das vorzugsweise
Epische. Aber wie gewaltig und in großen Zügen auch
das Tragische und Epische wirken, wie ausgezeichnete
Hebel sie auch in der Kunst sind, so sind es hauptsächlich
doch immer die gewöhnlichen, alltäglichen, in Unzahl
wiederkehrenden Handlungen der Menschen, in denen
dieses Gesetz am sichersten als Schwerpunkt liegt, weil
diese Handlungen die dauernden, die grünenden sind,
gleichsam die Millionen Wurzelfasern des Baumes des
Lebens."

Jn diesem Bekenntnis liegt die eigenartige Kraft
und zugleich auch die Begrenztheit der Kunst Stifters
verborgen: ein Dichter, der die kleinen unscheinbaren
Dinge des Alltags in ihrem kosmischen Zusammenhang
und ihrer tiefen Schönheit entdeckt, aber der so umfangen
bleibt von dem Reiz der kleinen Dinge, daß er nicht ge-
staltende Wucht findet, dramatische Schicksale zu ver-
lebendigen. Daher schenkt die Lektüre Stifterscher Werke
eine köstliche innerliche Harmonie, aber auf die Dauer
ermüdet der Gleichklang des behäbigen Tempos.

So ist in gewissem Sinne das Kleinbürgertum Sym-
bol für die Ausmaße Adalbert Stifters. Ein warmherziger
und sympathischer Dichter, dessen seelische Jntensität
bei aller Jnnerlichkeit zum monumentalen Werke nicht
ausreichte. Stifter hat das selbst empfunden und einmal
in einem seiner Briefe diesen Satz geschrieben, der noch
heute seine Gültigkeit hat: „Unsere Literatur liegt im
argen, und ein Mann, der mit mir die Einfachheit und
das sittliche Bewußtsein gemein hätte, mir aber an Dicht-
begabung weit überlegen wäre, sollte aufstehen: er
würde ein Erneuerer unserer gesunkenen Kunst sein
und die Ehre des Jahrhunderts retten." f762sj

as Werk August Halms.

Die Anzeichen mehren sich, wonach die Musiker
innerhalb ihrer Aunft sich nicht mehr wohl fühlen. Daö
Verlangen nach Neuem, übersättigt, hat sich zu dem
nach dem Erneuerer verwandelt und veredelt. Wenigstens
läßt dies und jenes sich so auslegen, was sogar schon
in Tageszeitungen laut wird. Jch nenne als Beispiel
Paul Bekkers Aufsatz in der Frankfurter Aeitung*) über
die Aussichten „musikalischer Neuzeit". Hier spricht der
Autor des Buches „Beethoven" in einer Weise, als ob
er der von ihm selbik früher ausgiebigst gepflegten
Hermeneutik und natürlich auch der deutbaren, pro-
grammatisch verständlichen Musik müde und satt wäre:
nicht Musik verstehen, sondern Musik hören sei des
Hörers Aufgabe, so schließt er. Dürfen wir aus seinen

*) 1. Morgenblatt vom 29. Juli 1917.

Ausführungen und anderen ähnlicher Richtung herauö-
lesen, daß der Wille zu Besinnung, zu Umschau und
letztlich zu Führung wieder erstarkt? Zwar wir wissen,
daß manche in die Ferne ausschauen und rufen, während
der Erfüller ihrer Wünsche ein paar Schritte hinter
ihnen leibhaftig steht und wartet, bis er helfen kann,
bis seine Bitte darum, helfen zu dürfen, gehört wird,
und wir wissen damit, daß manche guten und frommen
Wünsche ängstlich und ungläubig, ja daß sie im Grunde
Mlßverständnisse der Wünschenden sind. Aber vielleicht
ist es auch nur böser Iufall, wenn sie dem Helfer den
Rücken kehren. Und um dieses Vielleicht willen müssen
wir sie anrufen. Außerdem aber: es gibt nicht nur
Musikzünftler, sondern auch Musikfreunde, die immer
mehr die Unzulänglichkeit der Beruflichen und, ach, so
selten Berufenen erkennen. Ein solcher Freund der
Kunst will nun versuchen, auf einen von jenen — „immer
mal wieder" — angerichteten Schaden aufmerksam zu
machen und ihrer ungenügenden Einsicht beizuspringen.
(Ja, war das nicht von jeher das Amt der Musikfreunde,
der „Dilettanten", gegenüber den Künstlern?)

Wenn wir nun aber auf das Werk August Halms
aufmerksam machen als auf eines, das Willen und Be-
stimmung in sich trägt, Ersehntes zu gewähren, nämlich
eine neue Aeit der Musik heraufzuführen: so sind wir
zum Glück dabei nicht allein auf die musikberuflichen
Kreise angewiesen, sondern könnten als Musikfreunde
vorerst auch einmal unter uns bleiben. Denn Halm
hat schon manches veröffentlicht und noch mehr ge-
schaffen, was viele ohne die beruflichen Vermittler
spielen und lesen können; ja er hat, je mehr man ihn
innerhalb des „Kollegentums" warten ließ und hintan-
setzte, desto mehr den Stil und Weg der direkten Rede
an uns gefunden. Aber so oder anders: es geht nicht
mehr an, schweigend, geschlossenen Auges an einem
Schaffen vorüberzugehen, das die Elemente, aus denen
Kunik erwächst und sich nährt, wie ihre letzten vollendetsten
Blüten umspannt.

I.

„Nicht Musik verstehen, sondern Musik hören" — wer
wollte dieser Forderung widersprechen, der den Zustand
unserer Offentlichkeit kennt? Wen packt nicht Ver-
zweiflung fast bis zum Ekel, wenn er ein Publikum er-
griffen, begeistert sieht von einer Musik, die es kaum
zur Hälfte hört? Rührt nicht die Verkennung Bruckners,
Mahlers eben daher, daß ihre Musik — vor allem fürs
Hören bestimmt — nur dem sich offenbart, der geübt
ist, vertikal und horizontal, Gleichzeitlges und Ent-
ferntes, Klang und Bezug aufzufassen? Und fehlt neben
der Kultur nicht auch die Unmittelbarkeit, die Unschuld
des Ohrs? (Was nicht der Gegensatz, sondern die Grund-
lage jener Kultur ist.) Wir meinen jene Freude am
Ton, an dem einfachsten musikalischen Geschehen, an
den Urkräften wie an den eigenen Schwebungen und
Färbungen eines Jnstrumentes, wie sie sich in Bruckners
Anfängen und Abschlüssen, in Mahlers Jnstrumentation
ausspricht. Statt dessen begnügt man sich mit dem
Grau in Grau unorganisierter Dissonanzen, eines alles
vermischenden Orchesterklanges. Jndessen — solche
Klagen sind billig und unfruchtbar zugleich. Wichtiger
ist es, auf Abhilfe zu denken. Und da ist klar: Eine Ge-



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