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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 28.1918

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Heft 9/10
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Fries, Heinrich de: Architektur
DOI Artikel:
Weller, Eugen: Über Goethes unbekannte Librettodichtungen
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https://doi.org/10.11588/diglit.26488#0213

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Ordnung raumlicher Bilder gedacht wird, verwandelt
sie sich auch in Raum. Der Geist kann sie vor sich selber
nur dadurch noch besonders ausdrücken, daß er räumliche
Bilder desselben Vorganges, Phasen, die sich ausschließen,
neben- oder schnell nacheinander denkt. Die Schildereien
alter Maler, aus denen nebeneinander eine ganze Ge-
schichte in Szenen gemalt ist, geben genau wieder, wie
wir die Zcit als Raum vorstellen, und sind eigentlich
ganz futuristische Malerei. Wir denken die Aeit als Raum
mit einem ähnlich großen Gefühl, wie es die Vorstellung
von Weite, Höhe, Tiese begleitet. Es gibt keine Aeit
in der bloßen Vorstellung, nur Raum. So wird dem
Dichter nicht nur alles Gesehene in der dunkelgroßen,
hallenden Akustik seines Jnneren, alles Gehörte, alleS
Getast, der Leib und die Gefühle zu Raum; innerer
Raum nimmt für ihn auch alle Schicksale, Begebenheiten
und die im Leben zeitlich sich wandelnden Charaktere
auf, die dadurch, daß keine Ieit in der Vorstellung ist,
gestaltbar, formbar, körperhafte Figur werden."

Die Architektur ist eine Musik, die die Aeit überwunden
hat, die zeitlos geworden ist. Die Akkorde der Körper,
ihre Rhythmen, ihre Dissonanzen und Harmonien
sind immer um uns. Sie sind die Töne eines ewigen
Liedes, das uns unaufhörlich begleitet. Jn ihnen finden
wir alles, was unsere Herzen bewegt: Größe und Stille,
Leidenschaft und Heiterkeit, das Lächeln des Schmerzes
und der Freude, die Qual, die Not und die letzten Ver-
zückungen der Sinne und des Geistes.

Die Bereicherung, die das Leben durch die stumme
Musik der Körper erfahren könnte, ist beinahe unfaßbar.
Au denken, daß die Kunst nicht mehr eine Angelegenheit
einzelner Slunden und besonderer Bedingungen ist,
zu denken, daß sie unser Leben unaufhörlich durchdringen
und gestalten könnte, daß der tiefere Sinn, dic Sehnslicht
und der Wille unseres Dascins Formen annehmen könnte,
die uns immer begleiten und niemals verlassen, das alles
könnte unsere Seele mit einer tiefinnigen ncuen Freude
zum Leben erfüllen. Denn nun wissen wir endlich, daß
wir niemals mehr einsam sein werden.

Wenn wir so alle unsere Tage und Stunden mit dem
leuchtenden Widerschein der Kunst zu erfüllen vermögen,
so werden wir mit beglückter Seele die unendliche Fülle
von Schönheit erfassen, die die Architektur der ringenden
Sehnsucht unserer innersten Menschlichkeit offenbart.
Aus der tiefsten O.ual, aus dem ungeheuren Ringen der
dunkelsten Stunden des Menschentums glüht uns die
Morgenröte einer neuen Welt entgegen im verheißenden
Lichte einer neuen Kunst. Werfels ekstatische Rhythmen,
Hasenclevers erschütterndes Drama der ringcnden Ju-
gend, dieser slammende Aufruf zur Revolution des
Geistes, Romain Rollands wunderbares Werk von
Johann Christoph, dem Vorlaufer einer neuen euro-
päischen Menschlichkeit, das sind Aeugnisse eincs leiden-
schaftlichen heroischen Jdealismus, aus dessen Flammen
eine neue Welt der seelischen Jnbrunst und der allum-
fassenden Liebe emporzusteigen beginnt.

Jm Rahmen dieser großen Jdee harrt auch der
Architektur die große Aufgabe, zu ihrem Teil mitzu-
bauen an eines neuen Lebens neuzugestaltender Form,
an einem neuen Glauben und an einer neuen Schönheit.
f?77^ H. de Fries.

/x/x

H ^ber Goethes unbekanute Libretto-
dichtungen.

Literarhistorische Mitteilungen von I)r. Eugen Meller.

. . Von allen schvnen Warcn,

Aum Markte hergefahren,

Wird keine mehr behagen
Als bie wir Cuch getragen
Aus fremden Ländern bringen.

O höret, was wir singen,
llnd seht die schönen VLgel —

Sie stehen zum Berkauf ..

So lautet der erste Vers von Goethes fünfstrophigem
Scherzgedicht: „Wer kauft Liebesgötter?", das ursprüng-
lich alü Wechselgesang zwischen Papageno und Papa-
gena in Goethes Tertbuch zum zwciten Teil der Mozart-
schen „Iauberflöte" gedacht war. Obmohl die Arbeit an
die Fortsetzung von Schikanedcrs Libretto sich, wenn auch
mit großen Unterbrechungen, während mehrerer Jahre
hinzog, kam schließlich doch nur ein Fragment von etwa
dreißig Seiten Oktav zustande. Doch sind diese wenigen
Seiten der Ausdruck eincs ernstlichen und lange geheg-
ten Wunsches, der niemals verwirklicht werden sollte,
gleichwie sie auch iur Sinne cincr Vorarbeit zum Faust
als sehr bedeutungSvoll anzusehen sind, wie richtig
Lindholm in seinen Studien ausführt. Jener fromme
Wunsch des Weimarer Muscnsohnes war der, die
deutsche Oper mit cinem Werk zu beschenken, zu dem er
selbst dcn Tert geschrieben hätte. Doch keiner der Ver-
suche des Dichterfürsten, diese scine Lieblingsidee zu
verwirklichen, führte zu einem Ergebnis: sei es nun,
daß er nicht den rechten Kompvnisten oder nicht den
rechten Tert finden konnte. Sowohl in Jtalicn wie nach
seiner Heimkehr beschäftigte sich Goethe damit, ein
Libretto zu dichten, doch verolieb alles, was er in dieser
Hinsicht unternahm, bei fragmentarischcn Entwürfen.

Jm Jahre 1787 skizzierte er in Rom cine „Opero
dutta", deren Hauptmotiv der berühmten Halsband-
geschichte entnommen war; daraus wurde später das
Lustspiel „Der Großkophta". Wenige Jahre später ergab
die Übernahme der weimarischen Theaterlcitung durch
Goethe einen direkten Anlaß für den Dichter, dem Sing-
spiel seine besondere Aufmerksamkeit zuzuwenden. So
bearbeitete er zusammen mit Vulpicis mehrere ältere
deutsche Terte zu italienischen und französischen Opern.
Auf diese Weise kamen als Einlage zu Cimarosas „Jm-
pressario" die prachtvollen Lieder „Die Spröde" und
„Die Bekehrte" zustande. Jm Jahre 1794 bearbeitete
Goethe das Libretto einer anderen Oper desselben
Komponisten: „De Irains cleluss" und begann den Tert
zu Anfossis: „l.u ma§u Lirce" zu bearbeiten, gelangte
jcdoch zu keinem Abschluß dieser Opernbücher. Während
er an diesen Tertverbesserungen arbeitete, gewann
indes der Gedanke, einen eigenen großen Operntert zu
schreiben, wie er mehr als einnial in seinen Briefen an-
deutet, immer mehr Macht über ihn.

Da wurde im Jahre 1794 Mozarts „Aauberflöte"
in Weimar mit ungeheuerem Erfolge aufgeführt. Die
klangvolle Oper machte einen mächtigen, anhaltenden
Eindruck auf Goethe, und zwar war dieser nicht allein
Mozarts volltönenden Musik, sondern auch Schika-


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