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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 28.1918

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Heft 9/10
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Weller, Eugen: Über Goethes unbekannte Librettodichtungen
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https://doi.org/10.11588/diglit.26488#0214

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Über Goethes unbekannte Librettodichtungert.

neders Tert zuzuschreiben. Das geht deutlich aus
Goethes „Märchen" hervor, das im Jahre 1795 unter
dem unzweifelhaften Eindruck der Oper geschrieben
wurde. Noch dreißig Jahre spätcr äußerte Goethe zu
Eckermann, das Libretto der „Aauberflöte" sei zwar
gewiß mit Unwahrscheinlichkeiten gespickt, die nicht alle
gutzuheißen seien, doch habe der Verfasser gleichwohl in
hohem Grade die Kunst verstanden, durch Gegensätze
und große Theatereffekte zu wirken. Wenn man bedenkt,
daß Goethe die Sache vom Standpunkt des Theater-
direktors ansah, dcr Nücksicht auf die Wünsche des Publi-
kums sowie auf die Neigung der Schauspicler zu nehmen
hatte, neue und komplizierte Stücke zur Darstellung zu
bringen, wenn man weiter die Schwierigkeiten bedenkt,
eine neue Oper zu dichten, die einen erfolgreichen Wett-
bewerb mit der „Aauberflöte" aufnehmen konnte, so
kann man sich leichter in Goethes merkwürdige Jdee
hineindenkcn, aus dieser Oper die Grundlage zu einer
neuen Arbeit zu gewinnen, die eine Fortsetzung von
Schikaneders Tert darstellen sollte.

Jm Jahre 1795 wurde die Arbeit in Angriff ge-
nommen. Ein Jahr später wandte sich der Wiener
Musiker Wranitzky, der vom Libretto erfahren hatte,
mit der Bitte an den Dichter, ihm die Kompositioncn
zum zweiten Teil der „Iauberflöte" zu übertragen.
Goethe teilte Wranitzky auch seine Bedingungen mit,
doch führten die Verhandlungen zu keinem Ergebnis,
und die Arbeit blieb drei Jahre lang liegen. Da kam
Jffland nach Weimar. Auch er hatte von Goethes
Plan reden hören, und er äußerte den Wunsch, das
Libretto für das Bertiner Hoftheater zu erwerben.
Goethe war einverstanden und nahm unmittelbar
darauf die Arbeit wieder auf, wie er an Schiller schrieb.
Dieser drmunterte seinen väterlichen Freund nicht,
sie fortzusetzen, und so blieb das Buch ein Fragment;
in dieser Form gelangte es im Jahrgang 1802 von
Willmanns „Taschenbuch" zum Abdruck. Mar Morris
hat in seinen Goethestudien versucht, Goethes Aauber-
flötentert auf Grund des Fragmentes völlig auszu-
bauen. Nach seiner Fassung, die zweifellos das Richtige
getroffen hat, bildet der Sieg des Lichtes durch Iarastos
Eingreifen den Schluß der Oper. Nach Goethes eigener
Erklärung sollte das Gedicht ein „komisch-heroisches"
Drama werden, mit welchem er „dem Komponisten das
weiteste Feld öffncn wollte, indem er alle Möglichkeitcn
der Dichtkunst, von dem sublimsten Gedanken an bis
zum barockesten Scherz erschöpfen wollte ..." Besonders
angelegen ließ er sich sein, die Kontrastwirkung zustande
zu bringen, die ihn in Schikaneders Tert so stark ange-
sprochen hatte. Ein Beispiel dafür ist die Szene des
Fragments, in der Papagenos Flötenspiel Taminos
und Paminas Verzweiflung in überschäumendes Glück
verwandelt.

Jn dem vom 9. Mai 1798 datierten Brief an Schiller,
an dem Goethe von seiner Wiederaufnahme der Arbeit
an der „Aauberflöte" spricht, äußert er sich ziemlich
geringschätzig über „. . . die simple Komposition, die man
abbrechen und fortsetzen kann, wie es einem gefällt . . ."
Dieser Ausspruch berechtigt indessen nicht dazu, gering
von dem Fragment zu denken. Auch über „Faust"
hat sich Goethe des öfteren geringschätzig ausgelassen.

Mag man nun jedoch über der „Sauberflöte zweiten
Teil" denken, was man wolle, so wird man ihr immer
eine große Bedeutung durch den Einfluß zusprechen
müssen, den sie auf Goethes innere Entwicklung ausgeübt
hat. Dcnn die Fortsetzung der „Aauberflöte" kann füg-
lich alü eine Art Studie zum „Faust" betrachtet werden.
Goethe selbst deutet in dem erwähnten Brief an, daß
die Arbeit „. . . ihm die Stimmung zu etwas Besserem
bereite ..." Das ist so zu verstehen, daß er seine Dichtun-
gen als Stufen betrachtete, auf dcnen er zu immer hö-
heren und reineren Stimmungen emporstieg. Au jener
Aeit wcilte er meist in der phantastischen, von hellenisti-
schen Jdealen erfüllten Welt, in der „Fausts zweiter
Teil" spielt. Die Beschäftigung mit der „Aauberflöte"
öffnete ihm in gewisser Wcise die Pforten zum Rciche
der Geister. Es ist denn auch unschwer zu verfolgen,
wie die Faustdichtung sich aus gewonnenem Stoff ent-
wickelte, wie wichtige Motive für die Fortsetzung der
Dichtung herangezogen wurden. Das geht aus der
handgreiflichen Ubereinstimmung zwischen der „Faust"-
Dichtung und dem „Aauberflöten"-Fragment unzwei-
deutig hervor. Das Verwandtschaftsverhältnis zwischen
den Gruppen Tamino, Pamina, Genius eincrseits
und Faust, Helena, Euphorion anderseits läßt sich bei-
spielSweise nicht forträsonieren. Jn beiden Dichtungen,
sowohl im „Faust" wie in dem Fragment, hat ferner der
Bannerträger der edlen Menschheit harte Prüfungen
zu bestehen, und hier wie dort führt der Dichter das
Prinzip des Guten zum Siege.

Goethes lebhaftes Jntercsse für die zu vertonende
Dichtkunst erlosch niemals. Während er noch an der
Fortsetzung der „Aauberflöte" arbeitete, entwarf er
bereits den Plan zu einem Singspiel: „Faust" und „Die
Danaiden", in dem der Chor eine ebenso hervorragende
Rolle spielen sollte, wie in der antiken griechischen Tra-
gödie. Als Goethe durch Aelter aus Berlin von der
lebhaften Teilnahme des musikpflegenden polnischen
Fürsten Anton Heinrich Radziwill (1775 — 1883),
den der Dichter während seines Karlsbader Besuches
(1806) kennen und schätzen gelernt hatte, die dieser fürst-
liche Komponist betätigte, vernahm, hegte der Weimarer
„ . . .aufrichtige Genugtuung über diesen neuen Beweis
inniger Sympathie von polnischer Seite . . .", wie es in
seiner Antwort an Aelter heißt. Am 1. April 1814 be-
suchte Radziwill den greisen Dichter in Weimar, welcher
am folgenden Tag über ihn an Knebel schrieb: „. . . daß
er der erste Troubadour sei, der ihm vorgekvmmen, ein
kräftiges Talent. Ein Enthusiasmus, ja, wenn man
wolle, etwas Phantastisches zeichne ihn aus, und alles,
was er hcrvorbringe, habe cinen individuellen Cha-
rakter . . ." Wie uns F. A. Gotthold, R. L. Rellstab,
F. Brandstälter, G. Karpcles und Fr. Förster berichten,
beschäftigten nahezu fünf Jahre die vielen Proben und
Geheimaufführungen des „Faust", die Fürst Radziwill
gemeinsam mit Goethe leitete. Auf das eifrige Be-
mühen des polnischen Tondichters ist es dann zurück-
zuführen, wenn im Jahre 1819 am Berliner Hofe der
Entschltlß gefaßt wurde, den „Faust" aufzuführen, wie
er „leibt und lebt". Jn Gegenwart des Königs und des
preußischen Hofes fand die erste „kunstreiche" Auffüh-
rung statt . . .
 
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