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Nr. 134 des „Wahren Jacob" gelangt am 12. September 1891 zur Ausgabe

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- 1084 -

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Zjluf dem Vereinigungskongrcß der deutschen Sozialdemokratie zu Gotha
im Mai 1875 trat als Redner öfters ein Mann auf, der mit ungemeiner
Wärme und Begeisterung sprach und dadurch die Aufmerksamkeit der Ver-
sammlung auf sich zog. Unter dickem krausen tiefschwarzen Haar sah ein
schmales, todtblasses Antlitz mit glühenden schwarzen Augen hervor. Die
gebrochene Gestalt und die heisere Stimme deuteten an, daß die Zerstörung
des Organismus durch die „Proletarierkrankheit" schon weit vorgeschritten
war. Dennoch war dieser Delegirte einer der Eifrigsten bei den Verhandlungen.

Es war Klaas Peter Reinders, den die Arbeiter von Breslau auf den
Kongreß gesandt hatten.

Reinders wurde zu Emden in Friesland am 6. September 1847 ge-
boren. Die Roth, die ihn sein ganzes Leben hindurch verfolgte, stand schon
an seiner Wiege. Um trotz eines völlig aufreibenden Kampfes ums Dasein
zu einer hervorragenden politischen Rolle zu kommen, dazu gehörte eine so
außerordentliche Zähigkeit, wie sie Reinders besaß, und die an die Ausdauer
und Hartnäckigkeit erinnerte, mit der die alten Friesen an ihren demokratischen
Freiheiten sesthielten.

Reinders besuchte die gewöhnliche Volksschule und kam dann zu einem
Tischler in die Lehre. Nach Ablauf der Lehrzeit ging er auf die Wander-
schaft und arbeitete in verschiedenen Städten. In Bremerhaven war es,
wo er zuerst die sozialdemokratische Bewegung kennen lernte. Er widmete
sich ihr sofort mit glühendem Eifer und suchte sich in den Versammlungen
Redegewandtheit zu erwerben, um jene Thätigkeit aufnehmen zu können, zu
der ihm sein ganzes Wesen hinzog: für die Partei zn wirken und zu werben.

Zunächst begeisterte er sich an den Schriften
Laffalle's und lernte die Arbeiterbewegung in
Hamburg und Berlin kennen.

Ohne Auftrag, ganz aus eigenem Antrieb,
kam Reinders zu Anfang des Jahres 1872 nach
Breslau. Die Sozialdemokratie war damals noch
in zwei sich bekämpfende Richtungen zerspalten;
es waren die Lassalleaner oder der Allgemeine
deutsche Arbeiterverein und die sogenannten
Eisenacher, der deutsche Zweig der internationalen
Arbeiter-Assoziation. In Breslau hatten nur
die Eisenacher eine Organisation zu Stande ge-
bracht, die in Folge des Krieges von 1870 sehr
zusammengeschmolzen war. Reinders, ein eifriger
Lassalleaner, fand es unerhört, daß in Breslau,
der Vaterstadt Lassalle's, keine Mitglieder des
Allgemeinen deutschen Arbeitervereins in einem
Verein beisammen waren, und er unternahm es,
die zerstreuten Anhänger des großen Agitators
wieder zu sammeln. Es gelang ihm auch und
in hartnäckigem Kampfe mit den damals in
Breslau dominirenden Hirsch-Duncker'schen Ge-
werkvereinen, sowie mit den „Eisenachern", brachte
Reinders eine Mitgliedschaft des Allgemeinen
deutschen Arbeitervereins zusammen. Schon nach
einem Jahre, nachdem Reinders in mehreren sehr
stürmischen Versammlungen mit Erfolg als Redner
aufgetreten, war die Mitgliedschaft sehr stark; die Gesangsabtheilung zählte
allein 60 Mitglieder.

Reinders, unermüdlich thätig, trug die Agitation auf die Dörfer hinaus und
bald waren auch die Verbindungen mit den alten Lassalleanern im Gebirge
wieder angeknüpft.

Bei alledem lebte er in bitterem Elend, wobei er aber eine über alles
Lob erhabene Uneigennützigkeit bewies. Nachdem sein Name der Bourgeoisie
bekannt geworden, ward er aus die schwarze Liste gesetzt. Kein Fabrikant
und kein Meister gab dem Geächteten mehr Arbeit. Rasch erlernte er das
Photographiren und errichtete ein photographisches Atelier, durch welches
er sich nothdürftig ernährte. Die besitzenden Klassen und die Spießbürger
hatten sein Geschäft boykottirt und die Arbeiter haben immer nur wenig
für Luxusartikel ausgeben können. Das Dasein von Reinders blieb in Bezug
auf pekuniäre Mittel ein sehr trauriges, aber sein Eifer für die sozialistische
Agitation ließ nicht nach.

Die Breslauer Arbeiter verdankten ihm ihr erstes Preßorgan. Er hielt
die Parteiorganisation für kräftig genug, um ein solches Organ über Wasser
halten zn können. Aber er konnte keinen Drucker finden, denn alle fürchteten
sich vor der Bourgeoisie. Reinders' Energie half über alle diese Schwierig-
keiten hinweg und er brachte eine Genossenschaftsdruckerei zu Stande, in der
das erste sozialdemokratische Blatt Schlesiens, „Die Wahrheit", erschien, die
sich bald eines Abonnentenstandes von 10 000 erfreute.

Auch bei den Reichstagswahlen begann die schlesische Sozialdemokratie
nach und nach Erfolge zu erringen. 1871 waren für sie in Breslau nur
einige hundert Stimmen abgegeben worden. Aber schon 1877 kam die Partei
in Breslau im Ost- und Westkreis in die Stichwahl und unterlag mit sehr
starken Minoritäten. Im Wahlkreise Reichenbach-Neurode siegte die Sozial-
demokratie.

Die Attentate und die Reichstagsauflösung von 1878 kamen, Neu-
wahlen wurden ausgeschrieben und Reinders kandidirte diesmal im Ostkreis.
Trotz aller Anstrengungen der Gegner kam er mit einem Nationalliberalen
in die Stichwahl und siegte über denselben mit 9771 gegen 9316 Stimmen.
Der Jubel über diesen ersten Sieg der Sozialdemokratie in der schlesischen

Hauptstadt war ungeheuer und mit Recht wurde Reinders ein Hauptverdienst
an diesem Erfolge zugeschrieben.

In dem Reichstage, der das famose Sozialistengesetz annahm und damit
die „Aera Puttkamer" eröffnete, ließ auch Reinders seine Stimme hören.
Er griff das Bismarck'sche Regiment scharf an. Die Nationalliberalen, die
ihm zuhörten, lachten einmal darüber, daß er „mir" und „mich" verwechselte,
was bei vielen Leuten vorkommt, und was bekanntlich dem Feldmarschall
Wrangel zeitlebens passirt ist. Reinders aber brachte die Lacher sofort zum
Schweigen, indem er ihnen entgegenrief: „Lachen Sie doch nicht über
mich, sondern über die Schulbildung, die Sie dem Volke zu
Theil werden lassen!"

Das Sozialistengesetz kam und in Breslau, wo immer eine sehr schneidige
Polizei gewesen, brachen schwere Zeiten über die Partei herein. Das Arbeiter-
blatt wurde verboten und die Partei mußte sich auflösen. In der ersten
Zeit war sie von der Oeffentlichkeit völlig abgeschnitten. Reinders verzagte
auch in dieser schlimmen Periode nicht und bot den Verfolgungen Trotz.
Aber seine Krankheit hatte inzwischen seine Kräfte aufgezehrt, sonst wäre er
wohl auch unter dem Sozialistengesetz der Mann gewesen, den Kampf mit
der Polizei zu führen.

Er hatte schon in früheren Jahren den Beweis geliefert, daß er sich
durch Polizeichikauen nicht einschüchtern ließ und hatte bei den Häkeleien mit
den Behörden viel Schlagfertigkeit und Mutterwitz gezeigt. Er hatte der
Polizei viel zu schaffen gemacht.

Nachdem 1874 der Allgemeine deutsche Arbeiterverein aufgelöst worden
war, und zwar durch den bekannten Staats-
anwalt Tessendorf, löste die Breslauer Polizei
schier alle sozialdemokratischen Versammlungen
als „Fortsetzungen des verbotenen Vereins" gleich
bei der Eröffnung auf. Wenn die Polizei aber
gehofft hatte, damit so leicht fertig zu werden, so
irrte sie sich. Reinders hatte bald eine durchaus
originelle Gegenmaßregel ausgedacht. Er studirte
genau das Vereinsgesetz, und so wurden häufig
au einem Abend drei Versammlungen, mit je
einer Stunde Zwischenzeit, angemeldet. An
Sonntagen waren es sogar sieben Versamm-
lungen. Nach der Auflösung der ersten Ver-
sammlung entfernten sich die Besucher und kamen
nach kurzer Zeit wieder zur folgenden und so
weiter. Die Polizei sollte nun die Namen der
eifrigen Versammlungsbesucher feststellen, was ihr
nicht leicht ward und ein großes Aufgebot von
Mannschaft erforderte. Die Polizei war manchmal
ganz erschöpft von der „Sonntagsarbeit."

In einer Versammlung auf dem Lande, in
der Reinders sprach, erschien der Amtsvorstcher,
um die Versammlung zu überwachen, in Be-
gleitung zweier Gendarmen. Da der Amtsvorsteher
in Zivil war, fragte Reinders, wer denn eigentlich
die Versammlung überwache. Der Amtsvorsteher
meldete sich. Aber Reinders, der zugleich präsidirte,
sagte, er kenne den Herrn nicht und müsse eine Legitimation verlangen.
Der Amtsvorsteher, ganz unwillig, ließ von den Gendarmen seine Persön-
lichkeit rekognosziren und glaubte nun den Zwischenfall erledigt. Er kannte
Reinders aber nicht. Denn dieser berief sich nun auf das Vereinsgesetz,
nach dem die Versammlung nur von zwei Beamten überwacht werden
sollte. Die drei Beamten wußten nicht, was ansangen, worauf Reinders
ihnen zurief, er überlasse den Herren, sich über den Ueberflüssigsten
unter ihnen zu verständigen. Es zog denn auch wirklich der eine Gendarm
ab, begleitet von der ungeheuren Heiterkeit der Versammlung, die dann
ungestört ihren Verlauf nahm.

Reinders hatte zu wenig an sich selbst gedacht, denn bald nach seiner
Wahl wurde sein körperlicher Zustand so bedenklich, daß man die Katastrophe
voraussehen mußte. Er suchte nun endlich Heilung in der reinen Luft des
schlesischen Gebirges, aber es war schon zu spät. Die Krankheit, der Kampf
mit dem Mangel und die unermüdliche Thätigkeit für die große Sache der
Arbeiter hatten die Kräfte des nur zweiunddreißigjährigen Mannes vor der
Zeit aufgezehrt. Er starb am 22. Mai 1879 und wurde, gefolgt von einer
unübersehbaren Masse von Arbeitern, auf dem Friedhof der resormirten
Gemeinde begraben.

Die Aera Puttkamer konnte den Todten nicht zur Grube fahren lassen,
ohne der Welt ein Schauspiel zu geben, wie es ihrer würdig war. Während
der Sarg noch in der Wohnung des Verblichenen stand, erschien die Polizei
behelmt und besäbelt und nahm eine sehr gründliche Haussuchung vor.
Sie wird die letzte Ruhe des tapferen Kämpfers nicht mehr gestört haben.

Reinders ist einer der vier bekannten Sozialisten, die durch ihre politische
Thätigkeit mit Breslau verknüpft waren und nun leider der Arbeiterbewegung
durch den Tod entrissen sind; ihm folgten im Tode Julius Kräcker, Max
Kayser und Wilhelm Hasenclever.

Reinders war ein echter Sohn des vorwärts strebenden deutschen Prole-
tariats, dem er diente, so lange er konnte, und für dessen Befreiung er bis
zuletzt eingetreten ist.

Die herrschenden Klassen haben ihn mit ihrem Hasse verfolgt; die deutschen
Arbeiter werden ihm ein liebreiches und dankbares Andenken bewahren.

Verantwortlich für die Redaktion: Georg Baßler in Stuttgart. — Druck und Verlag: I. H. äß. Dietz in Stuttgart.
 
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