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Nr. 134.

Preis pro Nummer 10 Pf.

1891.


Erscheint alle 14 Tage einmal.

Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Kolporteure, sowie durch die Post (eingetragen unter Nr. 6491),
in Berlin auch durch jeden Zeitungsspediteur und Zeitungsverkäufer.

Blitzdrahtmeldungen.

Berlin. Caprivi läßt sich noch immer nicht bewegen, die Kornzölle
aufzuheben. Es verlautet, er werde für diese seine Festigkeit demnächst
zum Vize-Herzog von Lauenburg ernannt werden.

Trier. Um Ablaß beim heiligen Rock haben ersucht: BiSmarck für
seine Zollpolitik, Eugen Richter für seine „Irrlehren der Sozialdemo-
kratie," Kardorff für seine Parlamentsreden und Puttkamer für die Hand-
habung des Sozialistengesetzes; sie fürchten das höllische Feuer.

Bochum. Um dem großen Unfug der Eisenbahn-Unglücke entgegen

zu treten, verlangt man in hiesigen Eisenbahnkretsen, daß jeder Reisende,
der bei dem Zerbrechen geflickter Schienen und Entgleisungen betheiligt
ist, wegen Sachbeschädigung bestraft werde.

Monaco. Der Staat Monaco ist dem Dreibund beigetreten. Der
Frieden Europas ist dadurch endgiltig gesichert.

Schweiz. Rach dem Scheitern des Handelsvertrags mit der Schweiz
wird bei uns kein Schweizerkäse mehr eingeführt werden dürfen. Um
den Ausfall auszugleichen, erscheinen die „Hamburger Nachrichten" mit
einer diplomatischen Beilage.

Zum Erntefest.

ie Ernte hat ihr Werk gethan,

Es fand trotz Sturm und Ungrwitter
Das Kornzur Scheuer feine Bahn»

Und fröhlich tanzt das Volk der Schnitter.
War reich nicht der Ertrag, ist doch
Der Stern des Grundherrn nicht erloschen,
Denn nach den Garben werden noch
Die Konsumenten ausgedroschen.

Die Zollschlacht wird nicht eingestellt,
Caprivi duldrt's nicht mrd Miguel,

Bis aus des Armen Tasche fallt
Als Erntrfrucht der letzte Nickel.

Denn best're Ernte gab es nie,

Sie bringt das reichlichste Erwerben,

Auch kann nach Falb'scher Theorie
Kein nastrr Sommer ste verderben.

Nun geht zu Ende auch die Noch
Des Grundbesitzers, dieses Armen,

Der nach der Zöllner Zeugnitz bot
Ein Bild des Elends zum Erbarmen.

Er kann sich nun fein karges Wahl
Aufs Neue mit Champagner würzen.

Und beim Ballet im Oprrnfaal
Den langen Winterabend kürzen.

Er denkt nun wieder frohgestnnt
An das, was er entbehren lernte,

Und für fein braves Weib beginnt
Vielleicht die Diamanten-Ernte.

Die Diamanten leuchten hell,

Kein ernster Schatten ste verdunkelt,

Wan steht nicht, welch' rin Thränenquell
Des Volks aus solchen Steinen funkelt.

Am Spieltisch blitzt das blanke Gold,

Stets wird rin Spiel den Grundherrn freuen»
Ist ihm Fortuna hier auch hold,

Wird feine Ernte sich erneuen.

Doch wenn ein Anderer gewann,

So fügt er sich mit leichtem Herzen,

Was er so leicht erworben, kann
Er auch mit leichtem Sinn verschmerzen.

Der Grundherr führt ein gastlich Haus,

Und wer an feinem Tisch souxirtr»

Der fühlte unbedingt heraus,

Datz nie rin Nothstand rnistirte.

Es perlt der Wein so goldig roth,

Es tönen lieblich Grigenklänge,

Und Niemand hört den Schrei nach Brot,
Der hallet aus des Volkes Menge.

Doch nicht verstummen wird der Schrei,
Schlirtzt man auch noch fo fest dir Ohren,
Stets lauter wird er, keck und frei
Ertönen vor des Reichthums Thoren.

Hat jüngst vernommen ein Despot
Der Marseillaise Sturmesklingen,

So wird man bald das Lied vom Brot
Laut in Berlin dem Kanzler singen.
 
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