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Kladderadatsch in Paris: Humor und Satyre auf die Industrie-Ausstellung — Berlin, 1-5.1855

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https://doi.org/10.11588/diglit.2326#0011
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11

b'ourguoi?
krircs gll'il u'/ s xss äs ionstrs! Diese Apartements werden Iiors äs
1» snisoii cts I'sx^ositiou nur ßu Holzstall benütz'.
Und hier soll ich wohnen? Da muß ich ja des Nachts in meinem Bette
ersticken!
ck'ns äu tout, niousisur! Vous ns passsrsri pas !n uuit cknns oe lit,
puros czu'il sst cksjn oooups par cksux nutrss struuAsrs.
Jch soll doch nicht etwa gar aus dem Sopha liegen?
OIi uou, mousisur; Is soplill sst cksjll lous pour uus jsullS Lsllims,
<gui-
Aber, mein Gott, wo soll ich denn schlafen?
Das sein nicht meiner Sorgen! ü'sockriiit I'sxpositiou mussen gemakt
werden was gemakt werden kann!
(juslls bstiss!
8o)'SL trlllliguil, niousisur. Sie werden nicht bleiben lang ckaus ostts
obaiiibrs. Jck wsrden schon sorgen, daß man Jhnen logirt anderswo, und
Sie werden an mir denken! -
Mit diesen von einem vieldeuügen Schmunzeln begleiteten Worten empfahl
der Kellner stch bis auf Weiteres und überließ den Commercienrath dem nn-
gestörtesten Nachdenken über seine Lage, welche weder an llberraschender Neu-
heit noch an beneidenswerther Behaglichkeit von der eines, an die ungastlichen
Küsten menschenfrühstuckender Caraiben verschlagenen Europaers allzu weit ver-
schieden sein mochte. Je länger er sich in dieser imheimlichen Sitnation be-
sand, desto fremder und ungewohnter schien dieselbe ihm zu werden; und nnr
der Gedanke, daß es Lei dem nngeheuren Zudrang von Fremden ihm in einem
anderen Gasthofe vielleicht noch schlimmer gegangen wäre, verbunden mit der,
ällerdings etwas zweifelhaft klingenden Verheißung des Kellners, ihm sehr Lald
ein anderes Quartier besorgen zu wollen, konnte den Unglücklichen veranlassen,
den voraussichtlichen Schrecken der hereinbrechenden Nacht mit dem ergebenen
Mnthe des Christen und der Alles besorgenden Borsicht des pensionirten Jsrae-
liten entgegen zn gehen.
So eben war sein Hirn im Begriff, diesen Entschluß zu völliger Reife aus-
zübrüten, als eine unerwartete Erscheinung die Thätigkeit seiner Atome nach
etnsr anderen Richtung in Anspruch nahm. Der Commercienrath vernahm ein
unartikulirtes Poltern auf der Treppe, und durcki die schnell geöffnete Thür
„ohne anzuklopfen herein" trat eine ebenso lange als dünne Gestalt,
deren Tracht und Physiognomie auf den ersten Blick weniger den Menschen
als den Engiänder vsrrieth. Ohne ein Wort zu reden zog der Fremde Rock
und Weste aus. Die Lesonnene Ruhe, mit welchcr er fortfuhr, stch auch der
übrigen Kleidungsstucke zu entledigen, ließen in ihm den Einen der beiden, von
dem Kellner bereits erwähnten Bewohner des im Ziinmer befindlichen Bettes
vermuthen; und der gänzliche Mangel jedes Erstaunens über die nnverinuthete
Anwesenheit des Commercienraths sprach dafltr, daß dergleichen Begegnungen
dem ausländischen Besucher der Pariser Jndustrie - Ausstellung als etwas Ge-
wöhnliches und Alltägliches erscheinen mnßten.
Ehe der Commercienrath die zu dieser Reflexion nöthige Zeit gewinnen
konnte, Lezeugten zwei über die Bettpfostcn weit hiriausragende Schienbeine
nebst Zubehör, daß der Fremde stch auf seinem Nachtlager Lereits arrangirt
hatte; und als der gebildete Berliner stch zu einer, seiner Höflichkeit unerläß-
lich scheinenden Entschuldigungsrede ermannte, da rntwortete ihm der Brite
mit einem Schnarchen, wie es nur der tiefen Ruhe eines, durch fast zweihun-
dertjährigenBesitzderHabeas-Corpus-Acte gesichertenSchlummers entrasseln kann.
Noch betäubt von dem überwSltigenden Eindruck des eben Erlebten, glaubte
der Held unserer Geschichte neues Geräusch zu vernehmen, und wiederum öff-
nete sich die Thür einer noch räthselhafteren Erscheinnng. Diesclbe bestand aus
einem Bart, an welchem ein breitschultriger Mensch befestigt zu sein schien.
Nachdem er, sprachlos wie sein Borgänger, in das Zimmer getreten, warf er
sich auf einen Stuhl und begann seine Stiefel auszuziehen.


Der Commercienrath faßte sich ein Herz und redete den Fremden in dem
höflichsten Tone an: Darf ich fragen, mein Herr, was Jhnen beliebt?
Was beliebt mirr? — erwiderte der Angeredete in fremd klingender Znnge
— chabe ich chungrig, will ich soupir'!
Bei diesen Worten zog er ein Taschenmesser aus seinen grünlichen Man-
chester-Beinkleidern, schnitt damit ein Stück von dem Absatz seines linken Stie-
fels, welches er mit einem, von dem daS Zimmer erhellenden Licht entnomme-
nen Stllmpfchen Talg schmierte, und begann dieses frugale Souper mit einem
an Heißhunger gränzenden Appetit zu verzehren. Nach jedem Bifsen nahm er
aus einer ledernen Flasche einen Schlnck von einem Getränk, in welchem der
durch langjährige Speculationen in Spiritus geschärfte Geruchssinn des Com-
mercienraths nicht umhin konnte, Lpiritus röstiLsatissimus, 90» Tralles, zu
erkennen.
Die Nationalität des Fremden schnell errathend, brummts der Commercien-
rath ein Liedchen vor sich hin, in dessen Tönen ein weniger geübtes Ohr die
von Ferdinand Gumbert so schön arrangirte Melodie des „Krasny Sa-
rafan" unfehlbar hätte erkennen müsseu. Jndeß, sei es daß dem Fremden
das Itationallied unLekannt war, sei es daß der zu häufige Genuß des Alkohol
seine Gehörorgane bis anf einen gewissen Grad abgestumpft hatte: er blieb
vollständig theilnahmlos, bis er sein Abendbrot verzehrt und sich ebenfalls seiner
Kleidungsstücke entledigt hatte. Staunend bemerkte der Berliner, daß der fast
gan; entkleidets Fremdling mit den vereinigten Spitzen seines ersten und zwei-
ten Fingers ziemlich auffällige Bewegungen nach einigen Theilen seines Kör-
pers machte; unv um die Unterhaltung nicht ins Stocken gerathen zu lassen,
wandte er sich an ihn mit der Frage: Suchen Sie etwas, mein Herr? Was
suchen Sie, wenn ich fragen darf?
Was suche ich mirr, haben ich ganz allein! Kamien Sie mirr nicht geben!
Habe ich gemacht Versprechen an Englishman, mit was ich schlafen zusammen,
zu snchen jeden Abend, ehe ich legen mich zu Bett!
Wie, mein Herr? Sie schlafen mit dem Engländer in einem Bett?
Können Sie stch denn unter den obwaltenden Berhältuissen mit ihm vertragen?
O ja! Vertragen wirr sich serr gntt allezeit, wenn nur vermaledeite
Franzusky nicht würden knmmen zwischen sich.
Nachdem der brave Russe die von der Pedanterie des Britischen Reinlich-
keits-Spleens ihm auferlegte Berpfüchtnng erfüllt, legte er sich mit der einen
Hälfte seines Körpers in das schmale Bett, während die Breitseite seiner ande-
ren Hälfte, von der Bettkante schmerzhaft gestützt, in derselben Lage blieb, wie
die zwischen Oesterreich imd Frankreich noch immer schwebenden Verhand-
lmigen tiber die Ausführung des Vertrnges vonr 2. December.

Drittes Capitel.
Wenige Mimiten ungestörter Ruhe gcnügten, um den rauhen nordöstlicheu
Barbaren in einen eben so festen Schlummer zn wiegen, wie ihn die vorge-
schrittene Civilifation seines westmächtlichen Beckbruders nur hervorzubringen
im Stande sein konnte. Jn den Armen lagen sich Beide und schnarchten —
wie Christ und Heide.
Auch der Commercienrath konnte der Ratur nicht länger widerstehen, und
übermüdet von dcn Anstrengnngen der Reise nnd den wechselnden Eindrllcken
der letzten Stmidsn,. warf ec sich angekleidet anf das Sopha, welches seiner
fremden Mietherin, der von dem Kellner angekündigtsn „ssuns tsmms", mit
immer gespannterer Reugier entgegen sah und vor Unwillen über seinen rechts-
verletzenden Usurpator an allen Sprnngfedern fieberhaft erzitterte. Ungerührt
dnrch diese Demonstraüon deS passiven Widerstandes, verfiel der „glückliche
Besitzer" in einen Lchten, gemüthlichen Berliner Schwurzerichts- oder Kammer-
schlaf und träumte von der Freude, welche sein Freund Emile Girardin
morgen haben würde, ihn endlich einmal wiederzusehen.
Plötzlich wird er durch einen wiisten LLrm geweckt. Aechzen, Schreien,
Stöhnen, Faustschläge, Fußtritte, Trampeln dringt von der Himmelsgegend des
Rusfisch-Britischeu Lagers an sein Ohr. Dazwischen zusrmmenhangslose Worte:
Hurrah .... Malakoff .... Franzusky .... Victoria ... Mamelon vert--
Wodki . . . Sägewerk . . . Tschernaja . . . Gürtschakoff.
Erschreckt springt er auf und eilt an den Schäuplatz der Verwirrung Er
ahnt das Gräßlichste. Er ist auf den Anblick zweier gar nicht mehr existirea-
der Körper gefaßt, da, nach dem Lärm zu schließen, die Beiden sich mindestens
gegenseitig aufgefressen haben mttssen. Er naht dem Lager und erblickt — Beide
ruhig neben cinander schlummernd.
Ja ja, — sagte er beruhigt zn sich selbst — mein Freund Gerlach
scheint doch Recht zu haben, wenn er die Feindschaft zwischen Briten und Russen
nur für einen schnell vorübergehenden wüsten Traum hält. Sieh' mal
an, alter Rundschaute!
 
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