Nugenblick kaum noch gedacht — und auch jetzt begreise ich kaum, wie kommt
dies Kind, und wie kommt die Marianne, und wie komme ich-
Mein Herr, Jhr ganzes Benehmeu bürgt mir dafür, daß Sie in der That
nicht gewußt haben, wozu man Sie hat brauchen wollen. Jch biu vielmehr
überzeugt, daß Sie selbst schandern werden, wenn ich Sie jetzt in den Abgrund
blicken lasse, von dessen Rande Sie nur durch den Zufall nnd — die Pariser
Polizei zurückgerissen worden sind.
O, ich schaudere bereits! erwiderte der Commercienrath, welcher das zurück-
getretene Fieber der Angst seine Glieder schon wieder durchschütteln fühlte.
So hören Sie! Sie wissen, daß die Gesellschast der „Marianne"
aus Feinden der Ordnung besteht, deren Nichtswürdigkeit nur von ihrer ver-
wegenen Tollheit erreicht und überboten wird. Sie wisseu serner, daß die Ga-
rantien unserer staatlichen und gesellschaftlichen Ordnung auf die Hoffnung eines
Kindes basirt sind, eines Kindes, welches zwar vorläufig noch nicht existirt,
dessen Geburt aber-
Bei diesen Worten wurde der Präfeet abermals durch den Eintritt des
bereits erwähnten Beamten unterbrochen, welcher ihm nur die Worte zurief:
Sie ist schon da!
Gut! Laffen Sie sie einen Augenblick warten!
Der Beamte entfernte sich. Lesen Sie dies — sprach der Präfect zu dem
Verhafteten — indeß ich Sie einen Augenblick allein lasse. Diese Schrift ist
ein denuncirender Bericht von einem unserer gewandtesten und zuverlässigsten
Agenten. Derselbe wird Sie schneller und besser als ich von d em unterrichten,
um das es sich hier handelt. Jn wenigen Minuteu ftehe ich Jhnen wieder
zn Diensten.
Mit diesen Worten verließ der Präfect das Zimmer, in welches vorher ein
Wächter eingetreten war, um den Gefangenen zu beobachten. Der Commercien-
rath versuchte die ihm überreichte Schrift durchzulesen. Allein je weiter er las,
desto mehr schwand ihm die Besinnung. Er war nicht mehr im Stande, von
dem Zusammenhang derselben sich irgendwelche Rechenschaft zu geben. Vor
dem getrübten Blicke seines Auges tanzten nur die unterstrichenen Worte:
„Wühler — Umsturz — Complot — Marianne — Kind — Vertauscheu —
Ausländer — Anarchie — Prinzenraub — Proletariat — Legitimismus —
Verbindung — Enthüllung" u. s. w. Dem Commercienrath verging Hören
und Sehen. Starren Blickes stierte er auf das Papier, und unenträthselt irrteu
und schwirrten die verhängnißvollen Schriftzüge vor seinem Auge durcheinander.
Haben Sie gelesen? — fragte ihn der zurückkehrende Präfect.
Allerdings; ich habe gelesen.
Nun, mein Herr, was sagen Sie dazu?
Gar nichts! „Herr, dunkel ist der Rede Sinn", wie mein alter braver
Fritz Schiller immer zu mir zu sagen Pflegte. Namentlich sehe ich aber
nicht ein, in welchem Zusammenhange ich mit der ganzen Geschichte stehen soll.
Nicht, mein Herr? Wirklich nickt? — fragte der Präfect mit einem durch-
bohrenden Blick auf den Aermsten. — So kann ich Jhnen leider nichl, wie ich
wünschte, noch größere Unannehmlichkeiten ersparen. So erfahren Sie denn,
mein Herr, auch die Mutter des Kindes ist iu unseren Händen. Auch sie weigerte
sich Anfangs zu gestehen. Als wir ihr aber sagten, daß sie ihr Kind wieder haben
solle, wurde sie weich und versprach ein unumwundenes Geständniß. Nur um
eine Viertelstunde Zeit bat sie, sich zu sammeln. Dieselbe wurde ihr gewährt.
Nach Verlauf derselben werden Sie mit ihr confrontirt werden und-
Der Präfect schellte. Man führe die Dame herein! — rief er dem ein-
tretenden Diener zu. Von dieser Minute verwandte er kein Auge von dem
Commercienrath. Gespannten Blickes beobachtete er denselben, um deu Ein-
druck, welchen die amtlich in Scene gesetzte Ueberraschung auf ihn machen würde,
möglichst vollständig aufzufaffen. Jn diesem Augenblick öffnete sich die Flügel-
thür des Verhörzimmers, und von dem Polizeidiener geführt trat eine ver-
schleierte Dame ein, in welcher der Commercienrath sogleich die Genossin seines
Zimmers im Hotsl clo 1a ruo cie Ii.ivo1i wieder erkannte.
-4.U mon viou, o'ost lui! — rief sie beim Anblickj des Gefangenen aus —
Cervus Hirsch! Herr Commercienrath!
Ach, Marianne! Marianne! Aber wie kommen Sie nach Paris
nnd — hierher? Das waren die einzigen Worte, deren er im Augenblick
mächtig war. Hastig schlug sie den Schleier zurück. Jhre Umgebung ebenso
wenig berücksichtigend als die eben vernommene Frage des Commercienraths,
stürzte sie auf diesen zu und rief im Tone verzweifelnder Angst: Das Kind!
Mein Kind! Wo ist — unser Kind?
Unser Kind? Also doch! — senfzte Hirsch.
Sie werden das Kind sogleich wiedersehen — unterbrach der erstaunte
Präfect die ihn überraschende Scene — aber zuvor erklären Sie, wer Sie sind
nnd wie Sie hierher kommen.
Sehr gern. Mein Name ist ^lariuuuo Vautoiou. Jch bin in Paris
geboren. Meinen Vater habe ich niemals gekannt, meine Mutter noch weniger.
Der Erstere ist wahrscheinlich vor meiner Geburt gestorben, und die Letztere
hielt es für gut, meine Erziehung der Direction des FindelhauseS anzuver-
trauen. Mit dem vierzehnten Jahre verließ ich dasselbe. Jch hatte bis dahin
wenig gelernt, mit dem funfzehnten Jahre aber auch das Wenige vergeffen.
Da ich nichts verstand als meine Mu ttersprache, war ich, wie ein
damaliger Freund mir sagte, vollständig" berufen, nach Deutschland zu
gehen und dort als Bonne den Unterricht und die Erziehung eines
oder einiger Kinder wohlhabender Aeltern zu leiten. Jch kam nach
Berliu, wo ich im Hause des Herrn Commercienraths Cervus Hirsch als Bonne
seiner Kinder engagirt wurde. Zch erfuhr dort eine sehr freundliche Behand-
lung — von Seiten des Herrn Commercienraths, welche bald die Ursache einer
sehr unfreundlichen von Seiten seiner Frau Gemahlin wurde. Jn Folge der-
selben verließ ich ihr Haus. Die Theilnahme des Herrn Commercienraths an
meinem Schicksal überdauerte meine Anwesenheit in seinem Hause. Er miethete
! mir ein elegantes Quartier in der Luisenstraße und sorgte in der großmüthig-
sten Weise für meinen Unterhalt. Um sich von meinem Wohlergehen zu über-
zeugen, schenkte er mir zuweilen die Ehre seines Besuches. Zch fühlte mich
ihm zum innigsten Dank verpflichtet und freute mich jeder Gelegenheit ihm
denselben zn beweisen. Zch freute mich und freute mich so lange bis er-
nicht mehr wieder kam.
Zch war auf Reisen, wie Sie wiffen — unterbrach sie der Commercienrath.
Leider weiß ich es; ich weiß aber auch, daß mit Jhren Besuchen Zhre bis
! dahin bethätigte Theilnahme an meinem Schicksal aufhörte. Meine Briefe an Sie
! blieben unbeantwortet. Es kamen magere Wochen uud Monate, in denen ich
! von den Ersparnissen der fetten Vergangenheit lebte. Meine Ersparniffe reich-
! ten gerade aus, mir die Zeit der schweren Katastrophe überstehen zu helfen, mit
i welcher ich meiue Dankbarkeit gegen Sie leider zu bezahlen hatte. Kaum war
ich wieder hergestellt, so beschloß ich nach meiner Vaterstadt Paris zurückzukehren
und das lebende Zeugniß meiner Dankbarkeit und Jhrer — Treue, mein Herr,
demselben Schicksal anzuvertrauen, welchem meine Mutter mich eiust preisge^
geben. Jch vollbrachte meinen Vorsatz. Ein merkwürdiger Zufall führte uns
im üotol cls 1u ru6 cke Hivoli zusammen. Von Zhnen unerkannt, lernte ich
Sie durch Jhr Benehmeu aufs Neue zu sehr verabscheuen, als daß ich mich
hätte entschließen könneu, mich Jhnen zu entdecken und mich vor Zhnen zu
demüthigen. Das Uebrige ist Zhnen bekannt, und ich hoffe-
Aber wie kamen Sie hierher?
Durch die Wachsamkeit der Polizei, der in Paris nichts verborgen bleibt.
Können Sie mir verzeihen, liebe Marianne? Jch werde Alles wieder
gut machen und für Sie und das Kind so sorgen, daß Sie uiemals nöthig
haben sollen, über die ganze Angelegenheit gegen irgend Jemanden, nnd wäre
es selbst meine Frau, müudlich oder brieflich etwas zn erwähnen.
Stauuend und ärgerlich hatte der Präfect der ganzen Scene beigewohnt.
Er schellte. Ein Diener trat ein. Holen Sie — sprach er zu diesem — den
Agenten Verfasser dieses Berichtes, augenblicklich her.
Herr Präfect — antwortete der Diener — verzeihen Sie, aber das ist nicht
gut möglich. Er ist nicht mehr in Paris. Er war mein Freund, aber ich kann
ihn leider nicht vertheidigen. Er hat uns Beide getäuscht, Sie und mich, der
ich ihn Jhnen empfohlen hatte. So eben erhalte ich einen Brief von ihm, in
welchem er über die 8000 Francs, die er als Angeld und zur Bestreitung der
durch die Necherchen ihm erwachsenden Unkosten erhalten, dankend quittirt und
mir anzeigt, daß er letzte Nacht Frankreich sür immer verlassen, und wenn wir
diesen Brief läsen, die Gränzen längst überschritten habe.
^lil touu6ri-68! — fluchte der Präfect, mit dem Fuße stampfend. — Und
seine Enthüllungen über die „Marianne" und über diesen Herrn-?
Waren eben nichts als — Enthüllungen!
Oiauti-6! Aber es ist gut! Wir sprechen uns noch!
Diese Unterhaltung zwischen dem Präfecten und seinem Diener war in
einer Fenstervertiefung so leise geführt worden, daß weder der Commercienrath
noch Marianne ein Wort davon verstanden hatten. Zn banger Erwartung
hatten Beide das Ende derselben erwartet. Desto froher überrascht waren sie,
als der Präfect sich freundlich an sie wandte und sie in sehr artigem Tone
anredete: Meine Herrschaften, wir haben vorläufig keine Veranlassung, Sie
länger hier aufzuhalten. Es steht Jhnen frei, sich zu begeben, wohin es Zhnen
beliebt.
Jch bleibe in Paris — rief Marianne leichten Herzens aus.
Und ich kehre spornstreichs nach Deutschland zurück — sagte der Commer
cienrath.
Jch denke, Sie wollten die Weltansstellung-
Jch danke Jhnen; ich habe vollständig genug. Jch habe mehr gefunden,
als ich suchte. Zch suchte neue Vergnügungen und fand — eine alte Liebe.
Das aber schwöre ich bei Allem, was fest und sicher ist: niemals in meinem
Leben nenne ich wieder Jemanden „meinen Freund"; denn ich habe eiu-
gesehen, daß selbst der schlimmste Feind Einem nie so viel nützt, als „gute
Freunde" Einem schaden können! (Ende.)
dies Kind, und wie kommt die Marianne, und wie komme ich-
Mein Herr, Jhr ganzes Benehmeu bürgt mir dafür, daß Sie in der That
nicht gewußt haben, wozu man Sie hat brauchen wollen. Jch biu vielmehr
überzeugt, daß Sie selbst schandern werden, wenn ich Sie jetzt in den Abgrund
blicken lasse, von dessen Rande Sie nur durch den Zufall nnd — die Pariser
Polizei zurückgerissen worden sind.
O, ich schaudere bereits! erwiderte der Commercienrath, welcher das zurück-
getretene Fieber der Angst seine Glieder schon wieder durchschütteln fühlte.
So hören Sie! Sie wissen, daß die Gesellschast der „Marianne"
aus Feinden der Ordnung besteht, deren Nichtswürdigkeit nur von ihrer ver-
wegenen Tollheit erreicht und überboten wird. Sie wisseu serner, daß die Ga-
rantien unserer staatlichen und gesellschaftlichen Ordnung auf die Hoffnung eines
Kindes basirt sind, eines Kindes, welches zwar vorläufig noch nicht existirt,
dessen Geburt aber-
Bei diesen Worten wurde der Präfeet abermals durch den Eintritt des
bereits erwähnten Beamten unterbrochen, welcher ihm nur die Worte zurief:
Sie ist schon da!
Gut! Laffen Sie sie einen Augenblick warten!
Der Beamte entfernte sich. Lesen Sie dies — sprach der Präfect zu dem
Verhafteten — indeß ich Sie einen Augenblick allein lasse. Diese Schrift ist
ein denuncirender Bericht von einem unserer gewandtesten und zuverlässigsten
Agenten. Derselbe wird Sie schneller und besser als ich von d em unterrichten,
um das es sich hier handelt. Jn wenigen Minuteu ftehe ich Jhnen wieder
zn Diensten.
Mit diesen Worten verließ der Präfect das Zimmer, in welches vorher ein
Wächter eingetreten war, um den Gefangenen zu beobachten. Der Commercien-
rath versuchte die ihm überreichte Schrift durchzulesen. Allein je weiter er las,
desto mehr schwand ihm die Besinnung. Er war nicht mehr im Stande, von
dem Zusammenhang derselben sich irgendwelche Rechenschaft zu geben. Vor
dem getrübten Blicke seines Auges tanzten nur die unterstrichenen Worte:
„Wühler — Umsturz — Complot — Marianne — Kind — Vertauscheu —
Ausländer — Anarchie — Prinzenraub — Proletariat — Legitimismus —
Verbindung — Enthüllung" u. s. w. Dem Commercienrath verging Hören
und Sehen. Starren Blickes stierte er auf das Papier, und unenträthselt irrteu
und schwirrten die verhängnißvollen Schriftzüge vor seinem Auge durcheinander.
Haben Sie gelesen? — fragte ihn der zurückkehrende Präfect.
Allerdings; ich habe gelesen.
Nun, mein Herr, was sagen Sie dazu?
Gar nichts! „Herr, dunkel ist der Rede Sinn", wie mein alter braver
Fritz Schiller immer zu mir zu sagen Pflegte. Namentlich sehe ich aber
nicht ein, in welchem Zusammenhange ich mit der ganzen Geschichte stehen soll.
Nicht, mein Herr? Wirklich nickt? — fragte der Präfect mit einem durch-
bohrenden Blick auf den Aermsten. — So kann ich Jhnen leider nichl, wie ich
wünschte, noch größere Unannehmlichkeiten ersparen. So erfahren Sie denn,
mein Herr, auch die Mutter des Kindes ist iu unseren Händen. Auch sie weigerte
sich Anfangs zu gestehen. Als wir ihr aber sagten, daß sie ihr Kind wieder haben
solle, wurde sie weich und versprach ein unumwundenes Geständniß. Nur um
eine Viertelstunde Zeit bat sie, sich zu sammeln. Dieselbe wurde ihr gewährt.
Nach Verlauf derselben werden Sie mit ihr confrontirt werden und-
Der Präfect schellte. Man führe die Dame herein! — rief er dem ein-
tretenden Diener zu. Von dieser Minute verwandte er kein Auge von dem
Commercienrath. Gespannten Blickes beobachtete er denselben, um deu Ein-
druck, welchen die amtlich in Scene gesetzte Ueberraschung auf ihn machen würde,
möglichst vollständig aufzufaffen. Jn diesem Augenblick öffnete sich die Flügel-
thür des Verhörzimmers, und von dem Polizeidiener geführt trat eine ver-
schleierte Dame ein, in welcher der Commercienrath sogleich die Genossin seines
Zimmers im Hotsl clo 1a ruo cie Ii.ivo1i wieder erkannte.
-4.U mon viou, o'ost lui! — rief sie beim Anblickj des Gefangenen aus —
Cervus Hirsch! Herr Commercienrath!
Ach, Marianne! Marianne! Aber wie kommen Sie nach Paris
nnd — hierher? Das waren die einzigen Worte, deren er im Augenblick
mächtig war. Hastig schlug sie den Schleier zurück. Jhre Umgebung ebenso
wenig berücksichtigend als die eben vernommene Frage des Commercienraths,
stürzte sie auf diesen zu und rief im Tone verzweifelnder Angst: Das Kind!
Mein Kind! Wo ist — unser Kind?
Unser Kind? Also doch! — senfzte Hirsch.
Sie werden das Kind sogleich wiedersehen — unterbrach der erstaunte
Präfect die ihn überraschende Scene — aber zuvor erklären Sie, wer Sie sind
nnd wie Sie hierher kommen.
Sehr gern. Mein Name ist ^lariuuuo Vautoiou. Jch bin in Paris
geboren. Meinen Vater habe ich niemals gekannt, meine Mutter noch weniger.
Der Erstere ist wahrscheinlich vor meiner Geburt gestorben, und die Letztere
hielt es für gut, meine Erziehung der Direction des FindelhauseS anzuver-
trauen. Mit dem vierzehnten Jahre verließ ich dasselbe. Jch hatte bis dahin
wenig gelernt, mit dem funfzehnten Jahre aber auch das Wenige vergeffen.
Da ich nichts verstand als meine Mu ttersprache, war ich, wie ein
damaliger Freund mir sagte, vollständig" berufen, nach Deutschland zu
gehen und dort als Bonne den Unterricht und die Erziehung eines
oder einiger Kinder wohlhabender Aeltern zu leiten. Jch kam nach
Berliu, wo ich im Hause des Herrn Commercienraths Cervus Hirsch als Bonne
seiner Kinder engagirt wurde. Zch erfuhr dort eine sehr freundliche Behand-
lung — von Seiten des Herrn Commercienraths, welche bald die Ursache einer
sehr unfreundlichen von Seiten seiner Frau Gemahlin wurde. Jn Folge der-
selben verließ ich ihr Haus. Die Theilnahme des Herrn Commercienraths an
meinem Schicksal überdauerte meine Anwesenheit in seinem Hause. Er miethete
! mir ein elegantes Quartier in der Luisenstraße und sorgte in der großmüthig-
sten Weise für meinen Unterhalt. Um sich von meinem Wohlergehen zu über-
zeugen, schenkte er mir zuweilen die Ehre seines Besuches. Zch fühlte mich
ihm zum innigsten Dank verpflichtet und freute mich jeder Gelegenheit ihm
denselben zn beweisen. Zch freute mich und freute mich so lange bis er-
nicht mehr wieder kam.
Zch war auf Reisen, wie Sie wiffen — unterbrach sie der Commercienrath.
Leider weiß ich es; ich weiß aber auch, daß mit Jhren Besuchen Zhre bis
! dahin bethätigte Theilnahme an meinem Schicksal aufhörte. Meine Briefe an Sie
! blieben unbeantwortet. Es kamen magere Wochen uud Monate, in denen ich
! von den Ersparnissen der fetten Vergangenheit lebte. Meine Ersparniffe reich-
! ten gerade aus, mir die Zeit der schweren Katastrophe überstehen zu helfen, mit
i welcher ich meiue Dankbarkeit gegen Sie leider zu bezahlen hatte. Kaum war
ich wieder hergestellt, so beschloß ich nach meiner Vaterstadt Paris zurückzukehren
und das lebende Zeugniß meiner Dankbarkeit und Jhrer — Treue, mein Herr,
demselben Schicksal anzuvertrauen, welchem meine Mutter mich eiust preisge^
geben. Jch vollbrachte meinen Vorsatz. Ein merkwürdiger Zufall führte uns
im üotol cls 1u ru6 cke Hivoli zusammen. Von Zhnen unerkannt, lernte ich
Sie durch Jhr Benehmeu aufs Neue zu sehr verabscheuen, als daß ich mich
hätte entschließen könneu, mich Jhnen zu entdecken und mich vor Zhnen zu
demüthigen. Das Uebrige ist Zhnen bekannt, und ich hoffe-
Aber wie kamen Sie hierher?
Durch die Wachsamkeit der Polizei, der in Paris nichts verborgen bleibt.
Können Sie mir verzeihen, liebe Marianne? Jch werde Alles wieder
gut machen und für Sie und das Kind so sorgen, daß Sie uiemals nöthig
haben sollen, über die ganze Angelegenheit gegen irgend Jemanden, nnd wäre
es selbst meine Frau, müudlich oder brieflich etwas zn erwähnen.
Stauuend und ärgerlich hatte der Präfect der ganzen Scene beigewohnt.
Er schellte. Ein Diener trat ein. Holen Sie — sprach er zu diesem — den
Agenten Verfasser dieses Berichtes, augenblicklich her.
Herr Präfect — antwortete der Diener — verzeihen Sie, aber das ist nicht
gut möglich. Er ist nicht mehr in Paris. Er war mein Freund, aber ich kann
ihn leider nicht vertheidigen. Er hat uns Beide getäuscht, Sie und mich, der
ich ihn Jhnen empfohlen hatte. So eben erhalte ich einen Brief von ihm, in
welchem er über die 8000 Francs, die er als Angeld und zur Bestreitung der
durch die Necherchen ihm erwachsenden Unkosten erhalten, dankend quittirt und
mir anzeigt, daß er letzte Nacht Frankreich sür immer verlassen, und wenn wir
diesen Brief läsen, die Gränzen längst überschritten habe.
^lil touu6ri-68! — fluchte der Präfect, mit dem Fuße stampfend. — Und
seine Enthüllungen über die „Marianne" und über diesen Herrn-?
Waren eben nichts als — Enthüllungen!
Oiauti-6! Aber es ist gut! Wir sprechen uns noch!
Diese Unterhaltung zwischen dem Präfecten und seinem Diener war in
einer Fenstervertiefung so leise geführt worden, daß weder der Commercienrath
noch Marianne ein Wort davon verstanden hatten. Zn banger Erwartung
hatten Beide das Ende derselben erwartet. Desto froher überrascht waren sie,
als der Präfect sich freundlich an sie wandte und sie in sehr artigem Tone
anredete: Meine Herrschaften, wir haben vorläufig keine Veranlassung, Sie
länger hier aufzuhalten. Es steht Jhnen frei, sich zu begeben, wohin es Zhnen
beliebt.
Jch bleibe in Paris — rief Marianne leichten Herzens aus.
Und ich kehre spornstreichs nach Deutschland zurück — sagte der Commer
cienrath.
Jch denke, Sie wollten die Weltansstellung-
Jch danke Jhnen; ich habe vollständig genug. Jch habe mehr gefunden,
als ich suchte. Zch suchte neue Vergnügungen und fand — eine alte Liebe.
Das aber schwöre ich bei Allem, was fest und sicher ist: niemals in meinem
Leben nenne ich wieder Jemanden „meinen Freund"; denn ich habe eiu-
gesehen, daß selbst der schlimmste Feind Einem nie so viel nützt, als „gute
Freunde" Einem schaden können! (Ende.)