Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
24

KÜNSTLERISCHE BEDEUTUNG DES KÖRPERSCHMUCKS

zwischen dem paläolithischen Körper- und Geräteschmuck kann nur die ver-
mehrte Kenntnis altpaläolithischer Sepulturen sowie die genauere chronologi-
sche Einteilung der Aurignacienfunde bringen. Deuten aber schon jetzt die
überraschend reiche Entwicklung des Körperschmucks im Aurignacien und
mancherlei Funde aus dem Altpaläolithikum darauf hin, daß wir hier tatsäch-
lich die früheste Kunstbetätigung vor uns haben, so werden wir in dieser Ver-
mutung noch bestärkt durch den oben erwähnten Umstand, daß für das Auf-
treten der Gerätornamentik eine gewisse formale Vollendung der Geräte selber
und namentlich auch die erst aus dem Jungpaläolithikum bekannte Bearbei-
tung organischer Stoffe die Voraussetzung war. Dagegen war der Träger der
Körperverzierung, der Mensch, vom Anfang an in vollendeter Gestalt da, und
standen der Durchbohrung und Aneinanderreihung von Muscheln, Beeren,
Fruchtkernen und dergleichen oder der Selbstbemalung mit Rötel und Ocker
keine Schwierigkeiten im Wege.
Auch in dem neuen Zeitalter der Neolithik scheint sich die zeitliche Priorität
des Körperschmucks zu bestätigen. Während die noch altsteinzeitliche Magl-
mose-Kultur neben schwacher Tierdarstellung eine ziemlich entwickelte Ge-
rätornamentik gekannt hatte, hört diese in der Zeit der Muschelhaufen auf.
Die ältesten Gefäße sind selten und dann in der denkbar primitivsten Weise
mit Fingereindrücken geschmückt; bei den aus Knochen gefertigten Pfriemen
und Nadeln dieser Stufe kommen niemals eingeritzte Ornamente vor. Dagegen
zeugen durchbohrte Tierzähne vom Körperschmuck1.
Die künstlerische Bedeutung des Körper schmuckes. Der bewegliche Körp er -
schmuck. Eigentümlicherweise ist der künstlerischeCharakterdesSelbstschmucks
schon viel früher richtig erkannt und dargelegt worden als der des Gerätorna-
ments, wahrscheinlich weil uns allen das Verständnis für den Körperschmuck
ebenso angeboren ist wie das für die eigene Körperform2. Wenn das Negerkind
sich eine Muschelkette um den Hals legt so, daß die größte Muschel vorne in
der Mitte zu hängen kommt und die Größe der Glieder nach der Höhe zu ab-
nimmt, so wird niemand auf den Gedanken verfallen, dieses regelmäßige Ge-
bilde aus der Erstarrung einer figuralen Kunst, aus traditioneller Wiederholung
oder Nachahmung erklären zu wollen. Und doch ist das, was das Kind hier rein
intuitiv und damit rein künstlerisch verrichtet, zwar prinzipiell dasselbe, aber
doch ungleich komplizierter als die ornamentale Verzierung eines Gefäßhalses
durch eine Strichreihe, aus dem einfachen Grunde, weil der menschliche Körper
ein ungleich komplizierterer und differentiierterer,, Träger“ ist als irgendein Ge-
rät. Nur bei der stark gespannten, wagerechten Kette ist die Übereinstimmung
mit einer primitiven Gefäßverzierung vollkommen, in beiden Fällen begleitet
eine regelmäßige Reihe von sich gleichen Elementen die gleichmäßige Rundung
1. Sophus Müller, Nordische Altertumskunde. 1897, Bd. L S. 37, 38.
2. Emil Selenka, Der Schmuck des Menschen. 1900. Selenka schafft hier zugleich
eine sehr gut brauchbare Grundlage für die systematische Behandlung des Körper-
schmucks, indem er, je nach der Funktion, die der Schmuck erfüllt, verschiedene
Gruppen unterscheidet: Behang, Richtungsschmuck, Ring-, Ansatzschmuck usw.
 
Annotationen