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DER DRITTE STIL

205



Abb. 50. Auflösung des Tierwirbels.
Bronzefibel aus Gotland, Schweden.

Abb. 51. Auflösung des Tierwirbels.
Bronzefibel aus Gotland, Schweden.

Scheint mit Bezug auf die Entwicklung der abstrakten Form an sich das
Fortschreiten zu einer neuen, vierten Periode unmöglich, so gilt das gleiche,
wenn wir die andere Seite des Ornaments, nämlich seine Beziehung zum Träger
berücksichtigen. Wir sahen, daß die Befreiung des Ornaments vom Träger sich
schon mit der Bildung der Fibelplatten prinzipiell vollzogen hatte, und wir
haben die Verdrängung oder Zerstörung auch dieses sekundären Grundes ver-
folgt. Aber doch war dieses freie Sichgebärden des Ornaments mit einer ge-
wissen Anerkennung des Trägers gepaart. Das flächenbedeckende Muster aus
den Tierfragmenten der ersten Phase erkannte die gegebene Fläche an, indem
es sie ausfüllte, es fügte sich nach ihren Grenzen und betonte in der streng
symmetrischen Komposition denBau desTrägers. DasTieromament der zweiten
Phase bildet sogar aus sich heraus eine Formgruppe, das geometrische Riemsel-
werk, das den strengeren ornamentalen Dienst gewissenhaft erfüllte. Die be-
sprochenen Kompositionsformen und namentlich der Tierwirbel bedeuten wohl
die höchste Steigerung individuellen Lebens unter frei gewollter Anpassung an die
gegebene Grundfläche. Dagegen sind die umrahmten „Tafeln“ der dritten Ent-
wicklungsphase ein vollständiges Novum in der Geschichte der nordisch-ornamen-
talen Kunst. Es sind keineswegs höher geartete Grundformen, die von neuem
gruppiert werden und eine neue Beziehung zum Träger eingehen, sondern ganze,
aus der älteren Tierornamentik entnommene Formkomplexe, deren Wieder-
vereinigung keinen Sinn mehr hätte, denen aber durch die isolierende
Umrahmung ein neuer Wert beigemessen wird, der gar nicht vor-
handen ist. Besonders bei den späten gotländischen Bügelfibeln zeigt sich, daß
diese Nebeneinanderstellung von umrahmten Mustern, die zum Teil in sich
keinen festen Halt haben, einen Widerspruch in sich enthält. Es sind Muster-
karten, Kompendien, die stückweise einen alten Text wiederholen, Stilübungen,
die aber nichts neues mehr schaffen können. Denn obwohl die Emanzipation
 
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