Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
204 DER DRITTE STIL
fibeln, weil gerade diese sich hervorragend an der Ausgestaltung der Wirbel-
form der zweiten Phase beteiligt hatten (vgl. Abb. 47). An der Scheibe Abb. 50
hat sich das Tieromament selber noch nicht so aufgelöst wie in dem soeben be-
sprochenen Muster, dagegen ist der frühere Tierwirbel in drei getrennte Ge-
stalten zerlegt, die nur noch durch eine dünne Schnur ihre frühere Zusammen-
gehörigkeit im Mutterkörper zu erkennen geben; beider Scheibenfibel Abb. 51
hat sich auch dieses Band gelöst und die Tiere werden in umrahmten Feldern
völlig isoliert um die Mitte gruppiert1. Die gleiche Erscheinung zeigt sich bei den
Bügelfibeln, deren Schmuckflächen dadurch vergrößert werden, daß man die
alten Fuß- und Kopfplatten durch aufgesetzte Randplatten kastenartig aus-
baut, und dazu noch den Bügel mit einem Trommelkasten bereichert (Abb. 52).
Auch diese Randflächen werden in zahlreiche quadratische oder oblonge, zu-
meist umrahmte Felder eingeteilt, jedes mit seinem, oft sehr verschiedenartigen
Muster. Den beliebtesten Frauenschmuck der Wikingzeit bilden schildförmige,
gewölbte Spangen; bei diesen wird die Umrahmung der Felder zu einem selb-
ständigen Gerüst, in das die für sich gearbeiteten, gemusterten Flächen nach-
träglich eingefügt und vernietet werden. Besonders das Auftreten dieser ein-
zeln in die Fläche des Trägers eingelassenen, umrahmten Felder
ist ein sicheres Zeichen, das wir uns in einer neuen, in der dritten Phase der
germanischen Tieromamentik befinden, ein sicheres Zeichen aber auch, daß das
endgültige Ende dieser Kunst bevorstand.
Wir haben an einem charakteristischen Beispiel (vgl. Abb. 49) beobachtet,
wie das feste Gefüge, das die wilderregte Form des zweiten Stils bändigte, ver-
loren ging, wie das Muster seinen inneren Halt einbüßte und in krampfhaft ver-
zückte, exaltierte, in sich gespaltene und zerrissene Formen zerrann und ver-
puffte. Es wäre verfehlt, ein abfälliges Urteil über diese Kunst auszusprechen;
sie hat in Phantasie und Raffinement zum Teil wohl das höchste geleistet, wozu
die abstrakte Kunst des Nordens überhaupt fähig war. Aber zugleich bekommt
man die Überzeugung, daß diese Kunst schon eine tödliche Krankheit in sich
trug, und daß sie das letzte, was in der Sprache der abstrakten Form auszu-
drücken war, gesagt hatte. Es ist nicht einzusehen,, zu welcher Steigerung diese
Kunst noch fähig gewesen wäre, nachdem sie zum Ausdruck animalischen
Lebens durchgedrungen war. Wir verstehen nicht, wie diese aus dem alten, orga-
nischen Zusammenhang gelösten, sonderbar verschnörkelten und ausgefranzten
Motive, diese überempfindlichen, mit den langen Fühlern nervös tastenden, wie
Flammen flackernden Formen, die so wenig lebensfähig erscheinen, die Grund-
elemente einer vierten Klasse von Formen mit noch höherer inhalt-
licher Bedeutung hätten abgeben können, wie es bei einer gesetzmäßigen
Fortsetzung der Entwicklung der Fall hätte sein müssen.
I. Nehmen wir die Auflösung der organisch verwachsenen Tiergruppe als Kriterium, so
muß Salins Bemerkung, daß die südgermanische Kunst sich nicht an der dritten Stil-
phase beteiligt habe, eine Einschränkung erfahren. Die schon erwähnten südger-
manischen, aus Gliedmaßen zusammengesetzten Wirbelformen, die gleichfalls dem
achten Jahrhundert angehören, zeigen verwandte Auflösungserscheinungen (vgl. Abb. 48).
 
Annotationen