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Universitäten gibt es in England oder Frankreich nichts Zeit-
genössisches, was mit dem Harkness Memorial oder mit den Dormi-
tories (Wohngebäuden) von Princeton verglichen werden könnte.
Hier und dort sind in unseren Tagen in Europa neue gotische
Kirchen entstanden. Sie wirken fast alle wie schwächliche Nach-
kömmlinge der Großen von Amiens, von Chartres, von Salisbury und
Wells. Am günstigsten scheint ihnen noch das Klima in England
gewesen zu sein; dort finden sich zwei sehr schöne Beispiele dieser
späten Ernte: die Westminster Kathedrale, Bentleys großes Werk,
das die Künstler verehren und die Laien verabscheuen, und die
neue Liverpool-Kathedrale, in der Giles Scott die Geheimnisse des
Mittelalters wiedergefunden und die überwältigende Kraft von Notre
Dame erreicht hat. Mir scheint, daß keine unserer drei in Bau be-
griffenen Kathedralen sich mit dieser Leistung Scotts wird messen
können. Doch die Pfarrkirchen, die uns unser tiefgelehrter Cram
und der verewigte Goodhue geschenkt haben, sind in Einzelheiten,
wie Anbauten für Gemeindehäuser und Sonntagsschulen, auch in
Akustik, Heizung und Beleuchtung vorbildliche neue Typen und
lassen ähnliche Bauten der besten englischen Gotiker wohl hinter
sich zurück.
Wenn wir versuchen, mit England — der Heimat der Heime —
im Landhausbau in Wettbewerb zu treten, so reizen wir den Löwen
in der Höhle. Doch hat Amerika England bewiesen, daß ein Heim
billiger gebaut werden kann, daß es weniger Dienstboten
nölig hat, daß Hammelrücken heißer auf die Tafel kommt,
wenn Küche und Speisezimmer auf derselben Seite des Hauses
liegen, daß entgegen aller historischen Überlieferung ein Haus mit
zehn Schlafzimmern mehr als ein Badezimmer benötigt.
Will man den wahren Einfluß der Vereinigten Staaten auf bri-
tische Architektur sehen, dann vergleiche man den Grundriß des
zeilgenössischen englischen Wohnhauses mit dem der Häuser, die
wir zu soviel Tausenden in unseren Vororten bauen.
Es mangelt mir an Raum, endlich auf den großen Einfluß der
sogenannten Chicago-Schule auf die Architektur Deutschlands und
Hollands einzugehen — auf den rationalistischen Stil von Sullivan
und Wright, deren Bauten hauptsächlich im Mittelweslen zu finden
sind. Noch kann ich leider auch nur oberflächlich unsere verschie-
denen anderen „Schulen“ würdigen, die so reizvoll, z. B. die Klippen
von Monterey oder die Täler von Santa Barbara mit ihren schmuck-
kästchengleichen Villen geziert haben. Wie einst die blauen Wasser
des Miltelmeeres um die weißen Füße der Sirenen spielten, so
tauchen verlockend unsere weißen Ruhesitze dort drüben aus den
Fluten des stillen Ozeans.

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