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Niedersächsisches Landesamt für Denkmalpflege [Hrsg.]; Institut für Denkmalpflege [Hrsg.]
Arbeitshefte zur Denkmalpflege in Niedersachsen: System Denkmalpflege - Netzwerke für die Zukunft — Hannover: Niedersächsisches Landesamt für Denkmalpflege, Heft 31.2004

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Sektion 3: System Kulturlandschaft Harz
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https://doi.org/10.11588/diglit.51150#0241
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Nationalpark Harz - Von der Kulturlandschaft zurück zu einem „Urwald aus zweiter Hand“

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Die Mosaik-Zyklus-Dynamik als Modell
zum Verständnis von Naturwäldern
Mit fortschreitender Wirkung der menschlich unbeein-
flussten Naturwald-Dynamik im Nationalpark Harz
werden die ökologischen Grundgesetze natürlicher
Waldökosysteme, die mehr oder weniger deutlich welt-
weit in allen durch die Bioenergie der Assimilation
„angetriebenen“ Ökosysteme - ja sogar für aquatische
Systeme - gelten, auch für Besucher erkennbar und
damit auch im Rahmen der Erholung und Bildung ver-
ständlich und erlebbar:
Bedingt durch die unterschiedlichen Ausbreitungs-
und Wuchsgeschwindigkeiten der Baumarten, durch die
weit voneinander abweichenden Absterbeprozesse -
zum Beispiel Buche rund 120-250 Jahre, Birke rund
60-100 Jahre, Eiche rund 250-1.000 Jahre, Fichte rund
120-300 Jahre durch die unterschiedliche Licht-
forderung und Schattenerträgnisse der Baumarten und
schließlich durch die oft kleinräumig wechselnden
Standortbedingungen (Boden, Wasserhaushalt, Klima
usw.) ist es für einen Naturwald typisch, dass er eine
kleinräumige Mosaikstruktur aufweist. Die einzelnen
Mosaikflächen, die sich von den anderen unterscheiden,
sind in der Regel kaum größer als eine fallende
Baumlänge eines „Urwaldriesen“, also im Durchmesser
meist unter 50 m.
Die einzelnen Phasen kann man, um die Dynamik
besser zu verstehen, wie nebenstehend bezeichnen.
Wenn auch nicht vorhergesagt werden kann, ob zum
Beispiel eine Pionierphase auf einem bestimmten
Standort überhaupt eintritt oder ob eine Wiesenphase als
Folge der Offenhaltung durch große Pflanzenfresser
entsteht, so ist die Naturwald-Dynamik dennoch alles
andere als ein Chaossystem, weil die Wachstumspro-
zesse immer gerichtet ablaufen und evolutionär ent-
standenen Prozessen folgen.
Die enge Verzahnung der einzelnen Sukzessions-
stadien und die mehr oder weniger ausgeprägte Bindung
verschiedener Tierarten an einzelne Stadien sind die
entscheidende Grundlage dafür, dass Naturwälder als
Folge der vielen Stadien nebeneinander als Ganzes
besonders artenreich sind. Bedingt durch die Wuchs-
dynamik ist dabei für die einzelnen Arten kleinräumig
ein Kommen und Gehen typisch, das heißt auch die rund
30% wenig wanderungsfähigen Arten unserer Fauna
(zum Beispiel Eidechsen, Laufkäfer) können, wenn ihr
Lebensraum als Folge des Baumwuchses für sie le-
bensfeindlich wird, in erreichbarer Nähe meist einen
Ersatzlebensraum erreichen und besiedeln, der ebenfalls
als Folge der Wuchsdynamik gerade wieder in die art-
spezifisch erforderlichen Lebensbedingungen hinein-
wächst. So wird die kleinflächige Mosaikstruktur in Ver-
bindung mit der Wuchsdynamik der kleinen Pflanzen
und großen Bäume in Wechselwirkung mit der großen
und kleinen Fauna zur entscheidenden Grundlage der
ökologischen Funktion natürlicher Verbundsysteme,
wie sie durch die Biodiversitätskonvention weltweit,
durch die FFH-Richtlinie europaweit und durch das
Naturschutzgesetz deutschlandweit gefordert werden.
Es geht also im Nationalpark Harz darum, der
natürlichen Sukzession wieder freien Lauf zu gewähren,
die „Startchancen“ der Natur kleinräumig möglichst
wieder der ursprünglichen Natur anzunähern und den
Besuchern zu verdeutlichen, dass die Natur auf äußerst


Asynchrone
Mosaik-Zyklus-Dynamik

Zerfallsphase
Totholz

Wiesenphase

mit vielen auf Zersetzung Offenbiotop, mit


„Optimal"phase
hohe, vitale Bäume
mit großen Kronen

lichtliebenden Arten

Pionierphase
kurzlebige Baumarten:
r-Strategen, z.B. Birke,
Weide, Eberesche

tart der langlebigen
Baumarten: K-Strategen,
z.B. Buche, Eiche, Fichte

spezialisierten Arten
Alterungsphase
uralte und erste
kränkelnde Bäume

Jugendphase
meist dunkel,

Schutzraum für viele Arten

r i Nationalpark
zS Harz

30% aller Tierarten
sind wenig wanderungsfähig


Wechselbeziehungen

Waldvegetation

Pflanzenfresser
Konsumenten
z. B. Wisent, Elch, Reh



Beutegreifer
z. B. Bär, Wolf, Luchs
Wohlbefinden des
Menschen

vielfältigen Wechselbeziehungen basiert, die auch für
das Wohlbefinden des Menschen Bedeutung haben.
Deutschland heute und als Vision der UNCED
nach Rio 1992
Die Ausgangssituation in Deutschland ist für den Natur-
schutz auch im internationalen Vergleich äußerst blama-
bel. Ökologisch nachhaltiges Wirtschaften und Rena-
turierungsmaßnahmen sind deshalb hochrangige Aufga-
ben einer enkelverträglichen Zukunftsgestaltung. Es gilt,
die Visionen der UNCED von Rio 1992 umzusetzen:
- Natur-Korridore und Grünbrücken vernetzen Le-
bensräume,
- Renaturierung aller Fließgewässer und ihre Unter-
haltung nach dem Vorbild der Natur,

Abb. 5: Ganz Mitteleuropa
war von Natur aus Wald, über
90 % unserer Tierarten sind
evolutionär Waldarten. Diese
ursprünglichen Wälder haben
völlig anders ausgesehen als
unsere heutigen Wirtschafts-
wälder. Aus der asynchron
ablaufenden Mosaik-Zyklus-
Dynamik kleinflächig struktu-
rierter Naturwälder können
wir lernen, wie die Natur
„funktioniert“ und was wir
künftig mehr beachten müssen,
wenn wir den Artenschwund
in unserem eigenen Interesse
abbremsen oder gar umkehren
wollen.
 
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