St. Michaelis in Hildesheim
Einführung, Forschungsstand und Datierung
9
Bernhard von Septimanien verheiratet war, um
840/45 auf ihrem Epitaph vermerken lassen: „[...]
Niemand soll vorübergehen, ohne diese [Inschrift] zu
lesen. Ich beschwöre alle, folgendes Gebet zu spre-
chen: Gütiger Gott, schenke ihr die ewige Ruhe und
gewähre ihr gnädig das ewige Leben in der
Gemeinschaft der Heiligen [,..]."8 Dass Bernward
seine Grabstätte zu Lebzeiten bestimmt und sogar
selbst gestaltet hat, ist nichts Besonderes; das ist bei-
spielsweise auch für Bischof Ulrich von Augsburg
(923-973), Abt Desiderius von Montecassino (1 OSS-
WS?) und Kaiser Otto I. (936-973) überliefert.9
Bernwards Denken und sein Bestreben, Reliquien zu
sammeln, Kirchen zu bauen und diese reich mit orna-
menta (Kultgegenständen) auszustatten, waren in sei-
ner Zeit nicht ungewöhnlich, sondern lagen ganz in
ottonischer Tradition. In der Vita des Kölner
Erzbischofs Bruno (953-965), Bruder Ottos des
Großen, die Ruotger im Auftrag von Brunos
Nachfolger Folkmar bis 968/69 verfasst hat, wird die
Leistung Brunos gewürdigt: „Was er getan, wie er
gelehrt, wie er sich für den Frieden der Kirchen Gottes
aufgeopfert hat, ist etwas, was man bewundern muß,
aber schwer in Worte fassen kann. [...] Was er im
Erweitern und Wiederherstellen von Kirchen (s/Ve
ampliandis sive restaurandis), im Übertragen von
Reliquien und Heiligengebeinen in sein Bistum, im
Bauen (componendis) privater und öffentlicher
Gebäude, in der Verwaltung von Häusern und
Besitzungen der heiligen Kirche Gottes aufs ganze
genommen geleistet hat, mag gegenüber den Taten
der anderen fast unvergleichlich erscheinen. [...]
Leiber und Reliquien von Heiligen und fromme
Gegenstände aller Art sammelte er von überallher, um
den Seinen immer mehr Fürsprecher zu verschaffen
und um durch ihre Verehrung den Ruhm des Herrn
bei vielen Völkern nah und fern zu verbreiten. Für sie
errichtete er mit allem Aufwand und mit Pracht (omni
sumptu et apparatu) reichlich ausgerüstete Stätten
und Dienste (loca et ministeria)."w
Die Stifter und Bauherren bemühten sich im Wett-
streit untereinander, immer großartigere Kirchen zu
bauen. Nach der Jahrtausendwende setzte ein allge-
meiner Bauboom ein, wie Rodulfus Glaber (980-
W50), ein unsteter Mönch in verschiedenen burgun-
dischen Klöstern und Anhänger der Kaiser Heinrich II.
und III., betont. Er hatte Wilhelm von Volpiano, der
990-W31 Abt des Klosters Saint-Benigne in Dijon
war, in den 1020er Jahren nach Italien begleitet und
schrieb auf dessen Anregung bis zu seinem Lebens-
ende (wohl W47) die später so genannten Historiae,
eine Darstellung der Ereignisse seit dem frühen 10.
Jahrhundert, insbesondere der Zeit um 1000 bis um
1033, die er für heilsgeschichtlich bedeutsam hielt.11
Darin heißt es: „Fast unmittelbar im dritten Jahr nach
der oben erwähnten Jahrtausend[wende] begann
man in fast der ganzen Welt, insbesondere in Italien
und Gallien, Kirchenbauten zu erneuern (innovariaec-
clesiarum basilicas), und zwar auch dort, wo sie nicht
notwendig waren, denn jede christliche Gemeinschaft
setzte ihren Ehrgeiz darein, gegenüber einer anderen
an einem stattlicheren (decentiore) [Kirchenbau]
Befriedigung zu finden. Es war nämlich so, als wenn
sie selbst die Welt verfertigten (excutiendo) und, das
Alte wegreißend, ihr ein weißes Kleid von Kirchen
(candidam aecclesiarum vestem) anziehen. Damals
schließlich haben die Gläubigen fast alle Kirchen der
Bischofssitze und auch die übrigen Klöster der ver-
schiedenen Heiligen sowie die kleineren Kapellen der
Dörfer in bessere verwandelt."12 So plante Wilhelm
von Volpiano seine Kirche Saint-Benigne in Dijon
„bewundernswerter unter den Kirchen ganz Galliens
und unvergleichbar durch die eigentümliche Anord-
nung auszuführen" (totius Galliae basilicis mirabilio-
rem atque propria positione incomperabilem perfice-
re disponebaf).'3 Abt Airard von Saint-Remi in Reims
beabsichtigte - gemäß der von dem Mönch Anselm
nach 1056 verfassten Chronik - nach seiner Abtswahl
1005, „seine Kirchen aus dem Alter in einen besse-
ren Zustand zu versetzen (qui ecclesias suas ex vetu-
state in potiorem statum studuerant reformare, deli-
beravit). Deshalb zog er Männer herbei, die als Erfah-
rene der Architektur dargeboten wurden (qui archi-
tecturae periti ferebantuf), und begann den Bau der
zukünftigen Kirche [Saint-Remi in Reims] aus Stein-
quadern von den Fundamenten an zu errichten, einen
aufwendigeren [Bau] (operosiorem), als er im galli-
schen Reich vorher bezüglich Renovierten beobachtet
worden ist, und einen anspruchsvolleren (ambitiosio-
rem) und daher einen für sich und die Menschen
jenes Zeitalters höchst vollkommenen [Bau] (incon-
summabilem')."'4 So steht Bernward ganz im Trend
der Zeit.
Es gibt aber auch kritische Stimmen zu den Neubau-
plänen in der ersten Hälfte des 11. Jahrhunderts; ein
Chronist moniert um 1070, der Eichstätter Bischof
Heribert (1022-1042) habe wie alle seine Nachfolger
sowohl neue Kirchen als auch neue Paläste und auch
Kastelle gebaut; durch die Dienstleistung haben sie
das Volk in höchste Armut gestürzt, „früherer Über-
fluß ist in Not zurückgefallen, und höchste Freude, die
unter den früheren Bischöfen war, in größte
Traurigkeit."15
In Bernwards Umkreis hatte schon vor der Jahrtau-
sendwende Otto I. die Pfalz und Bischofskirche (955-
1008) in Magdeburg gebaut. Um 1000 oder etwas
später entstand das Westwerk von St. Pantaleon in
Köln, und die 961 begonnene Stiftskirche in Gernrode
war vermutlich am Ende des 10. Jahrhunderts voll-
endet. Die Kirche des 997 zur Reichsabtei erhobenen
Einführung, Forschungsstand und Datierung
9
Bernhard von Septimanien verheiratet war, um
840/45 auf ihrem Epitaph vermerken lassen: „[...]
Niemand soll vorübergehen, ohne diese [Inschrift] zu
lesen. Ich beschwöre alle, folgendes Gebet zu spre-
chen: Gütiger Gott, schenke ihr die ewige Ruhe und
gewähre ihr gnädig das ewige Leben in der
Gemeinschaft der Heiligen [,..]."8 Dass Bernward
seine Grabstätte zu Lebzeiten bestimmt und sogar
selbst gestaltet hat, ist nichts Besonderes; das ist bei-
spielsweise auch für Bischof Ulrich von Augsburg
(923-973), Abt Desiderius von Montecassino (1 OSS-
WS?) und Kaiser Otto I. (936-973) überliefert.9
Bernwards Denken und sein Bestreben, Reliquien zu
sammeln, Kirchen zu bauen und diese reich mit orna-
menta (Kultgegenständen) auszustatten, waren in sei-
ner Zeit nicht ungewöhnlich, sondern lagen ganz in
ottonischer Tradition. In der Vita des Kölner
Erzbischofs Bruno (953-965), Bruder Ottos des
Großen, die Ruotger im Auftrag von Brunos
Nachfolger Folkmar bis 968/69 verfasst hat, wird die
Leistung Brunos gewürdigt: „Was er getan, wie er
gelehrt, wie er sich für den Frieden der Kirchen Gottes
aufgeopfert hat, ist etwas, was man bewundern muß,
aber schwer in Worte fassen kann. [...] Was er im
Erweitern und Wiederherstellen von Kirchen (s/Ve
ampliandis sive restaurandis), im Übertragen von
Reliquien und Heiligengebeinen in sein Bistum, im
Bauen (componendis) privater und öffentlicher
Gebäude, in der Verwaltung von Häusern und
Besitzungen der heiligen Kirche Gottes aufs ganze
genommen geleistet hat, mag gegenüber den Taten
der anderen fast unvergleichlich erscheinen. [...]
Leiber und Reliquien von Heiligen und fromme
Gegenstände aller Art sammelte er von überallher, um
den Seinen immer mehr Fürsprecher zu verschaffen
und um durch ihre Verehrung den Ruhm des Herrn
bei vielen Völkern nah und fern zu verbreiten. Für sie
errichtete er mit allem Aufwand und mit Pracht (omni
sumptu et apparatu) reichlich ausgerüstete Stätten
und Dienste (loca et ministeria)."w
Die Stifter und Bauherren bemühten sich im Wett-
streit untereinander, immer großartigere Kirchen zu
bauen. Nach der Jahrtausendwende setzte ein allge-
meiner Bauboom ein, wie Rodulfus Glaber (980-
W50), ein unsteter Mönch in verschiedenen burgun-
dischen Klöstern und Anhänger der Kaiser Heinrich II.
und III., betont. Er hatte Wilhelm von Volpiano, der
990-W31 Abt des Klosters Saint-Benigne in Dijon
war, in den 1020er Jahren nach Italien begleitet und
schrieb auf dessen Anregung bis zu seinem Lebens-
ende (wohl W47) die später so genannten Historiae,
eine Darstellung der Ereignisse seit dem frühen 10.
Jahrhundert, insbesondere der Zeit um 1000 bis um
1033, die er für heilsgeschichtlich bedeutsam hielt.11
Darin heißt es: „Fast unmittelbar im dritten Jahr nach
der oben erwähnten Jahrtausend[wende] begann
man in fast der ganzen Welt, insbesondere in Italien
und Gallien, Kirchenbauten zu erneuern (innovariaec-
clesiarum basilicas), und zwar auch dort, wo sie nicht
notwendig waren, denn jede christliche Gemeinschaft
setzte ihren Ehrgeiz darein, gegenüber einer anderen
an einem stattlicheren (decentiore) [Kirchenbau]
Befriedigung zu finden. Es war nämlich so, als wenn
sie selbst die Welt verfertigten (excutiendo) und, das
Alte wegreißend, ihr ein weißes Kleid von Kirchen
(candidam aecclesiarum vestem) anziehen. Damals
schließlich haben die Gläubigen fast alle Kirchen der
Bischofssitze und auch die übrigen Klöster der ver-
schiedenen Heiligen sowie die kleineren Kapellen der
Dörfer in bessere verwandelt."12 So plante Wilhelm
von Volpiano seine Kirche Saint-Benigne in Dijon
„bewundernswerter unter den Kirchen ganz Galliens
und unvergleichbar durch die eigentümliche Anord-
nung auszuführen" (totius Galliae basilicis mirabilio-
rem atque propria positione incomperabilem perfice-
re disponebaf).'3 Abt Airard von Saint-Remi in Reims
beabsichtigte - gemäß der von dem Mönch Anselm
nach 1056 verfassten Chronik - nach seiner Abtswahl
1005, „seine Kirchen aus dem Alter in einen besse-
ren Zustand zu versetzen (qui ecclesias suas ex vetu-
state in potiorem statum studuerant reformare, deli-
beravit). Deshalb zog er Männer herbei, die als Erfah-
rene der Architektur dargeboten wurden (qui archi-
tecturae periti ferebantuf), und begann den Bau der
zukünftigen Kirche [Saint-Remi in Reims] aus Stein-
quadern von den Fundamenten an zu errichten, einen
aufwendigeren [Bau] (operosiorem), als er im galli-
schen Reich vorher bezüglich Renovierten beobachtet
worden ist, und einen anspruchsvolleren (ambitiosio-
rem) und daher einen für sich und die Menschen
jenes Zeitalters höchst vollkommenen [Bau] (incon-
summabilem')."'4 So steht Bernward ganz im Trend
der Zeit.
Es gibt aber auch kritische Stimmen zu den Neubau-
plänen in der ersten Hälfte des 11. Jahrhunderts; ein
Chronist moniert um 1070, der Eichstätter Bischof
Heribert (1022-1042) habe wie alle seine Nachfolger
sowohl neue Kirchen als auch neue Paläste und auch
Kastelle gebaut; durch die Dienstleistung haben sie
das Volk in höchste Armut gestürzt, „früherer Über-
fluß ist in Not zurückgefallen, und höchste Freude, die
unter den früheren Bischöfen war, in größte
Traurigkeit."15
In Bernwards Umkreis hatte schon vor der Jahrtau-
sendwende Otto I. die Pfalz und Bischofskirche (955-
1008) in Magdeburg gebaut. Um 1000 oder etwas
später entstand das Westwerk von St. Pantaleon in
Köln, und die 961 begonnene Stiftskirche in Gernrode
war vermutlich am Ende des 10. Jahrhunderts voll-
endet. Die Kirche des 997 zur Reichsabtei erhobenen