Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Niedersächsisches Landesamt für Denkmalpflege [Hrsg.]; Institut für Denkmalpflege [Hrsg.]
Arbeitshefte zur Denkmalpflege in Niedersachsen: St. Michaelis in Hildesheim — Hannover: Niedersächsisches Landesamt für Denkmalpflege, Heft 34.2008

DOI Heft:
Kreutz, Kerstin; Richter, Heiko: Anthropologische Untersuchung der Skelettfunde von St. Michaelis in Hildesheim: Grabungskampagne 2006 - unter Berücksichtigung der bereits vorhandenen Lesefunde
DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.51162#0174
Lizenz: Creative Commons - Namensnennung - Weitergabe unter gleichen Bedingungen
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
170

Kerstin Kreutz/Heiko Richter
Anthropologische Untersuchung der Skelettfunde von St. Michaelis in Hildesheim:
Grabungskampagne 2006 -
unter Berücksichtigung der bereits vorhandenen Lesefunde

Bei der Grabungskampagne 2006 in St. Michaelis in
Hildesheim sind Bestattungen aus verschiedenen Jahr-
hunderten freigelegt worden. Bei den archäologi-
schen Untersuchungen von Dr. Helmut Brandorff sind
eine Vielzahl von Skeletten gefunden worden. Eine
genaue zeitliche Einordnung der Gräber bzw. gefun-
denen und/oder geborgenen Skelette folgt an andere
Stelle. Diese Fragestellung war nicht Gegenstand der
anthropologischen Bearbeitung der verfügbaren
Skelette.
Skelette sind Zeitzeugen und stellen ein wichtiges
Potential für die Ermittlung und Beschreibung der
Lebensumstände vergangener Zeiten dar. Sie sind oft-
mals die einzigen authentischen Informationsträger
vor langer Zeit verstorbener Menschen, die dauerhaft
neben den schriftlichen Aufzeichnungen, wenn sie
vorhanden sind, Auskunft gegeben können über die
Befindlichkeit zu Lebzeiten.
Menschliche Bestattungen in einer Kirche sind als
Ausdruck einer besonderen religiösen und somit
sozialen Stellung der einzelnen Person zu sehen. Es
sind nur wenige Menschen ausgewählt worden oder
konnten es sich leisten, dort beigesetzt zu werden.
Die genaue Lage eines Grabes innerhalb einer Kirche
gibt weitere Hinweise auf den Rang der Person inner-
halb des kirchlichen Lebens. Aus anthropologischer
Sicht ergeben sich daraus interessante Fragestel-
lungen. Menschen höherer sozialer Stellung könnten
sich eine bessere Ernährung leisten, brauchten unter
Umständen weniger harte körperliche Arbeit zu leis-
ten, würden damit einen besseren Gesundheits-
zustand erreichen können und würden länger leben
können. Die gefundenen Skelette repräsentieren
damit keinen Querschnitt der Bevölkerung ihrer Zeit.
Die Menschen hatten zu ihrer Lebenszeit besondere
Lebensumstände, die sie exponiert haben. Zu erwar-
ten wären weniger Zeichen chronischer Krankheiten
wie sie bei Personen mit widrigen Wohn- und Lebens-
verhältnissen normalerweise nachgewiesen werden,
dazu gehören zum Beispiel chronische Nasenneben-
höhlenerkrankungen durch zugige, kalt-feuchte
Wohnverhältnisse bei weniger qualitativ hochwertiger
Ernährung. Wohlstand, Bewegungsarmut und üppige
Ernährung setzen dagegen unter Umständen Zeichen
chronischer Stoffwechselerkrankungen (wie es zuneh-
mend in unserer heutigen Gesellschaft der Fall ist). Ein
religiöser Hintergrund könnte aber eher auf Askese
und Mäßigung schließen lassen.

Die frühen Gräber aus der Gründungszeit der Kirche
und die Bestattungen hoher kirchlicher Würdenträger
sind aufgrund der Lage und späterer Betonierarbeiten
in der Kirche nicht zugänglich. Während und nach
dem Zweiten Weltkrieg sind einige Grabbereiche
zusätzlich gestört worden. Die Steinsarkophage und
die Bestattungen des 18. und 19. Jahrhunderts sind
teilweise recht gut erhalten, so dass die anthropologi-
sche Untersuchung an einer vergleichsweise großen
Anzahl von Skeletten in situ und nach der Bergung
erfolgen konnte. Dazu sind die nicht einem Grab-
bereich zuzuordnenden Lesefunde aus der Grabungs-
kampagne 2006 und bereits vorhandenen Lesefunde
aus früheren Fundsituationen einbezogen worden,
die eingelagert worden waren und für die anthropo-
logische Untersuchung bereitgestellt wurden. Die
Lesefunde, die sich in einer großen Kiste (Knochen-
kiste) befunden haben, werden gesondert betrachtet.
Die Untersuchung stellt keine repräsentativen Ergeb-
nisse für eine Bevölkerung einer bestimmten Zeit dar,
sondern gibt Informationen über eine Auswahl unter-
suchter Skelette.
Es sind insgesamt 98 und zusätzlich 18 (15 Erwach-
sene und drei Kinder) Individuen aus einer Sammel-
kiste aus früheren Fundsituationen in der Kirche zu
ermitteln, wobei nicht auszuschließen ist, dass die
Lesefunde zu den bei der Grabungskampagne 2006
eröffneten Bestattungen gehören. Eine eindeutige
Zuordnung der einzelnen Knochenfunde ist makros-
kopisch nur bedingt möglich, so dass unter Umstän-
den eine doppelte Zuweisung für ein und dasselbe
Individuum als Grab- und/oder Lesefund erfolgt sein
kann. Es ist eine Anzahl von mindesten 116 Indivi-
duen nach den vorliegenden Untersuchungen be-
nennbar und nach den Skelettfunden nachvollziehbar.
Bereits bei der Grabung war bekannt bzw. erkennbar,
dass mehr Menschen in der Kirche bestattet worden
sind als geborgen oder freigelegt werden konnten. Es
ist zudem zu bedenken, dass in früheren Zeiten Bau-
arbeiten in der Kirche durchgeführt worden sind, wo-
bei unter Umständen bereits Skelette mit dem Bau-
schutt verbracht worden sein können.
Die Untersuchung der Skelette erfolgte makrosko-
pisch an der Universität Hildesheim (Abb. 1). Weitere
diagnostische Analysen können bzw. konnten aus
Zeitgründen nicht durchgeführt werden, da die
Skelette bereits Ende 2006 aus religiösen und organi-
 
Annotationen