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Niedersächsisches Landesamt für Denkmalpflege [Hrsg.]; Institut für Denkmalpflege [Hrsg.]
Arbeitshefte zur Denkmalpflege in Niedersachsen: St. Michaelis in Hildesheim — Hannover: Niedersächsisches Landesamt für Denkmalpflege, Heft 34.2008

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Binding, Günther: St. Michaelis in Hildesheim - Einführung, Forschungsstand und Datierung
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https://doi.org/10.11588/diglit.51162#0052
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Günther Binding

in uns wohnt, auf dass wir mit seiner Gnade würdig
seien, aufgebaut zu werden auf dem Fundament, das
unsere Lehrer sind, um so als auserwählte Steine, als
eingefügt in die Stände der Kirche befunden zu wer-
den und unseren Schöpfer und Erlöser, den Richter
der Lebenden und Toten, dereinst von Angesicht zu
Angesicht schauen und mit ihnen loben zu dürfen in
alle Ewigkeit. Amen."
Die Zusammenstellung der Namen Benjamin und
Matthäus auf dem Grundstein verweist aber auch auf
Epheser 2,20: „Erbaut auf den Grund der Apostel und
Propheten, da Jesus Christus der Eckstein ist", wobei
Bernward die Propheten durch die zwölf Stämme
Judä ersetzt; unter den zwölf Söhnen Jakobs ist Benja-
min neben Joseph einer der beiden Lieblingssöhne.
In engem Anschluss an die oft nachgebildete Hierony-
mus-Exegese der Josua-Stelle Duodecim lapides, qui
de Jordanis illuc translati alveo, duodecim apostolo-
rum fundamenta firmaverant, interpretieren auch
Gregor der Große, Alcuin und schließlich Hrabanus
Maurus (780-856): „Die Steine also, die in das Funda-
ment des Tempels gelegt werden, um das ganze Ge-
bäude zu tragen, sind recht eigentlich die Propheten
und Apostel, die das Wort und das Sakrament der
Wahrheit sichtbar und unsichtbar von der Weisheit
Gottes selbst empfangen haben" (lapides qui in fun-
damento templi ad portandum aedificium omne
ponebantur, proprie sunt prophetae et apostoli, qui
verbum et sacramentum veritatis sive visibiliter sive
invisibiliter ab ipsa Dei sapientia perceperunt)40
Beispielhaft sei auf den Haimo von Auxerre (um
850/60) zugeschriebenen Kommentar zur Apokalypse
verwiesen, wo sich durch die Zusammenstellung ein-
zelner Bibelstellen und unter Rückgriff auf Beda
Venerabilis und Ambrosius Autpertus eine Gesamt-
deutung der Fundamente findet. Mit Bezug auf
Offenbarung 21,14 „Und die Mauer der Stadt
[Jerusalem] hatte zwölf Fundamente", erläutert
Haimo: „Die Mauer ist die Stadt selbst, die zwölf
Fundamente hat, weil sie auf der Lehre der Apostel
und Propheten ruht." Später sagt er, die zwölf
Fundamente sind „die Patriarchen, die Apostel und
die übrigen Lehrer."41 Diese Vorstellung und Deutung
ist allgemein verbreitet und war auch Bernward
gegenwärtig. Berges/Rieckenberg weisen des weite-
ren auf den Einfluss der Konstantinlegende hin, auf
die sich auch ausdrücklich bezogen wird; zum Beispiel
beschloss man bei der Grundsteinlegung des Klosters
Pegau bei Leipzig 1091, wie um die Mitte des 12.
Jahrhunderts berichtet wird, benedictiones funda-
menti et cimiteriorum [...] propriis humeris per duode-
cim angulos fundamenti tot idem cophinos lapidum
primus deferrret, scilicet imitando factum religiosissi-
mi principis Constantin!42

Auf jeden Fall hat Bernward durch das Auslegen der
durch Inschrift gewidmeten Grundsteine seinen
Kirchenbau fest gefügt. Die rational durchdachte,
ordnende und planvoll lenkende Tätigkeit ist der
gemeinsame Ansatz, der im Rahmen einer allgemei-
nen Kosmologie bevorzugt die Erschaffung der Welt
und die Ordnung des Kosmos in Bauvorstellungen
erfasst und vornehmlich die Sakralarchitektur als
Abbild des Kosmos begreift. Das menschliche Bauen
repräsentiert die schöpferische Tat Gottes, die in
Amos 9,6 mit aedificare und fundare ausgedrückt
wird. Die Tätigkeit des Architekten ist der Forderung
im Liber Sapientiae 11,21 verpflichtet: Omnia mensu-
ra et numero et pondere disposuisti. Die Übereinstim-
mung von Architektentätigkeit und Schöpfertum
führt dann schließlich zu der Definition bei Thomas
von Aquin in seinem Kommentar der Metaphysik des
Aristoteles: architector dicitur quasi artifex principalis,
und Hrabanus Maurus sagt in De universo 21,1-4:
Architecti caementarii sunt, qui disponunt in funda-
mentis. Bernward hat sich durch die umsichtige, plan-
volle Leitung und die geordnete, tatkräftige Erstellung
eines Gebäudes als sapiens architectus erwiesen,
denn Paulus sagt in 1. Korinther 3,10 „Ich habe wie
ein weiser Architekt die Fundamente gesetzt".43
(siehe dazu ausführlich V. „Bischof Bernward von
Hildesheim als sapiens architectus", und VI. „Zusam-
menfassung")
Aus diesen Ausführungen ergibt sich in ausreichender
Deutlichkeit, dass Bernward im Jahre 1010 in einer
feierlichen Zeremonie durch das Auslegen von
Grundsteinen das Kirchengebäude als Ganzes fest
gefügt hat und in Anlehnung an das in der Apoka-
lypse beschriebene himmlische Jerusalem die ecclesia
materialis auf die ecclesia spiritualis bezogen hat; das
findet aber nur dann eine sinnvolle Erklärung, wenn
der Kirchenbau als eine Einheit aufgefasst wird und
nicht abschnittsweise gedacht und gebaut wurde.44
Nur wenige Wochen vorher muss die Vermessung
vorgenommen und zumindest ein Teil der Funda-
mentgruben ausgehoben worden sein. Auch der Bau
selbst zeigt heute noch bei angemessener Betrach-
tung überzeugend deutlich, dass er in seiner ganzen
Ausdehnung einheitlich hochgemauert wurde, denn
sowohl am westlichen als auch am östlichen Quer-
schiff werden die nur 1,0 cm vorspringenden „Ecklise-
nen" auf abgeschrägten großen Eckquadern als
Sockel nach 6-8 Schichten am östlichen Querschiff
und 12 Schichten an der alten Nordwand des
Westquerschiffs, wo die Krypta 1015 schon fertig
war, aufgegeben (siehe „Forschungsstand"). Dieser
Planwechsel liegt etwa in Höhe der Traufe der
Seitenschiffe und oberhalb der Mittelschiffarkaden
mit den Würfelkapitellen und darin eingeschlossenen
Reliquien.
 
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