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St. Michaelis in Hildesheim
Einführung, Forschungsstand und Datierung

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Kürzer ist die mit Niello eingelegte Inschrift auf der
Rückseite des das Kreuz oben abschließenden Schrift-
feldes auf dem silbernen, 31 cm hohen Bernward-
Kreuz aus St. Michaelis, heute im Dom- und Diözesan-
museum (nach 1007, vor 1022):19 „Bischof Bernward
hat dieses gemacht." (Bernwardus presul fecit hoc).
Ähnlich lautet die Inschrift auf einer Patene in St.
Martini zu Braunschweig, die wahrscheinlich aus dem
Kirchenschatz von St. Michaelis in Hildesheim
stammt:20 „Bischof Bernward hat mich gemacht."
(Bernwardus presul me fecit).
Auf dem Rückendeckel des so genannten Kostbaren
Evangeliars aus St. Michaelis, heute im Dom- und
Diözesanmuseum (Anfang 11. Jahrhundert oder
1015?) heißt es: „Dieses herausragende Werk, durch
die Kunst des Bischofs Bernward geschaffen, sieh es
an, Gott, und Du, Deine gütige Mutter." (Hoc opus
eximium Bernwardi presulis arte factum cerne Deus
mater et alma tua).21 Im Guntbald-Evangeliar von
1011 steht:22
„Diesen Codex habe ich, Bernward, schreiben lassen,
und indem ich befahl, meine Schätze hinzuzufügen,
wie du siehst, habe ich [ihn] dem vom Herrn
Geliebten, dem hl. Michael, übergeben. Gottes Fluch
treffe jeden, der ihn ihm wegnimmt." Es folgt von
Guntbalds Hand ein Eintrag mit der Jahresangabe
1011.
„Hunc ego Bernwardus codicem conscribere fecil
atque meas ut cernis opes superaddere iubens./
Dilecto dorn in i dederam sancto Michaheli./
Sit anathema dei quisquis sibi dempserit illum."
Aus der Beschriftung ist zu entnehmen, dass Bern-
ward den Codex von Guntbald schreiben ließ und
einen Teil des Geldes selbst aufgebracht hat.
Die fünf Inschriften sind nicht dahingehend zu inter-
pretieren, dass einmal Bernward die Silberleuchter
und das Guntbald-Evangeliar in Auftrag gegeben hat
(conflare iubebat und conscribere feci) und zum
andern das Silberkreuz und das Kostbare Evangeliar
selbst geschaffen hat (fecit und Bernwardi arte fac-
tum), sondern auch fecit und factum sind entspre-
chend der häufig in den Quellen für Bauherren formu-
lierten Mitteilung aedificavit oder construxit jeweils
mit „ließ schaffen" zu deuten.23 Das besagt aber
nicht, ob und in welchem Umfang Bernward auf die
formale und ikonologische Gestaltung der Werke Ein-
fluss genommen hat.
In dem Inventarwerk „Die Deutschen Inschriften" hat
Christine Wulf, unter Benutzung der Vorarbeiten von
Hans Jürgen Rieckenberg und Wilhelm Berges, die
Hildesheimer Inschriften bearbeitet, dabei aber in der
zusammenfassenden Würdigung von Bernwards
Absichten und Leistungen für St. Michaelis mit ihren

Äußerungen den Informationsgehalt der Inschriften
allzu großzügig interpretiert: „Die frühe Inschriften-
überlieferung des St. Michaelisklosters dokumentiert
in ungewöhnlicher Dichte die glanzvollen Anfänge
der Stiftung Bischof Bernwards. Neben Bau- und
Weiheinschriften [nur zwei!] sind es vor allem die
Stiftungsinschriften auf den überwiegend im Dom-
Museum erhaltenen Objekten der Kirchenausstattung
[sieben Stück einschließlich der Türen, die Wulf erneut
St. Michaelis zuweist], die Bernwards persönliche
Nähe zu seiner Stiftung erkennen lassen. Er präsen-
tiert sich in diesen Texten nicht nur als „materieller"
Stifter, er dokumentiert darin auch ausdrücklich seine
inspirierende Verantwortung für die technische und
künstlerische Ausarbeitung sowie besonders für das
theologische Konzept der gestifteten Kunstwerke.
Bernward hat [...] seine Stiftungen als Bausteine eines
Gebäudes aus verdienstvollen Leistungen verstanden,
das Resultat seines irdischen Lebens und Grundlage
seiner systematisch angestrebten künftigen Heiligkeit
[I] sein sollte."24 Eine solch weitgehende Inter-
pretation ist aus den Inschriften nicht zu erschließen.
Vielmehr entspricht die Formulierung von Peter
Hirschfeld eher der Rolle von Bernward: „Trotz seines
handwerklichen Interesses überließ er dies doch wohl
den Werkmeistern und Steinmetzen, die aber gewiss
die präzisesten Anweisungen bekamen."25
Bernward verstand sich auch wie der St. Galier Mönch
Notker (gest. 975)26 auf die Heilkunst, wie Thietmar
von Merseburg überliefert. Anfang August 1012
hatte man Bernward an das Sterbebett des Magde-
burger Erzbischofs Walthard gerufen, „um des Se-
gens, aber auch um seiner Heilkunst willen, auf die er
sich gut verstand" (causa benedictionis et, quam bene
sciebat, curationis gratia vocatum),27 Walthard starb
am 12. August 1012. Medizin war nach Hugo von St.
Viktor (um 1096-1141) eines der sieben Wissensge-
biete (scientiae) der mechanica.28
Artes mechanicae
Die mechanica definiert der Spanier Isidor von Sevilla
(gest. 636) in einer auf das Früh- und Hochmittelalter
Einfluss nehmenden Weise: „Die mechanica ist eine
Art Erfahrung oder Lehre (peritia vel doctrina), zu der
genau die Verfertigung aller Dinge zusammenlau-
fen."29 Isidor verwendet mechanica somit als abstrak-
ten Begriff, als das Prinzip jeder Herstellung von
Dingen, das heißt als rationalen Ausgangspunkt jeder
handwerklichen oder technischen Fertigung. Dies
wird um 800 in einem Anhang zur Rhetorik Alkuins
näher erläutert: „Mechanica ist die Erfahrung der her-
stellenden Fertigkeiten (peritia fabricae artis) in
Metallen, Hölzern und Steinen."30 Erst im 12. Jahr-
hundert beginnen theoretische Erörterungen über die
künstlerischen und technischen Handwerke. Um
 
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