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Helmut Brandorff

Alle geborgenen und anthropologisch untersuchten
Skelette wurden im Februar 2007 im Ostquerhaus in
der Gruft vor der südlichen Nebenapsis wieder beige-
setzt.
Baubefunde
(s. Abb. „Bau- und Umbauphasen von St. Michaelis"
im Vorsatzblatt)
Der Gründungsbau
Die Fundamente der Außenwände und die Streifen-
fundamente zwischen den Säulen und Pfeilern der
Arkaden erscheinen wie aus einem Guss. Die einzel-
nen Fundamentteile binden ineinander ein und wur-
den in voller Breite der Baugruben verlegt. Das Stein-
material entspricht dem für das Aufgehende verwen-
deten Sandstein. 13 Die Formate sind Platten und Blö-
cke unterschiedlicher Größe, die unteren Lagen zei-
gen in der Regel ihre ursprünglichen Kanten in Bruch-
qualität, wobei einige so exakt, rechtwinklig und glatt
gebrochen sind, dass man der Täuschung erliegen
könnte, sie seien gesägt (zum Beispiel in Schnitt 8 und
13). Die oberen Lagen sind zunehmend zur Höhe zum
Teil sorgfältig zugerichtet. Untereinander sind die
Steinquader, gegebenenfalls unter Verwendung dün-
ner Ausgleichslagen, in unterschiedlichen Mengen an
Mörtel gesetzt. Der Mörtel ist bis auf wenige Stellen
immer von gleicher gelblicher Farbe und Konsistenz.
Das Fundament scheint damit in seiner Gesamtheit
nach dem ursprünglichen Bauplan Bischof Bernwards
als ein einziger Bauabschnitt fortlaufend gelegt wor-
den zu sein. Die lagenweise unterschiedlich reichliche
Verwendung des Mörtels legt den Schluss nahe, dass
immer zwei bis drei Lagen in einem Arbeitsschritt ge-
legt wurden.
Die Gründungstiefe scheint im Süden geringfügig tie-
fer zu sein als im Norden. Ganz besonders ausgeprägt
ist dieser Befund im Nordwestquerhaus, wo das Fun-
dament der Nordwand nur circa einen halben Meter
unter den Fußboden reicht. Der Baugrund, bestehend
aus einem steinharten zähen Lehmmergel, wurde hier
wohl zu Recht als genügend tragfähig eingeschätzt.
Die Fundamente bzw. die Spannfundamente unter
den Säulen der Querschiffe weichen von der einheitli-
chen Bauweise ab. Die zugehörigen Baugruben ha-
ben zum Teil abgeschrägte Böschungen und sind zum
Teil weniger tief. Sie sind in Tonmasse gesetzt und oft
nur in den oberen Lagen direkt unter den Säulen ver-
mörtelt. Das Steinmaterial ist oft unregelmäßig und
kleinteilig. Es hat den Anschein, als seien diese Bau-
teile bei der Gesamtanlage des Fundamentes zu-
nächst „vergessen" worden. Erst als es zum Bau des
Aufgehenden kam, sind sie möglicherweise eilig ein-
getieft und gesetzt worden.

Das Spannfundament im Nordwestquerhaus zeigt
eine andere Bauweise. Wohl auf Grund des härteren
Baugrundes (s. o.) reicht es nicht einmal einen halben
Meter unter das Fußbodenniveau. Bis auf die sehr
glatte und plane oberste Lage ist das Steinmaterial
sehr unregelmäßig. Die Steine sind in einen helleren
Mörtel gesetzt, der dem in den obersten Lagen der
Kirchensüdwand verwendeten ähnelt. Die unterste
Steinlage lässt Reste einer Auflage von Tonmaterial
erkennen. Es könnte sich bei dem Befund um eine
frühe Umbau- oder Reparaturphase handeln, mögli-
cherweise im Zusammenhang mit dem Bau der hier
ansetzenden Klausurgebäude. Einen Hinweis auf wie-
derholte Bauaktivitäten in diesem Bereich gibt ein
Befund an der Eingangssituation des Nordwesttur-
mes. Hier befinden sich möglicherweise drei Ein-
gangsstufen bzw. Schwellsteine unterschiedlicher
Bauphasen übereinander in der Wand (Abb. 35). Der
Zugang verlief danach nicht zu allen Zeiten über eine
außen angesetzte Treppe, vielmehr begannen die Stu-
fen in den Turm bereits mit einer Schwelle in Fuß-
bodenhöhe im Turm selbst.
Das Aufgehende der Kirche und die übrigen Klos-
teranlagen werden an unterschiedlichen Stellen in
mehreren aufeinander folgenden, gleichzeitigen oder
durch Unterbrechungen gekennzeichneten Zeitab-
schnitten errichtet worden sein.
Die Vorgehensweise, als ersten Bauabschnitt das
Fundament in seiner Gesamtheit als real sichtbaren
Bauplan zu errichten, entsprach offenbar den Gepflo-
genheiten des mittelalterlichen Baubetriebs. Die Be-
schreibung des Bauvorganges von St. Remi in Reims
lässt zum Beispiel diesen Schluss zu, wie auch die des
Doms zu Modena und des Doms zu Speyer. Archäo-
logisch belegt ist diese Bauweise unter anderem bei
der Kirche St. Ursula in Köln.14 Für die Tiefe der Fun-
damentierung gab es ebenfalls Regeln. So wird in den
„mappae clavicula", einer auf antike Wurzeln zurück-
gehenden Sammlung von Bauanweisungen, für eine
Bauwerkshöhe von vier Menschenhöhen eine Funda-
mentierung von einer Menschenhöhe vorgeschlagen.
Bei festem Untergrund kann aber auch eine Elle pro
Menschenhöhe ausreichend sein.15 Das bedeutet,
dass für St. Michaelis auf jeden Fall von einem festen
Bauuntergrund ausgegangen wurde, da das Verhält-
nis von 4 : 1 schon bei den circa 8 m hohen Außen-
wänden mit maximal 180 cm unterschritten wurde,
erst recht aber bei den 150 cm tiefen Fundamenten
unter den Mittelschiffsarkaden, wo die Höhe der
Dachtraufe circa 17 m beträgt und dem circa 27 m
hohen Südosttreppenturm mit einer Fundament-
mächtigkeit von circa 170 cm. Für den Südwestquer-
arm erwies sich die geringe Fundamenttiefe allerdings
möglicherweise als Fehleinschätzung (s.u.).
 
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