Habbo Knoch
Zusammenfassung
73
kaum ein zweites Objekt. Der monumentale Beton-
bau sollte als modernste Produktionsanlage für seriell
gefertigte U-Boote zum erhofften „Endsieg" beitra-
gen. Tausende von Zwangsarbeitern und KZ-Häft-
lingen waren unter unmenschlichen Bedingungen im
Einsatz. In Betrieb genommen wurde der Bunker dann
vor Kriegsende nicht mehr, er ließ sich aber nach 1945
auch nicht zerstören. Für die Bevölkerung in der
Umgebung und der Stadt war der Bunker jahrzehnte-
lang ein verweigertes Monument, eine übersehene
Erinnerung an den Krieg. Auch hier geht die langsa-
me Wiederentdeckung als Ort von historischer Be-
deutung auf die 1980er Jahre zurück und hat nach
intensiven Diskussionen über den „Denkort" Bunker
Valentin nun die Perspektive, zur Dokumentations-
und Gedenkstätte weiterentwickelt zu werden.
Ein weiteres prägendes Beispiel für die späte Ent-
deckung von „Täterorten" ist der ehemalige Sitz von
Gestapo und SS-Reichssicherheitshauptamt an der
seinerzeitigen Prinz-Albrecht-Straße in Berlin. Vom
historischen Gebäude blieben bei Kriegsende nur Fun-
damentreste insbesondere der Gestapozellen erhal-
ten, die im Schatten der Berliner Mauer bis Mitte der
1980er Jahre verborgen blieben. Durch eine bürger-
schaftliche Initiative wurde die Öffentlichkeit auf die-
sen zentralen Täterort aufmerksam. Nach langjähri-
gen Provisorien konnte an dieser administrativen
Schlüsselstelle der nationalsozialistischen Vernich-
tungspolitik im Mai 2010 endlich das „Dokumenta-
tionszentrum Topographie des Terrors" eröffnet wer-
den.
Anders als der Bunker Valentin oder der Sitz von Ge-
stapo und Reichssicherheitshauptamt in Berlin haben
Repräsentationsbauten, Aufmarschfelder, Kultstätten
oder Funktionsgebäude der NS-Herrschaft in der
Regel nur einen mittelbaren Bezug zu Verfolgung und
Massenmord. Die Wewelsburg bei Paderborn ist hier
eine Ausnahme, da beim Aufbau der SS-Kultburg
Häftlinge eines dafür eingerichteten Konzentrations-
lagers eingesetzt wurden. Thingstätten, Ehrenhaine,
zentrale Massenveranstaltungsgelände oder Herr-
schaftsgebäude stehen für die Klaviatur und den
Wandel der emotionalen Politik im Nationalsozialis-
mus, für eine gelenkte Meinungsbildung und das
Formenspektrum einer gesteuerten Vergemeinschaf-
tung, die von der eingeschworenen SS-Elite bis zur
vermeintlichen „Volksgemeinschaft" reichte.
So gibt es einerseits inzwischen eine deutliche Hal-
tung zugunsten der Sicherung von baulichen Hinter-
lassenschaften der NS-Zeit in einem übergreifenden
Sinn - bis hin zur Errichtung und Unterhaltung von
Dokumentationszentren oder Ausstellungen auf dem
Gelände der Nürnberger Reichsparteitage, am Ober-
salzberg oder in Prora. Andererseits besteht kategori-
al (welche Bauten gehören dazu?), begrifflich (wie
sind diese Objekte zu bezeichnen?) und konzeptionell
(wie sollen diese Objekte erläutert und genutzt wer-
den?) noch erheblicher Diskussionsbedarf zum Ort
dieser historischen Stätten in der Erinnerungsland-
schaft des 20. Jahrhunderts.
II. Vor diesem Hintergrund haben die Experten des
Symposiums nun einhellig empfohlen, den Bückeberg
als Baudenkmal auszuweisen. Die Empfehlung der
Experten des Symposiums richtet sich eindeutig dage-
gen, die sichtbare Unsichtbarkeit fortzusetzen, den
Bestand des Geländes durch Baumaßnahmen zu ge-
fährden oder den Verfall der Bau- oder Bodenzeugen
in Kauf zu nehmen. Zugleich war deutlich, dass es
nicht um einen Erhalt an sich, sondern nur um einen
Erhalt aufgrund der besonderen historischen
Bedeutung des Bückebergs gehen kann. Was spricht
dafür, und welche Überlegungen haben sich im
Rahmen der Diskussionen ergeben, wie mit dem Ort
zukünftig umzugehen ist?
1. Der Bückeberg war zwischen 1933 und 1937 als
„emotionaler Erlebnisraum" (Inge Marszolek) eine
der bedeutendsten und größten Stätten national-
sozialistischer Selbstinszenierung. Dort wurde mit
der charismatischen Überhöhung Hitlers insbeson-
dere eine „affektive Vereinnahmung" (Detlef
Schmiechen-Ackermann) der vor Ort und medial
Teilnehmenden angestrebt.
2. Das über mehrere Jahre hinweg geschaffene
Landschaftsbild des Festbereichs und seiner Um-
gebung sowie erhebliche Überreste der Infrastruk-
tur sind noch substantiell erhalten und ohne weite-
re Erschließungsmaßnahmen im Gelände kontu-
riert erkennbar. Der Bückeberg ist damit gegen-
wärtig einer von wenigen erhaltenen Repräsenta-
tionsbauten der NS-Zeit vergleichbarer Bedeutung.
3. Der historische Ort bietet in seiner noch gegebe-
nen Anschaulichkeit Anlass, seine konkrete Nut-
zung als Spiegel der Entwicklung und Funktions-
weisen der NS-Herrschaft in den ersten Jahren
nach 1933 zu sehen.
a. In ihrer kultischen und auf ein Massenerleb-
nis abzielenden Form offenbaren die Reichsern-
tedankfeste Verheißung, Realität und Beschrän-
kungen der Gemeinschaftserfahrung und Bin-
nenkohäsion des Nationalsozialismus.
b. Dies ist anschlussfähig für die gegenwärtige
Forschungsdebatte unter dem Begriff „Volksge-
meinschaft", die den Blick auf das Verhältnis
der deutschen Mehrheitsgesellschaft zum Na-
tionalsozialismus lenkt.
c. Die schrittweise Militarisierung der Feierlich-
keiten am Bückeberg macht die Veranstaltun-
gen zu einem Seismographen der Hinwendung
zu einer aggressiven Aufrüstungs- und Kriegs-
politik des Regimes. Sie geht mit einem Bedeu-
tungsverlust der zunächst primären Zielgruppe
Zusammenfassung
73
kaum ein zweites Objekt. Der monumentale Beton-
bau sollte als modernste Produktionsanlage für seriell
gefertigte U-Boote zum erhofften „Endsieg" beitra-
gen. Tausende von Zwangsarbeitern und KZ-Häft-
lingen waren unter unmenschlichen Bedingungen im
Einsatz. In Betrieb genommen wurde der Bunker dann
vor Kriegsende nicht mehr, er ließ sich aber nach 1945
auch nicht zerstören. Für die Bevölkerung in der
Umgebung und der Stadt war der Bunker jahrzehnte-
lang ein verweigertes Monument, eine übersehene
Erinnerung an den Krieg. Auch hier geht die langsa-
me Wiederentdeckung als Ort von historischer Be-
deutung auf die 1980er Jahre zurück und hat nach
intensiven Diskussionen über den „Denkort" Bunker
Valentin nun die Perspektive, zur Dokumentations-
und Gedenkstätte weiterentwickelt zu werden.
Ein weiteres prägendes Beispiel für die späte Ent-
deckung von „Täterorten" ist der ehemalige Sitz von
Gestapo und SS-Reichssicherheitshauptamt an der
seinerzeitigen Prinz-Albrecht-Straße in Berlin. Vom
historischen Gebäude blieben bei Kriegsende nur Fun-
damentreste insbesondere der Gestapozellen erhal-
ten, die im Schatten der Berliner Mauer bis Mitte der
1980er Jahre verborgen blieben. Durch eine bürger-
schaftliche Initiative wurde die Öffentlichkeit auf die-
sen zentralen Täterort aufmerksam. Nach langjähri-
gen Provisorien konnte an dieser administrativen
Schlüsselstelle der nationalsozialistischen Vernich-
tungspolitik im Mai 2010 endlich das „Dokumenta-
tionszentrum Topographie des Terrors" eröffnet wer-
den.
Anders als der Bunker Valentin oder der Sitz von Ge-
stapo und Reichssicherheitshauptamt in Berlin haben
Repräsentationsbauten, Aufmarschfelder, Kultstätten
oder Funktionsgebäude der NS-Herrschaft in der
Regel nur einen mittelbaren Bezug zu Verfolgung und
Massenmord. Die Wewelsburg bei Paderborn ist hier
eine Ausnahme, da beim Aufbau der SS-Kultburg
Häftlinge eines dafür eingerichteten Konzentrations-
lagers eingesetzt wurden. Thingstätten, Ehrenhaine,
zentrale Massenveranstaltungsgelände oder Herr-
schaftsgebäude stehen für die Klaviatur und den
Wandel der emotionalen Politik im Nationalsozialis-
mus, für eine gelenkte Meinungsbildung und das
Formenspektrum einer gesteuerten Vergemeinschaf-
tung, die von der eingeschworenen SS-Elite bis zur
vermeintlichen „Volksgemeinschaft" reichte.
So gibt es einerseits inzwischen eine deutliche Hal-
tung zugunsten der Sicherung von baulichen Hinter-
lassenschaften der NS-Zeit in einem übergreifenden
Sinn - bis hin zur Errichtung und Unterhaltung von
Dokumentationszentren oder Ausstellungen auf dem
Gelände der Nürnberger Reichsparteitage, am Ober-
salzberg oder in Prora. Andererseits besteht kategori-
al (welche Bauten gehören dazu?), begrifflich (wie
sind diese Objekte zu bezeichnen?) und konzeptionell
(wie sollen diese Objekte erläutert und genutzt wer-
den?) noch erheblicher Diskussionsbedarf zum Ort
dieser historischen Stätten in der Erinnerungsland-
schaft des 20. Jahrhunderts.
II. Vor diesem Hintergrund haben die Experten des
Symposiums nun einhellig empfohlen, den Bückeberg
als Baudenkmal auszuweisen. Die Empfehlung der
Experten des Symposiums richtet sich eindeutig dage-
gen, die sichtbare Unsichtbarkeit fortzusetzen, den
Bestand des Geländes durch Baumaßnahmen zu ge-
fährden oder den Verfall der Bau- oder Bodenzeugen
in Kauf zu nehmen. Zugleich war deutlich, dass es
nicht um einen Erhalt an sich, sondern nur um einen
Erhalt aufgrund der besonderen historischen
Bedeutung des Bückebergs gehen kann. Was spricht
dafür, und welche Überlegungen haben sich im
Rahmen der Diskussionen ergeben, wie mit dem Ort
zukünftig umzugehen ist?
1. Der Bückeberg war zwischen 1933 und 1937 als
„emotionaler Erlebnisraum" (Inge Marszolek) eine
der bedeutendsten und größten Stätten national-
sozialistischer Selbstinszenierung. Dort wurde mit
der charismatischen Überhöhung Hitlers insbeson-
dere eine „affektive Vereinnahmung" (Detlef
Schmiechen-Ackermann) der vor Ort und medial
Teilnehmenden angestrebt.
2. Das über mehrere Jahre hinweg geschaffene
Landschaftsbild des Festbereichs und seiner Um-
gebung sowie erhebliche Überreste der Infrastruk-
tur sind noch substantiell erhalten und ohne weite-
re Erschließungsmaßnahmen im Gelände kontu-
riert erkennbar. Der Bückeberg ist damit gegen-
wärtig einer von wenigen erhaltenen Repräsenta-
tionsbauten der NS-Zeit vergleichbarer Bedeutung.
3. Der historische Ort bietet in seiner noch gegebe-
nen Anschaulichkeit Anlass, seine konkrete Nut-
zung als Spiegel der Entwicklung und Funktions-
weisen der NS-Herrschaft in den ersten Jahren
nach 1933 zu sehen.
a. In ihrer kultischen und auf ein Massenerleb-
nis abzielenden Form offenbaren die Reichsern-
tedankfeste Verheißung, Realität und Beschrän-
kungen der Gemeinschaftserfahrung und Bin-
nenkohäsion des Nationalsozialismus.
b. Dies ist anschlussfähig für die gegenwärtige
Forschungsdebatte unter dem Begriff „Volksge-
meinschaft", die den Blick auf das Verhältnis
der deutschen Mehrheitsgesellschaft zum Na-
tionalsozialismus lenkt.
c. Die schrittweise Militarisierung der Feierlich-
keiten am Bückeberg macht die Veranstaltun-
gen zu einem Seismographen der Hinwendung
zu einer aggressiven Aufrüstungs- und Kriegs-
politik des Regimes. Sie geht mit einem Bedeu-
tungsverlust der zunächst primären Zielgruppe