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Deutsches Archäologisches Institut / Abteilung Athen [Hrsg.]
Mitteilungen des Deutschen Archäologischen Instituts, Athenische Abteilung — 44.1919

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Lücken, Gottfried von: Archaische griechische Vasenmalerei und Plastik
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https://doi.org/10.11588/diglit.29500#0176
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Gottfried v. Lücken

mit der Tiefe, die ihnen das Hochrelief bot, nichts anzufangen. Das
Relief bleibt auch hier eine Abart der Fläclmnkunst. Ob sich die Figuren
vom Grund lösen, das ist für die Frage der Verkürzungen irrelevant.
Noch bei dem Giebel des Siphnierschatzhauses von Delphi ist, obwohl
die Figuren schon stark vom Grund gelöst sind, nicht der geringste
Ansatz zur Darstellung der Dreiviertelansicht gemacht. Die Figuren
nähern sich damit wohl, wie oben betont wurde, der Freiplastik; für
die Entwicklung der Verkürzung bleibt das ohne Bedeutung. Es soll
sich nach Deila Seta im Relief stärker als in der Malerei die Forde-
rung geltend gemacht haben, die Figuren mit dem Beschauer in Ver-
bindung zu setzen und das Unnatürliche, das darin lag, daß man die
Beine im Profil, den Kopf von vorn gab, auszugleichen. Ohne Zweifel
sind die beiden Punkte, die Deila Seta hier berührt, von einiger Bedeu-
tung für das Aufkommen der Dreiviertelansicht. Nur ist nicht recht
einzusehen, warum sie für das Relief mehr in Frage kommen als für
die Malerei.
Das Relief wäre durch diese äußerlichen Veranlassungen sicher nie
dazu gekommen, die Tiefe darzustellen, wenn nicht das Streben nach
Körperlichkeit in der ganzen griechischen Kunst gelegen hätte, ln der
Tat kann man sehen, daß die Dreiviertelansicht in der Vasenmalerei
ebenso früh aufkommt wie bei den Skulpturen der Giebel (oben S. 147).
Weder historische Tatsachen noch Wahrscheinlichkeitsgrüude sprechen
dafür, daß das Hochrelief die Verkürzung eher gekannt habe als die
Malerei und sie dieser übertragen habe.
Deila Seta faßt das ganze Problem zu eng. Das, was die Malerei
jetzt neu gewinnt, ist nicht nur diese oder jene neue Ansicht oder Ver-
kürzung. Es ist ein Wandel des Sinnes für Körperlichkeit, der sich in
der Stilisierung des Gewandes und der Behandlung der Körperformen
mehr noch zeigt als in dem Aufkommen der Verkürzung. Und das kann
man nicht durch eine Übertragung aus dem Relief erklären. Man muß
den Grund doch wohl tiefer suchen; es handelt sich um eine Entwicklung
des Sehens und des Gefühls für das Kubische, das von äußeren Dingen
im wesentlichen unabhängig ist. Die Notwendigkeit des Wandels kommt
voii innen heraus. Sie ist im Charakter und der Entwicklung der griechi-
schen Kunst begründet. Es handelt sich um kein äußerliches Übertragen.
Eine stärkere Körperempfindung ist in die Malerei gekommen.
 
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