Karlheinrich Dumrath
Die Bürgschaftsurkunde von 1507
Das Original der Siegelurkunde von 1507, über die ich als
Rechtshistoriker zu referieren habe und die Sie in einer von
mir nach den Regeln einer wissenschaftlichen Edition ar-
chivalischer Texte angefertigten Transkription in Händen
halten, befindet sich im Stadtarchiv Schwabach. Das ist ihr
ordnungsgemäßer, zuständiger Aufbewahrungsort; denn
der Aussteller der Urkunde hat diese der Stadt Schwabach
ausgehändigt.
Die Urkunde ist in der Literatur über den Hochaltar der
Schwabacher Stadtpfarrkirche oft zitiert, auch gelegentlich
abgedruckt worden — das eine wie das andere nicht immer
richtig. Da sie ein Ausgangspunkt der Diskussion über die
Entstehung des Hochaltars schon bisher war und wohl
auch in Zukunft sein wird, ist es nur recht und billig, sich
um ihr Verständnis zu bemühen, also sowohl um den mate-
riellen Inhalt der Rechtshandlung, der in der sog.
Disposition der Urkunde ausgedrückt ist, als auch um die
Einzelumstände, die die Ausfertigung der Urkunde veran-
laßt haben und von denen, soweit sie erwähnt werden, in
der sog. Narratio die Rede ist.
In unserer Urkunde nimmt die Erzählung der Einzelumstän-
de, die zur Ausfertigung der Urkunde geführt haben, einen
ungewöhnlich breiten Raum ein: Sie erstreckt sich ab der
Mitte der ersten Zeile des Originals bis zur Mitte der 30. Zei-
le — in der Ihnen übergebenen Transkription von der zwei-
ten Textzeile, beginnend „nachdem Michel Wolgemut“, bis
zur letzten Zeile der Narratio „on Verzug und ongevarlich“.
30 Zeilen des Originals aber sind 3/4 des Gesamtumfangs.
Das wiederum bedeutet, daß für den Ausdruck der Willens-
erklärung des Urkundenausstellers weniger als 1/4 des Ge-
samtumfangs, das letzte Viertel nämlich, benötigt worden
ist. In der Transkription umfaßt die Darstellung der Willens-
erklärung, also die Disposition im Gegensatz zur Narratio,
acht Zeilen.
Da das Original nicht leicht zu lesen ist, dürfte der eine oder
andere, der sich vor mir mit der Urkunde beschäftigt hat,
froh gewesen sein, in großer, auffälliger Schrift einen Rand-
vermerk über den Urkundeninhalt zu finden. Er lautet:
„Accord mit dem Mahler Wohlgemuth zu Nürnberg
über den gemahlten Choraltar in der Schwabacher
Stadtkirchen a 600 fl. anno 1507“.
Der Betreffende mag sich auch darüber gefreut haben, daß
ihm der Urkundentext die Richtigkeit des Vermerks zu be-
stätigen schien: Schon in der ersten Zeile des Originals ist
vom Maler Michel Wolgemut die Rede, und noch im selben
Satz heißt es, daß dieser „eine Tafel auf dem Choraltar in
Schwabach für 600 fl. zu machen angenommen“ hat, und
so geht es weiter bis zur 30. Zeile des Originals: Immer
dreht es sich um Michel Wolgemut und seinen Auftrag und
dessen Erfüllung.
Und doch ist die Urkunde kein „Accord“, kein Vertrag mit
dem Maler Michael Wolgemut. Bevor wir aber auf den tat-
sächlichen Inhalt der in unserer Urkunde ausgedrückten
Rechtshandlung zu sprechen kommen, müssen wir zum Ak-
tenvermerk nachtragen, daß er nicht gleich- oder wenig-
stens nahzeitig mit der Urkunde gemacht ist, sondern von
einer Hand des, wie ich meine, 18. Jh. stammt und daß uns
nichts — auch nicht etwa die Annahme, der Schreiber des
Randvermerks sei der beamtete Registrator der Stadt
Schwabach gewesen — von der Verpflichtung enthebt, den
Randvermerk auf seine Richtigkeit zu überprüfen, bevor wir
ihn akzeptieren.
Bei dieser Prüfung dürfen wir uns aber nicht, wie offenbar
oft geschehen, mit den ersten 30 Zeilen begnügen, sondern
müssen den ganzen Text studieren. Dann gelangen wir ab
der 30. Zeile des Originals zu des Rätsels Lösung, d.h. zur
Willenserklärung des Ausstellers der Urkunde.
Die Willenserklärung des Urkundenausstellers hat folgen-
den Wortlaut — in moderneres Deutsch mit einigen erläu-
ternden Wendungen übertragen:
„Ich, der bereits in der Urkunde genannte Wilhelm Derrer,
bekenne für mich und alle meine Erben, daß ich dem vorge-
nannten Bürgermeister und Rat zu Schwabach in allen auf-
geführten Punkten (oder anders ausgedrückt: unter den
dargelegten Einzelumständen) ein gutwilliger Bürge und
Selbschuldner geworden bin, sein soll und will. Ich verspre-
che auch für mich und alle meine Erben, alles dasjenige,
was ihnen — Bürgermeister und Rat zu Schwabach — Mei-
ster Michel Wolgemut vorenthält (worüber sie also nicht
verfügen können, weil Wolgemut seinen Verpflichtungen
nicht nachkommt), diesen zu ersetzen und zu vergüten ohne
jeden Abzug und ohne Berechnung der eigenen Kosten,
Mühe und Schäden. Und damit dies Schriftstück zu einer
wahren Urkunde (zu einer durch sich selbst wirksamen Ge-
schäftsurkunde) werde, habe ich mein eigenes Siegel am
Ende des Schriftsatzes aufgedrückt.“
Unsere Urkunde ist also kein Accord, kein Vertrag mit dem
Maler Wolgemut, sondern eine Bürgschaftsurkunde, ausge-
stellt von dem Bürgen Wilhelm Derrer für Bürgermeister
und Rat der Stadt Schwabach im Interesse des Schuldners
der Stadt, Michael Wolgemut. Die Bürgschaft, die Derrer
und seine Erben übernehmen, ist keine zusätzliche, subsidi-
äre Haftung zu der bereits bestehenden Haftung Wolge-
muts, sondern eine primäre; denn da sich Derrer und seine
Erben als „Selbstschuldner“ verbürgen, treten sie an die
Stelle des Schuldners Wolgemut. Mit der Annahme der
selbstschuldnerischen Bürgschaft Derrers begibt sich die
Stadt Schwabach ihrerseits des Zugriffs auf Michael Wol-
gemut. Sie wird also ggf. nicht erst eine Zwangsvoll-
streckung gegen Wolgemut betreiben, sondern sofort die
Befriedigung ihrer Ansprüche bei Derrer suchen.
Diese Bürgschaft ist als Zahlungsbürgschaft zu verstehen,
wie sich aus dem Passus, der der Willenserklärung des Ur-
kundenausstellers vorangeht, ergibt: Bürgermeister und
Rat der Stadt Schwabach haben nämlich auf gütliche Für-
bitte Wilhelm Derrers dem Michael Wolgemut — wie es in
der Urkunde wörtlich heißt: vorher und jetzt — 400 fl. be-
zahlt und ausgehändigt. Weitere 100 fl. sollen sie ihm zah-
len, wenn die Tafel gesetzt, besichtigt und damit abgenom-
men ist, und ein Jahr später den Rest: das, „was darüber“
d.h. über die vorher gezahlten 500 fl. hinaus „ausständig
ist“. Durch die von Derrer übernommene Bürgschaft wird in
der Praxis nur die Rückerstattung der 400 fl. sichergestellt;
denn die weiteren Zahlungen leistet die Stadt ja nur, wenn
Wolgemut seine Verpflichtungen gegenüber der Stadt er-
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Die Bürgschaftsurkunde von 1507
Das Original der Siegelurkunde von 1507, über die ich als
Rechtshistoriker zu referieren habe und die Sie in einer von
mir nach den Regeln einer wissenschaftlichen Edition ar-
chivalischer Texte angefertigten Transkription in Händen
halten, befindet sich im Stadtarchiv Schwabach. Das ist ihr
ordnungsgemäßer, zuständiger Aufbewahrungsort; denn
der Aussteller der Urkunde hat diese der Stadt Schwabach
ausgehändigt.
Die Urkunde ist in der Literatur über den Hochaltar der
Schwabacher Stadtpfarrkirche oft zitiert, auch gelegentlich
abgedruckt worden — das eine wie das andere nicht immer
richtig. Da sie ein Ausgangspunkt der Diskussion über die
Entstehung des Hochaltars schon bisher war und wohl
auch in Zukunft sein wird, ist es nur recht und billig, sich
um ihr Verständnis zu bemühen, also sowohl um den mate-
riellen Inhalt der Rechtshandlung, der in der sog.
Disposition der Urkunde ausgedrückt ist, als auch um die
Einzelumstände, die die Ausfertigung der Urkunde veran-
laßt haben und von denen, soweit sie erwähnt werden, in
der sog. Narratio die Rede ist.
In unserer Urkunde nimmt die Erzählung der Einzelumstän-
de, die zur Ausfertigung der Urkunde geführt haben, einen
ungewöhnlich breiten Raum ein: Sie erstreckt sich ab der
Mitte der ersten Zeile des Originals bis zur Mitte der 30. Zei-
le — in der Ihnen übergebenen Transkription von der zwei-
ten Textzeile, beginnend „nachdem Michel Wolgemut“, bis
zur letzten Zeile der Narratio „on Verzug und ongevarlich“.
30 Zeilen des Originals aber sind 3/4 des Gesamtumfangs.
Das wiederum bedeutet, daß für den Ausdruck der Willens-
erklärung des Urkundenausstellers weniger als 1/4 des Ge-
samtumfangs, das letzte Viertel nämlich, benötigt worden
ist. In der Transkription umfaßt die Darstellung der Willens-
erklärung, also die Disposition im Gegensatz zur Narratio,
acht Zeilen.
Da das Original nicht leicht zu lesen ist, dürfte der eine oder
andere, der sich vor mir mit der Urkunde beschäftigt hat,
froh gewesen sein, in großer, auffälliger Schrift einen Rand-
vermerk über den Urkundeninhalt zu finden. Er lautet:
„Accord mit dem Mahler Wohlgemuth zu Nürnberg
über den gemahlten Choraltar in der Schwabacher
Stadtkirchen a 600 fl. anno 1507“.
Der Betreffende mag sich auch darüber gefreut haben, daß
ihm der Urkundentext die Richtigkeit des Vermerks zu be-
stätigen schien: Schon in der ersten Zeile des Originals ist
vom Maler Michel Wolgemut die Rede, und noch im selben
Satz heißt es, daß dieser „eine Tafel auf dem Choraltar in
Schwabach für 600 fl. zu machen angenommen“ hat, und
so geht es weiter bis zur 30. Zeile des Originals: Immer
dreht es sich um Michel Wolgemut und seinen Auftrag und
dessen Erfüllung.
Und doch ist die Urkunde kein „Accord“, kein Vertrag mit
dem Maler Michael Wolgemut. Bevor wir aber auf den tat-
sächlichen Inhalt der in unserer Urkunde ausgedrückten
Rechtshandlung zu sprechen kommen, müssen wir zum Ak-
tenvermerk nachtragen, daß er nicht gleich- oder wenig-
stens nahzeitig mit der Urkunde gemacht ist, sondern von
einer Hand des, wie ich meine, 18. Jh. stammt und daß uns
nichts — auch nicht etwa die Annahme, der Schreiber des
Randvermerks sei der beamtete Registrator der Stadt
Schwabach gewesen — von der Verpflichtung enthebt, den
Randvermerk auf seine Richtigkeit zu überprüfen, bevor wir
ihn akzeptieren.
Bei dieser Prüfung dürfen wir uns aber nicht, wie offenbar
oft geschehen, mit den ersten 30 Zeilen begnügen, sondern
müssen den ganzen Text studieren. Dann gelangen wir ab
der 30. Zeile des Originals zu des Rätsels Lösung, d.h. zur
Willenserklärung des Ausstellers der Urkunde.
Die Willenserklärung des Urkundenausstellers hat folgen-
den Wortlaut — in moderneres Deutsch mit einigen erläu-
ternden Wendungen übertragen:
„Ich, der bereits in der Urkunde genannte Wilhelm Derrer,
bekenne für mich und alle meine Erben, daß ich dem vorge-
nannten Bürgermeister und Rat zu Schwabach in allen auf-
geführten Punkten (oder anders ausgedrückt: unter den
dargelegten Einzelumständen) ein gutwilliger Bürge und
Selbschuldner geworden bin, sein soll und will. Ich verspre-
che auch für mich und alle meine Erben, alles dasjenige,
was ihnen — Bürgermeister und Rat zu Schwabach — Mei-
ster Michel Wolgemut vorenthält (worüber sie also nicht
verfügen können, weil Wolgemut seinen Verpflichtungen
nicht nachkommt), diesen zu ersetzen und zu vergüten ohne
jeden Abzug und ohne Berechnung der eigenen Kosten,
Mühe und Schäden. Und damit dies Schriftstück zu einer
wahren Urkunde (zu einer durch sich selbst wirksamen Ge-
schäftsurkunde) werde, habe ich mein eigenes Siegel am
Ende des Schriftsatzes aufgedrückt.“
Unsere Urkunde ist also kein Accord, kein Vertrag mit dem
Maler Wolgemut, sondern eine Bürgschaftsurkunde, ausge-
stellt von dem Bürgen Wilhelm Derrer für Bürgermeister
und Rat der Stadt Schwabach im Interesse des Schuldners
der Stadt, Michael Wolgemut. Die Bürgschaft, die Derrer
und seine Erben übernehmen, ist keine zusätzliche, subsidi-
äre Haftung zu der bereits bestehenden Haftung Wolge-
muts, sondern eine primäre; denn da sich Derrer und seine
Erben als „Selbstschuldner“ verbürgen, treten sie an die
Stelle des Schuldners Wolgemut. Mit der Annahme der
selbstschuldnerischen Bürgschaft Derrers begibt sich die
Stadt Schwabach ihrerseits des Zugriffs auf Michael Wol-
gemut. Sie wird also ggf. nicht erst eine Zwangsvoll-
streckung gegen Wolgemut betreiben, sondern sofort die
Befriedigung ihrer Ansprüche bei Derrer suchen.
Diese Bürgschaft ist als Zahlungsbürgschaft zu verstehen,
wie sich aus dem Passus, der der Willenserklärung des Ur-
kundenausstellers vorangeht, ergibt: Bürgermeister und
Rat der Stadt Schwabach haben nämlich auf gütliche Für-
bitte Wilhelm Derrers dem Michael Wolgemut — wie es in
der Urkunde wörtlich heißt: vorher und jetzt — 400 fl. be-
zahlt und ausgehändigt. Weitere 100 fl. sollen sie ihm zah-
len, wenn die Tafel gesetzt, besichtigt und damit abgenom-
men ist, und ein Jahr später den Rest: das, „was darüber“
d.h. über die vorher gezahlten 500 fl. hinaus „ausständig
ist“. Durch die von Derrer übernommene Bürgschaft wird in
der Praxis nur die Rückerstattung der 400 fl. sichergestellt;
denn die weiteren Zahlungen leistet die Stadt ja nur, wenn
Wolgemut seine Verpflichtungen gegenüber der Stadt er-
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