Walther Schmidt
Münchner Architektur und Städtebau im „Dritten Reich“ — kritisch betrachtet
Die Bayerische Akademie der Schönen Künste hat mich
aufgefordert, über Münchner Architektur und Städtebau
im „Dritten Reich“ zu sprechen als einer, der den Ein-
bruch des Dritten Reiches in das Baugeschehen in Mün-
chen persönlich erlebt hat. Sie erwartet also von mir kei-
nen kühl distanzierten Bericht, sondern die Darstellung
eines Architekten, der diesen Einbruch nicht nur beob-
achtet, sondern der ihn erlebt hat — erlebt als ein in sei-
nen Anschauungen und seinem Tun Betroffener. Nach-
dem so der Wunsch der Akademie die persönliche Note
ins Spiel gebracht hat, will ich bei aller Bemühung um
Objektivität das persönliche Element nicht unter-
drücken. Dazu schicke ich meinen Ausführungen einige
persönliche Bemerkungen voraus.
Als der Nationalsozialismus die Macht ergriff, war ich
nach meinem Studium bei Theodor Fischer schon seit
fast zehn Jahren als junger Architekt im Baureferat der
Oberpostdirektion München Mitarbeiter von Robert Vor-
hoelzer und nach dessen Berufung auf einen Lehrstuhl
an der Technischen Hochschule München von Franz
Holzhammer. Mit Ausnahme des Postamtes am Harras,
das Vorhoelzer als Hochschullehrer mit Heinz Schmeiss-
ner entworfen hat, waren die Entwürfe zu den neuen
Postbauten in München, zuletzt zum 1932 eröffneten
Postamt am Goetheplatz, auf meinem Reißbrett entstan-
den. Da in München damals das, was man „Neues Bau-
en” nennen konnte, nur spärlich Fuß gefaßt hatte, waren
diese Bauten, die heute unter Denkmalschutz stehen,
den zur Macht Gelangten ein auffälliges Ärgernis. Über
die persönlichen Schwierigkeiten, die sich für mich erga-
ben, rede ich hier nicht. Aber erwähnen muß ich, daß Ro-
bert Vorhoelzer seines Lehrstuhls enthoben und dadurch
— dieser aktive und auf Aktivität angelegte Mann — auf
ein Jahrzehnt hinaus zur Untätigkeit verdammt wurde.
Über das Ergehen der Betroffenen hinaus wog beson-
ders schwer, daß die Bemühung jäh abgeblockt war, in
München eine Art des Neuen Bauens zu entwickeln, die
ebenso von der Funktion wie vom städtebaulichen Zu-
sammenhang ausging, die die Möglichkeiten moderner
Konstruktionen nutzte, das Handwerkliche aber nicht
vernachlässigte, in der die Gestaltung sich nicht in der
Gesamtform erschöpfte, sondern auch die Einzelheiten
zu durchdringen suchte, und die insgesamt größere Wär-
me, mehr menschliche Nähe vermitteln wollte.
Welch ein Choc das, was das „Dritte Reich“ an Städte-
bau und Architektur der Stadt München brachte, auf ei-
nen jungen, seinen Vorstellungen verpflichteten Archi-
tekten ausüben mußte, läßt sich heute schwerlich noch
voll nachempfinden, — nicht nur, weil seitdem mehr als
vier Jahrzente vergangen sind, sondern vor allem, weil
wir in der Zwischenzeit soviel Maßstabslosigkeit anderer
Art über uns ergehen lassen mußten, so viel Rücksichts-
losigkeit in Städtebau und Architektur, soviel Gleichgül-
tigkeit gegenüber dem Detail, soviel Brutalität. Zwar al-
les anderer Art, aber gleichwohl abstumpfend, relativie-
rend. Wer aber diesen Choc erlebt und ihn nicht verges-
sen hat, ohne sich den neuen Kapiteln zu verschließen,
die die Geschichte ständig schreibt, kann erfahren, wie
die blanke Verachtung, die allein er ursprünglich einem
Phänomen entgegenbringen konnte, sich in eine kriti-
sche Analyse verwandelt, die das Geschehene in Zusam-
menhänge einordnet. Eine solche Analyse zu geben will
ich versuchen.
In der Mitte meiner Ausführungen wird die kritische Be-
trachtung der zwei repräsentativen städtebaulich- archi-
tektonischen Maßnahmen stehen, die das „Dritte Reich“
in München durchgeführt hat, und zwar schon in den er-
sten Jahren seines Bestehens: die Veränderungen im Be-
reich des Königsplatzes und den Bau des Hauses der
Kunst. Dem werden einige allgemeine Bemerkungen vor-
ausgehen müssen, während im Anschluß an die Analy-
sen Königsplatz und Haus der Kunst auf das sonstige
bauliche und planerische Geschehen in München knapp
hinzuweisen sein wird. Abschließend werde ich versu-
chen, aus den beiden konkreten Münchner Beispielen
allgemeine Überlegungen zu Antrieben und Grundvor-
stellungen nationalsozialistischer Haltung in Städtebau
und Architektur abzuleiten.
Über das, was ich der Betrachtung von Königsplatz und
Haus der Kunst noch vorausschicken möchte, kann ich
mich kurz fassen: Gerd Albers hat in seinem einleitenden
Vortrag über Gesetzgebung, Verwaltungspraxis u.dgl. in
prägnanter Kürze schon Wesentliches gesagt. Den von
ihm gegebenen Überblick will ich gleichsam durch den
Blick von unten ergänzen: durch die persönlichen Ein-
drücke eines, der in der täglichen Praxis jener Jahre
stand und von ihr betroffen worden ist.
Deutlich in Erinnerung geblieben ist mir, wie Verantwort-
liche in Verwaltungen, überhaupt am Baugeschehen Be-
teiligte auf den Einbruch des „Dritten Reiches“ reagiert
haben. Man sah sich plötzlich einer veränderten Lage ge-
genüber: bisher anerkannte oder doch tolerierte Werte,
Vorstellungen, Absichten galten als undeutsch, entartet,
ihre Träger wurden als Kulturbolschewisten suspekt.
Manche hielten das Ganze für einen Spuk, der schnell
vorüber sein würde. Manche wehrten sich mannhaft, tra-
ten auch für Angegriffene ein, — zu ihrer Ehre sei es ge-
sagt. Andere hatten es eilig, sich zu arrangieren. Vorsich-
tige taten lieber nichts als etwas, was Anstoß hätte erre-
gen können. Nicht wenige glaubten, auf ihre Mitwirkung
komme es an, um dem Ganzen eine Wende zum Besse-
ren zu geben. Groß und allgemein war die Unsicherheit.
Überall war es möglich, daß Parteigrößen dreinredeten,
auch solche minderen Grades. Unzuständige sahen Ge-
legenheit, sich einzumischen, Denunzianten fanden die
ihnen gemäße Atmosphäre. Widersprüchlichkeiten wa-
ren alltäglich, — mitunter ließen sie sich zum Besseren
ausnützen. Diese allgemeine, durch den routinemäßigen
90
Münchner Architektur und Städtebau im „Dritten Reich“ — kritisch betrachtet
Die Bayerische Akademie der Schönen Künste hat mich
aufgefordert, über Münchner Architektur und Städtebau
im „Dritten Reich“ zu sprechen als einer, der den Ein-
bruch des Dritten Reiches in das Baugeschehen in Mün-
chen persönlich erlebt hat. Sie erwartet also von mir kei-
nen kühl distanzierten Bericht, sondern die Darstellung
eines Architekten, der diesen Einbruch nicht nur beob-
achtet, sondern der ihn erlebt hat — erlebt als ein in sei-
nen Anschauungen und seinem Tun Betroffener. Nach-
dem so der Wunsch der Akademie die persönliche Note
ins Spiel gebracht hat, will ich bei aller Bemühung um
Objektivität das persönliche Element nicht unter-
drücken. Dazu schicke ich meinen Ausführungen einige
persönliche Bemerkungen voraus.
Als der Nationalsozialismus die Macht ergriff, war ich
nach meinem Studium bei Theodor Fischer schon seit
fast zehn Jahren als junger Architekt im Baureferat der
Oberpostdirektion München Mitarbeiter von Robert Vor-
hoelzer und nach dessen Berufung auf einen Lehrstuhl
an der Technischen Hochschule München von Franz
Holzhammer. Mit Ausnahme des Postamtes am Harras,
das Vorhoelzer als Hochschullehrer mit Heinz Schmeiss-
ner entworfen hat, waren die Entwürfe zu den neuen
Postbauten in München, zuletzt zum 1932 eröffneten
Postamt am Goetheplatz, auf meinem Reißbrett entstan-
den. Da in München damals das, was man „Neues Bau-
en” nennen konnte, nur spärlich Fuß gefaßt hatte, waren
diese Bauten, die heute unter Denkmalschutz stehen,
den zur Macht Gelangten ein auffälliges Ärgernis. Über
die persönlichen Schwierigkeiten, die sich für mich erga-
ben, rede ich hier nicht. Aber erwähnen muß ich, daß Ro-
bert Vorhoelzer seines Lehrstuhls enthoben und dadurch
— dieser aktive und auf Aktivität angelegte Mann — auf
ein Jahrzehnt hinaus zur Untätigkeit verdammt wurde.
Über das Ergehen der Betroffenen hinaus wog beson-
ders schwer, daß die Bemühung jäh abgeblockt war, in
München eine Art des Neuen Bauens zu entwickeln, die
ebenso von der Funktion wie vom städtebaulichen Zu-
sammenhang ausging, die die Möglichkeiten moderner
Konstruktionen nutzte, das Handwerkliche aber nicht
vernachlässigte, in der die Gestaltung sich nicht in der
Gesamtform erschöpfte, sondern auch die Einzelheiten
zu durchdringen suchte, und die insgesamt größere Wär-
me, mehr menschliche Nähe vermitteln wollte.
Welch ein Choc das, was das „Dritte Reich“ an Städte-
bau und Architektur der Stadt München brachte, auf ei-
nen jungen, seinen Vorstellungen verpflichteten Archi-
tekten ausüben mußte, läßt sich heute schwerlich noch
voll nachempfinden, — nicht nur, weil seitdem mehr als
vier Jahrzente vergangen sind, sondern vor allem, weil
wir in der Zwischenzeit soviel Maßstabslosigkeit anderer
Art über uns ergehen lassen mußten, so viel Rücksichts-
losigkeit in Städtebau und Architektur, soviel Gleichgül-
tigkeit gegenüber dem Detail, soviel Brutalität. Zwar al-
les anderer Art, aber gleichwohl abstumpfend, relativie-
rend. Wer aber diesen Choc erlebt und ihn nicht verges-
sen hat, ohne sich den neuen Kapiteln zu verschließen,
die die Geschichte ständig schreibt, kann erfahren, wie
die blanke Verachtung, die allein er ursprünglich einem
Phänomen entgegenbringen konnte, sich in eine kriti-
sche Analyse verwandelt, die das Geschehene in Zusam-
menhänge einordnet. Eine solche Analyse zu geben will
ich versuchen.
In der Mitte meiner Ausführungen wird die kritische Be-
trachtung der zwei repräsentativen städtebaulich- archi-
tektonischen Maßnahmen stehen, die das „Dritte Reich“
in München durchgeführt hat, und zwar schon in den er-
sten Jahren seines Bestehens: die Veränderungen im Be-
reich des Königsplatzes und den Bau des Hauses der
Kunst. Dem werden einige allgemeine Bemerkungen vor-
ausgehen müssen, während im Anschluß an die Analy-
sen Königsplatz und Haus der Kunst auf das sonstige
bauliche und planerische Geschehen in München knapp
hinzuweisen sein wird. Abschließend werde ich versu-
chen, aus den beiden konkreten Münchner Beispielen
allgemeine Überlegungen zu Antrieben und Grundvor-
stellungen nationalsozialistischer Haltung in Städtebau
und Architektur abzuleiten.
Über das, was ich der Betrachtung von Königsplatz und
Haus der Kunst noch vorausschicken möchte, kann ich
mich kurz fassen: Gerd Albers hat in seinem einleitenden
Vortrag über Gesetzgebung, Verwaltungspraxis u.dgl. in
prägnanter Kürze schon Wesentliches gesagt. Den von
ihm gegebenen Überblick will ich gleichsam durch den
Blick von unten ergänzen: durch die persönlichen Ein-
drücke eines, der in der täglichen Praxis jener Jahre
stand und von ihr betroffen worden ist.
Deutlich in Erinnerung geblieben ist mir, wie Verantwort-
liche in Verwaltungen, überhaupt am Baugeschehen Be-
teiligte auf den Einbruch des „Dritten Reiches“ reagiert
haben. Man sah sich plötzlich einer veränderten Lage ge-
genüber: bisher anerkannte oder doch tolerierte Werte,
Vorstellungen, Absichten galten als undeutsch, entartet,
ihre Träger wurden als Kulturbolschewisten suspekt.
Manche hielten das Ganze für einen Spuk, der schnell
vorüber sein würde. Manche wehrten sich mannhaft, tra-
ten auch für Angegriffene ein, — zu ihrer Ehre sei es ge-
sagt. Andere hatten es eilig, sich zu arrangieren. Vorsich-
tige taten lieber nichts als etwas, was Anstoß hätte erre-
gen können. Nicht wenige glaubten, auf ihre Mitwirkung
komme es an, um dem Ganzen eine Wende zum Besse-
ren zu geben. Groß und allgemein war die Unsicherheit.
Überall war es möglich, daß Parteigrößen dreinredeten,
auch solche minderen Grades. Unzuständige sahen Ge-
legenheit, sich einzumischen, Denunzianten fanden die
ihnen gemäße Atmosphäre. Widersprüchlichkeiten wa-
ren alltäglich, — mitunter ließen sie sich zum Besseren
ausnützen. Diese allgemeine, durch den routinemäßigen
90