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Klein, Dieter; Dülfer, Martin; Bayerisches Landesamt für Denkmalpflege; Dülfer, Martin [Ill.]
Martin Dülfer: Wegbereiter der deutschen Jugendstilarchitektur — Arbeitshefte des Bayerischen Landesamtes für Denkmalpflege, Band 8: München: Bayerisches Landesamt für Denkmalpflege, 1981

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https://doi.org/10.11588/diglit.63235#0043
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Wie in München, so hatten sich auch in vielen anderen
Städten lokale Besonderheiten des Jugenstils herausgebil-
det; eine Ausnahmestellung nahm zunächst nur die deut-
sche Hauptstadt ein: Berlin konnte Schöpfungen, wie sie
beispielsweise in München oder Wien entstanden, nichts
entgegensetzen517), behinderte doch dort die konservative
Kunstpolitik Wilhelms II. alle modernen Bestrebungen. Erst
die archaisch-monumentale Richtung konnte größere Er-
folge für sich verbuchen.
Daß hingegen sogar eine relativ kleine Stadt zu einem un-
bestrittenen Zentrum des Jugendstils werden konnte, be-
wies Darmstadt nach Berufung des Österreichers Josef
Maria Olbrich (1899). Durch Gründung der Künstlerkolonie
Mathildenhöhe ergaben sich enge Verbindungen zwischen
dem deutschen Jugend- und dem österreichischen Seces-
sionsstil.518)
Auch in anderen Städten schufen hervorragende Architek-
ten unverwechselbare „Lokalstile“, die von den übrigen Ar-
chitekten und Baumeistern in der Regel gerne kopiert
wurden; in Karlsruhe sind Curjel & Moser, Billing und Ratzel
zu nennen, in Krefeld Buschhüter, in Bamberg Kronfuß.
Diese Auswahl ist zufällig, sie ließe sich beliebig fortsetzen.
Archaismus
Für ihre Monumentalbauten bedienten sich die deutschen
Jugendstilarchitekten gerne eines archaisierenden Klassi-
zismus, der ganz offensichtlich von Richardsons Ideen be-
einflußt war. Bezeichnend für diese Stilrichtung ist, daß
auch viele Denkmäler in solchen Formen errichtet wurden:
diverse Bismarcktürme oder das Völkerschlachtdenkmal in
Leipzig seien stellvertretend für andere genannt. Sehr be-
liebt war die Kombination von grobbehauenen Steinbossen
(die zu zyklopenhaftem Mauerwerk und schweren Gliede-
rungen zusammengefügt waren) und glattbehauenen Stein-
flächen (oftmals durch glattgeputzte Mauerteile ersetzt).519)
Bedingt durch das relativ kostspielige Material, das unver-
hüllt gezeigt wurde, veränderte sich die Farbigkeit der Ar-
chitektur: eine meist graue Naturfarbe der möglichst rauh
belassenen Oberflächen bestimmte den Gesamteindruck.
Die „unruhige, löchrige Oberfläche“ wurde bevorzugt, um
„reizvolle Abwechslung in die farblosen Flächen zu brin-
gen...“.520)
Neben Dülfer bauten vor allem Wilhelm Kreis, Bruno
Schmitz521) und der Karlsruher Architektenkreis im „Monu-
mentalstil“, der allerdings leicht in „übertriebene Wucht
und theatrales Pathos ausartete“.522)
Dülfer Schuf drei Bauten in archaisierenden Formen: die
Theater in Dortmund und Lübeck sowie das Kaufhaus
Schneider in Wiesbaden. Bedingt übertragbar auf die mei-
sten Architekten bzw. deren Schöpfungen dieser Stilrich-
tung ist folgende Beschreibung des Dortmunder Theaters:
„Dülfer hat weniger auf die Formen der Antike als auf ihre
Monumentalität zurückgegriffen; ihm tauglich erscheinen-
de Einzelheiten setzte er in eine subjektive Formensprache
um: Die Antike hat ihn nicht bezwungen, sondern ihr Fühlen
und Formen ist sein eigenes geworden...“.523)

Verfall des Jugendstils
Ebenso schnell wie er aufgetaucht war, verschwand der Ju-
gendstil wieder. Man wies ihm die gleiche geschichtliche
Funktion zu wie der Arts-and-Crafts-Bewegung in England:
in beiden sah man den Übergang zwischen Historismus
und Neuem Stil (der heutigen „Moderne“).524)
Er wurde auch als der „überlebte Geist der Renaissance,
der sich an neuem Wein berauschte“ bezeichnet 525), als
„der große Wirbeltanz, in dem die Ideale der Symmetrie
sich auflösten, zugleich ein Brand, aus dessen Schlacken
das Stilempfinden des 20. Jahrhunderts klar herausge-
schmolzen werden konnte“.526)
Dann aber trieb der Jugendstil „immer mehr in das Fahr-
wasser der Äußerlichkeiten, suchte in der Zierform allein
das Ziel des neuen Stilstrebens... und vergaß den Grundge-
danken des Nützlichkeitsprinzips, das für seine Entstehung
maßgebend war“.527) Diese Behauptung mag übertrieben
sein, tatsächlich hatte man aber die Ausgangspunkte des
Jugendstils weitgehend vergessen: von den Jugendstil-
künstlern waren Musterzeichner ausgebildet worden, die
das Wesen des Stiles nur oberflächlich begriffen und nach
alter Vorlagenpraxis Jugendstilornamente applizierten wie
früher gotisches Maßwerk oder Rocaillen.528) Für den Wert
der phantasievollen Jugendstil-Schöpfungen hatte man
kein Verständnis mehr; man empfand „Fassaden, die
nichts waren als vergrößerte Ornamente... Theater, die wie
ein Gebirgsmassiv [wirkten] ..." als ebenso greulich wie
Fenster „von hufeisenförmigem Ausschnitt“529).
Zwischen den historisierenden und den Jugendstil-
Schöpfungen wurden kaum noch Unterschiede gemacht:
„Unsere Architektur sieht aus, als hätte es geregnet darauf
von Ornament und von was für welchem! Es ist wie bei den
Wilden, die Architektur klappert und rasselt im Zierat...“530)
Man begann die „schwülstig-überladenen Gipsarchitektu-
ren und die tollen Formen- und Farbeffekte der Jugendstil-
zeit“ beiseite zu schieben, um einer Einfachheit Platz zu
machen, die „mit großen, glatten Flächen arbeitete und al-
le... staubfangenden Details... völlig beseitigte.“531)
Aber auch die massive Kritik, die an der „frühen Sachlich-
keit“ schon bald einsetzte, konnte den Jugendstil nicht
mehr retten: die Manieriertheit des „Einfachen“ sollte sich
im Gegenteil noch weiter steigern.
Die Einfachheit wurde oft auf komplizierteste Weise ange-
strebt, manche Entwürfe begannen von „lauter konstrukti-
ver Einfachheit langweilig zu werden“532). Später kam der
Stolz auf edle Materialien aus der Mode533) und mit der
„Farce der neuen Sachlichkeit“ war die „banalste Form der
Abwendung vom Menschen“ erreicht.534)
Aus dem Streben nach „reiner“ Architektur war die Auflö-
sung der Architektur und ihr Ersatz durch bloße Konstruk-
tion geworden535); die meisten Werke der jüngsten Vergan-
genheit wurden, damals wie heute, als „hoffnungslos un-
modern“ betrachtet und entsprechend vernachlässigt oder
„mit dem typischen Vandalismus der Söhne gegen die Ge-
neration der Eltern“536) vernichtet.

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