Abb. 28 München: Ohmstraße Nr. 13, 15, 17 und Königinstraße
Nr. 85 um 1980
Eine weitere Spielart des (in diesem Fall zu unrecht als
„floral“ bezeichneten) Jugendstils waren der submarinen
Sphäre entnommene Formen; boshafte Zeitgenossen be-
haupteten, daß „neben Objekten der Tiefseeforschung
auch Maikäfer, Blutegel, Blindschleichen und verschlunge-
nes und verknotetes Gewürm, verkrüppelte Baumstämme
mit goldenen Astlöchern und Ähnliches“ dekorativ verwen-
det wurden.513) Als auffallendster Vertreter des „Algen- und
Polypenzierats“ trat August Endell hervor, der diese Art von
Dekor in Deutschland einführte.514)
Er leitete seine grotesk-phantastische Ornamentik nicht,
wie zum Beispiel Obrist, von konkret Pflanzlichem ab; er er-
fand Formen, die zwar an Organisches erinnern, ohne es
aber wirklich darzustellen.515) Ähnliches trifft auf die
Jugendstil-Dekormethoden Dülfers zu: als Beispiel sei die
merkwürdige Rosette über dem Lübecker Theatereingang
Abb. 29 München: Schellingstraße Nr. 26
genannt (ohne Abb.). Im allgemeinen sind die Quellen von
Dülfers Formensprache nur sehr schwer aufzuspüren; für
seine bizarren Giebelformen beispielsweise (Abb. 18,23,24,
27) gibt es keine nachweisbaren Vorbilder, auch Gaudis
Werke kommen nicht in Betracht.
Zu allen diesen eben aufgezählten Jugendstil-Dekorarten
sind ab 1899/1900 bei Dülfer bereits die Zackenformen zu
finden, die in der Architektur des Expressionismus erst
fünfzehn bis zwanzig Jahre später sehr beliebt werden soll-
ten. Sie finden sich erstmals 1899 an den Meraner Proszeni-
umslogen, dann am Hause Schellingstr. Nr. 26 (1900), am
Dortmunder Proszenium und im Foyer des dritten Ranges
(1903/04), in der Ohmstraße (1905/07), in der Halle und an
einigen Möbeln der Villa Schenk in Freiburg (1905/06), beim
Lübecker Proszenium und an der dortigen Fassade zur
Fischergrube (1906/08), in der Halle der Osnabrücker Villa
Philipson (1907/08) und weiters in der Kassenhalle des Leip-
ziger Bankgebäudes (1910/12).
Abb. 30 Leipzig: Gebäude der ehern. Dresdner Bank,
Kassenhalle
Als Vorbild mögen maurische oder persische Bauten oder
die Mogul-Architektur mit ihrem tropfsteinartigen Dekor ge-
dient haben (Abb. 42, 29, 55, 59, 28, 66, 33, 117, 30).
Bei anderen deutschen Architekten der Jahrhundertwende
konnten ähnliche Formen bisher nicht nachgewiesen wer-
den; allerdings sind in der Donaumonarchie als bedeutende
Beispiele Bela Lajtas Parisiana-Etablissement in Budapest
und Jan Koteras Ausstellungspavillon der Handelskammer
in Prag (beide um 1908) zu nennen.516) Der „Zackenstil“
hatte auf den deutschen Jugendstil keinen Einfluß, er
wurde nicht einmal von Dülfers Schülern verwendet. Erst
die Künstler des sogenannten „Art Deco“ bedienten sich in
zunehmenden Maß dieser bemerkenswerten Formenspra-
che.
40
Nr. 85 um 1980
Eine weitere Spielart des (in diesem Fall zu unrecht als
„floral“ bezeichneten) Jugendstils waren der submarinen
Sphäre entnommene Formen; boshafte Zeitgenossen be-
haupteten, daß „neben Objekten der Tiefseeforschung
auch Maikäfer, Blutegel, Blindschleichen und verschlunge-
nes und verknotetes Gewürm, verkrüppelte Baumstämme
mit goldenen Astlöchern und Ähnliches“ dekorativ verwen-
det wurden.513) Als auffallendster Vertreter des „Algen- und
Polypenzierats“ trat August Endell hervor, der diese Art von
Dekor in Deutschland einführte.514)
Er leitete seine grotesk-phantastische Ornamentik nicht,
wie zum Beispiel Obrist, von konkret Pflanzlichem ab; er er-
fand Formen, die zwar an Organisches erinnern, ohne es
aber wirklich darzustellen.515) Ähnliches trifft auf die
Jugendstil-Dekormethoden Dülfers zu: als Beispiel sei die
merkwürdige Rosette über dem Lübecker Theatereingang
Abb. 29 München: Schellingstraße Nr. 26
genannt (ohne Abb.). Im allgemeinen sind die Quellen von
Dülfers Formensprache nur sehr schwer aufzuspüren; für
seine bizarren Giebelformen beispielsweise (Abb. 18,23,24,
27) gibt es keine nachweisbaren Vorbilder, auch Gaudis
Werke kommen nicht in Betracht.
Zu allen diesen eben aufgezählten Jugendstil-Dekorarten
sind ab 1899/1900 bei Dülfer bereits die Zackenformen zu
finden, die in der Architektur des Expressionismus erst
fünfzehn bis zwanzig Jahre später sehr beliebt werden soll-
ten. Sie finden sich erstmals 1899 an den Meraner Proszeni-
umslogen, dann am Hause Schellingstr. Nr. 26 (1900), am
Dortmunder Proszenium und im Foyer des dritten Ranges
(1903/04), in der Ohmstraße (1905/07), in der Halle und an
einigen Möbeln der Villa Schenk in Freiburg (1905/06), beim
Lübecker Proszenium und an der dortigen Fassade zur
Fischergrube (1906/08), in der Halle der Osnabrücker Villa
Philipson (1907/08) und weiters in der Kassenhalle des Leip-
ziger Bankgebäudes (1910/12).
Abb. 30 Leipzig: Gebäude der ehern. Dresdner Bank,
Kassenhalle
Als Vorbild mögen maurische oder persische Bauten oder
die Mogul-Architektur mit ihrem tropfsteinartigen Dekor ge-
dient haben (Abb. 42, 29, 55, 59, 28, 66, 33, 117, 30).
Bei anderen deutschen Architekten der Jahrhundertwende
konnten ähnliche Formen bisher nicht nachgewiesen wer-
den; allerdings sind in der Donaumonarchie als bedeutende
Beispiele Bela Lajtas Parisiana-Etablissement in Budapest
und Jan Koteras Ausstellungspavillon der Handelskammer
in Prag (beide um 1908) zu nennen.516) Der „Zackenstil“
hatte auf den deutschen Jugendstil keinen Einfluß, er
wurde nicht einmal von Dülfers Schülern verwendet. Erst
die Künstler des sogenannten „Art Deco“ bedienten sich in
zunehmenden Maß dieser bemerkenswerten Formenspra-
che.
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