Bei Verwendung freier Säulenstellungen, wie beispielswei-
se am 1895 — 97 erbauten Wohnhaus Leopoldstraße Nr. 4,
wirkten Dülfers Bauten meist „historischer“384); nichts-
destoweniger errang er mit allen seinen Mietshaus-Fassa-
den höchste Anerkennung: seinetwegen wurde München
als „im Mietshausbau bahnbrechend“ bezeichnet; „... die
stattlichen Etagenhausgruppen haben gezeigt, wieviel
schöner unsere Straßenbilder werden können .,.“385)
Einen Übergang zu freierer Formenverwendung bildet die
Baugruppe Kaulbachstraße 22 — 26 (1898 — 1901); das etwa
gleichzeitig entstandene, erste Jugendstil-Mietshaus in der
Friedrichstraße (1898/99) zeigt ebenfalls noch deutlich hi-
storisierende Motive (Abb. 20).
Historisch „richtige“ Louis-Seize-Elemente finden sich in
Dülfers Schaffen vereinzelt bis 1902; seltsamerweise ver-
sah er seine eigene Villa in Krailling mit solcher Ornamen-
tik (Abb. 107), nachdem er 1901 einen wesentlich moderner
anmutenden Vorentwurf mit glattgeputzten Flächen und
farbigen Holzbauteilen eingereicht hatte.386)
Die einzig plausible Erklärung für dieses retrospektive Ver-
halten könnte sein, daß Dülfer sich den Wünschen seiner
als konservativ geschilderten Gattin beugte; dieser These
widerspricht aber die Tatsache, daß im Gegensatz zur Fas-
sade das Innere in modernsten Formen ausgebildet wurde:
die asymmetrisch-abstrakten Stuckdecken in Vogeler-
Manier (Abb. 108), Landhaus-Elemente der Dresdner Früh-
stückstube und florale Jugendstil-Verglasungen entspre-
chen durchaus der Zeit um 1902.387)
Historisierende Details in freier Anwendung
Wie bei den meisten Architekten seiner Epoche, so zog sich
auch bei Dülfer die Wandlung vom Historismus zum Ju-
gendstil über einen längeren Zeitraum hin. Während dieser
Übergangszeit verwendete er gleichermaßen für noch sym-
metrisch, wie für bereits asymmetrisch gegliederte Fassa-
den eindeutig historisch ableitbare Motive, die er jedoch
seinen momentanen architektonischen Einfällen anpaßte
und in den Proportionen entsprechend veränderte. Die Ei-
genwilligkeit des Arrangements geht über bloße historisie-
rende Nachbildung hinaus; als Beispiele seien die überdi-
mensionierten Schlußsteine über den Einfahrtstoren der
Kaulbachstraße 22 — 26 (Abb. 17), die immer wiederkehren-
den, in geometrische Felder eingepassten Akanthusblätter
oder die anstelle eines Kapitells für die Eckpilaster der Leo-
poldstraße Nr. 4 verwendeten, umgesetzten Triglyphenfor-
men genannt, weiters die um die Rundung gezogene Band-
rustika der Ecklösung des Kaimsaales (Abb. 87).
Die „guten“ Architekten der späten Eklektik standen dem
Kopieren früherer Stile ebenso fern wie die Renaissance-
künstler einer originalgetreuen Nachahmung der Antike. Al-
fred Messel und Dülfer werden diesbezüglich in einem
Atemzug genannt: „... hier... finden wir ähnlich wie in der
Renaissance ein subjektives, freizügiges Schalten mit hi-
storischen Elementen...“388)
Andererseits brachte man Dülfer gerne mit Theodor Fischer
in Zusammenhang, weil beide „in Aufbau und Dekoration
frei von streng historischen Rücksichten“ waren und vor-
wiegend auf Zweckmäßigkeit achteten389); die „Modernität“
beider bestand darin, daß „auf strenge Durchbildung im
Rahmen eines historischen Stiles verzichtet wurde“.390)
Unter denjenigen Münchner Bauten, die Bestrebungen zeig-
ten „vom Banne strenger Stilformen frei zu werden“, fielen
Dülfers als die „besten und erfreulichsten Beispiele... die
seit langer Zeit... gebaut wurden“ auf.391) Nach Ansicht sei-
ner Zeitgenossen lehnte er sich grundsätzlich gegen die
Schranke auf, die in der Vorbildhaftigkeit des Historischen
um seiner selbst willen gegeben sein sollte392) und so galt
er schon bald in München als „architektonisches enfant
terrible“.393)
Abb. 17 München: Kaulbachstraße Nr. 26—22
Grundlagen des Jugendstils und seine Einführung
durch Dülfer in der deutschen Architektur
Der Jugendstil war seit dem Rokoko der erste Versuch, eine
völlige neue Formensprache zu schaffen.394)
Bei den meisten progressiven Architekten der Jahrhundert-
wende in Europa und Amerika sind englische Anregungen
festzustellen; so wie Frankreich für die Gotik, Italien für Re-
naissance und Barock, so war England das klassische
Land für die Architektur des späten 19. Jahrhunderts.395)
Den Engländern sagte man Abneigung gegen alles Protzen-
turn nach, Abneigung gegen die Gewohnheit, sich um ande-
rer Leute Meinung zu kümmern.396) Besonders die Deut-
schen bewunderten gegen Ende des vorigen Jahrhunderts
die englische Kultur, weil im eigenen Lande die „Gewöh-
nung an den Wohlstand“ noch fehlte, und die Leute „etwas
sehen wollten für ihr Geld“.397)
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se am 1895 — 97 erbauten Wohnhaus Leopoldstraße Nr. 4,
wirkten Dülfers Bauten meist „historischer“384); nichts-
destoweniger errang er mit allen seinen Mietshaus-Fassa-
den höchste Anerkennung: seinetwegen wurde München
als „im Mietshausbau bahnbrechend“ bezeichnet; „... die
stattlichen Etagenhausgruppen haben gezeigt, wieviel
schöner unsere Straßenbilder werden können .,.“385)
Einen Übergang zu freierer Formenverwendung bildet die
Baugruppe Kaulbachstraße 22 — 26 (1898 — 1901); das etwa
gleichzeitig entstandene, erste Jugendstil-Mietshaus in der
Friedrichstraße (1898/99) zeigt ebenfalls noch deutlich hi-
storisierende Motive (Abb. 20).
Historisch „richtige“ Louis-Seize-Elemente finden sich in
Dülfers Schaffen vereinzelt bis 1902; seltsamerweise ver-
sah er seine eigene Villa in Krailling mit solcher Ornamen-
tik (Abb. 107), nachdem er 1901 einen wesentlich moderner
anmutenden Vorentwurf mit glattgeputzten Flächen und
farbigen Holzbauteilen eingereicht hatte.386)
Die einzig plausible Erklärung für dieses retrospektive Ver-
halten könnte sein, daß Dülfer sich den Wünschen seiner
als konservativ geschilderten Gattin beugte; dieser These
widerspricht aber die Tatsache, daß im Gegensatz zur Fas-
sade das Innere in modernsten Formen ausgebildet wurde:
die asymmetrisch-abstrakten Stuckdecken in Vogeler-
Manier (Abb. 108), Landhaus-Elemente der Dresdner Früh-
stückstube und florale Jugendstil-Verglasungen entspre-
chen durchaus der Zeit um 1902.387)
Historisierende Details in freier Anwendung
Wie bei den meisten Architekten seiner Epoche, so zog sich
auch bei Dülfer die Wandlung vom Historismus zum Ju-
gendstil über einen längeren Zeitraum hin. Während dieser
Übergangszeit verwendete er gleichermaßen für noch sym-
metrisch, wie für bereits asymmetrisch gegliederte Fassa-
den eindeutig historisch ableitbare Motive, die er jedoch
seinen momentanen architektonischen Einfällen anpaßte
und in den Proportionen entsprechend veränderte. Die Ei-
genwilligkeit des Arrangements geht über bloße historisie-
rende Nachbildung hinaus; als Beispiele seien die überdi-
mensionierten Schlußsteine über den Einfahrtstoren der
Kaulbachstraße 22 — 26 (Abb. 17), die immer wiederkehren-
den, in geometrische Felder eingepassten Akanthusblätter
oder die anstelle eines Kapitells für die Eckpilaster der Leo-
poldstraße Nr. 4 verwendeten, umgesetzten Triglyphenfor-
men genannt, weiters die um die Rundung gezogene Band-
rustika der Ecklösung des Kaimsaales (Abb. 87).
Die „guten“ Architekten der späten Eklektik standen dem
Kopieren früherer Stile ebenso fern wie die Renaissance-
künstler einer originalgetreuen Nachahmung der Antike. Al-
fred Messel und Dülfer werden diesbezüglich in einem
Atemzug genannt: „... hier... finden wir ähnlich wie in der
Renaissance ein subjektives, freizügiges Schalten mit hi-
storischen Elementen...“388)
Andererseits brachte man Dülfer gerne mit Theodor Fischer
in Zusammenhang, weil beide „in Aufbau und Dekoration
frei von streng historischen Rücksichten“ waren und vor-
wiegend auf Zweckmäßigkeit achteten389); die „Modernität“
beider bestand darin, daß „auf strenge Durchbildung im
Rahmen eines historischen Stiles verzichtet wurde“.390)
Unter denjenigen Münchner Bauten, die Bestrebungen zeig-
ten „vom Banne strenger Stilformen frei zu werden“, fielen
Dülfers als die „besten und erfreulichsten Beispiele... die
seit langer Zeit... gebaut wurden“ auf.391) Nach Ansicht sei-
ner Zeitgenossen lehnte er sich grundsätzlich gegen die
Schranke auf, die in der Vorbildhaftigkeit des Historischen
um seiner selbst willen gegeben sein sollte392) und so galt
er schon bald in München als „architektonisches enfant
terrible“.393)
Abb. 17 München: Kaulbachstraße Nr. 26—22
Grundlagen des Jugendstils und seine Einführung
durch Dülfer in der deutschen Architektur
Der Jugendstil war seit dem Rokoko der erste Versuch, eine
völlige neue Formensprache zu schaffen.394)
Bei den meisten progressiven Architekten der Jahrhundert-
wende in Europa und Amerika sind englische Anregungen
festzustellen; so wie Frankreich für die Gotik, Italien für Re-
naissance und Barock, so war England das klassische
Land für die Architektur des späten 19. Jahrhunderts.395)
Den Engländern sagte man Abneigung gegen alles Protzen-
turn nach, Abneigung gegen die Gewohnheit, sich um ande-
rer Leute Meinung zu kümmern.396) Besonders die Deut-
schen bewunderten gegen Ende des vorigen Jahrhunderts
die englische Kultur, weil im eigenen Lande die „Gewöh-
nung an den Wohlstand“ noch fehlte, und die Leute „etwas
sehen wollten für ihr Geld“.397)
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